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Auf dem Weg um die Welt


​...und zu allem was dazwischen liegt

Viva Mexico! Von der blauen Küste in die bunten Städte...

25/7/2018

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Noch über dem Meer setzt das hochmoderne Flugzeug zur Landung an. Zwar fliegen wir schon seit Stunden über die amerikanische Westküste, doch dreht das Flugzeug kurz vor der Ankunft noch einmal hinaus auf den Pazifik, als wolle es sich verabschieden oder für den ruhigen Flug danken. Überhaupt sind wir erstaunlich wenig über den größten aller Ozeane geflogen. Statt direkt, wie wir es naiv vermutet hatten, flogen wir zunächst über Kamtschatka und die Aleuten, jener Inselkette, die sich südlich der Beringsee bis nach Alaska erstreckt und weiter die gesamte amerikanische Westküste entlang. Knapp hinter dem hohen Zaun, der nach dem amerikanischen Präsidenten auch gern eine hohe Mauer sein darf, landen wir. Das Land ist gelb und trocken, Staub liegt in der kühlen Luft. Wir landen mit der Erwartung auf etwas Neues, gänzlich Unbekanntes. In einem sind wir sicher, Mexiko wird anders, so anders, wie ein Land nach China eben sein könnte.
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Der Flughafen wirkt modern und weltmännisch. Wenig lässt er vom Hornissennest erahnen, in das wir uns begeben. Tijuana, Grenzstadt, Schmugglernest für Drogen und Waffen und letzte Hoffnung für viele, die sich zwischen den Linien bewegen. Der Blick aus dem Taxifenster lässt davon wenig erahnen. Zwar wirkt die Stadt bei weitem nicht schön, doch zumindest aber lässig und gesellig. Die Kriminalität der Nächte wirkt dagegen fern. Natürlich reisen wir mit Vorbildung an und sind uns der Hunderten Toten des ersten, knappen Halbjahres durchaus bewusst. Genauso aber auch der meistpassierten Grenze der Welt und der vielen, vielen Menschen, die anschließend schadlos die Stadt verlassen. Zu denen wollen wir, werden wir, gehören.
Im Hotel riecht es so scharf nach Reinigungsmitteln, wie es nur riechen könnte. Ein Geruch, der uns durch das ganze Land verfolgen wird und der im Übrigen auch immer der selbe ist. Mitten im Zentrum sind die Bars nicht weit, gerade zwei Straßen entfernt liegt das berühmte Ceasars Hotel. Damals, noch vor den Waffen und den Banden, war es wie die Stadt selbst eine gute Adresse und ein heißer Tipp für die Prominenz des Landes als auch seines großen Nachbarn. Einen Namen machte es sich unter anderem durch seinen Salat mit speziellem Dressing, Parmesan und Croutons, besser bekannt als Ceasar Salad. Hübsch wurde es restauriert und erinnert mit dunklem Holz, dicken Polstern und übergroßen Schwarzweißfotografien an die Glorie vergangener Tage. Heute dürfte es günstiger sein, als es im Vergleich vor Hundert Jahren gewesen sein mag und doch ist es uns zu teuer. Auch wenn seine Wiederherstellung trotzig sein mag in diesen Zeiten, wirkt seine Nostalgie deplatziert in einem Umfeld der Vorsicht, das keinesfalls als lohnendes Ziel assoziiert sein will. Den Salat genießen wir dennoch. Ein Lokal weiter, mit krakelig an die Wand geschriebenem Menü. Er ist, kaum dass wir es anders erwartet hätten, ganz hervorragend.
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Aller Vorsicht zum Trotz, die uns vermutlich schon mit dem nächsten Bus aus der Stadt gespült hätte, wagen wir uns dennoch am kommenden Tag auf die Straßen des Zentrums. Umsicht ist dennoch angebracht, Angst wäre wohl übertrieben. Beinahe in Sichtweite befindet sich der US amerikanische Grenzübergang, über den tagtäglich Tausende Gringos, vorzugsweise in dicken Karren, einreisen. Auf den Straßen machen derweil Touristenführer Profit mit der angeblichen, hinter jeder Ecke lauernden Gefahr. Die Geführten, ausschließlich junge Amerikaner, wähnen sich auf Geisterbahnfahrt, während man ihnen laut genug erklärt, sie sollten bitte ja niemanden in die Augen schauen, weder gerade, noch schräg und vorallem immer dicht genug bei ihrem bohnendürren Führer bleiben. Man könne hier niemandem trauen. Warum dann die Tour, wenn es doch wirklich so verdammt gefährlich ist, fragen wir uns, während wir die geradezu um Kundschaft flehenden Gastwirte passieren. Die sind hier die ärmsten Säue, doch Hunger haben wir keinen. Noch. Die Suche nach einer SIM Karte führt uns in ein Einkaufszentrum. Das ist gut besucht, wenn auch nur von Einheimischen. Zufrieden wirkt hier dennoch niemand. Einen Bankautomaten haben wir noch immer nicht gefunden, die scheint es hier schlicht nicht zu geben. Gerade, als wir verzweifeln wollen, läuft uns ein Jehova über den Weg. Der ist aber ohne Mission und einfach nur freundlich. Und nebenher sogar latent deutschsprachig. Das anschließende Gespräch wird dennoch nicht weniger kurz, als es eine Bekehrung geworden wäre. Ja, erklärt er uns. Wir sollten hier aufpassen, aber gesunder Menschenverstand brächte uns schon an's Ziel. Vor übermäßig tätowierten Menschen sollten wir uns in Acht nehmen, genauso wie Trägern der Santa Muerte, der Schutzpatronin der Entgleisten. Die hätten doch alle Dreck am Stecken. Er könne nur den Kopf schütteln über Menschen, die hier anteilnahmslos mit über das Handy gebeugtem Kopf durch die Straßen flanierten. Das wären halt leichte Opfer für Taschendiebstähle. Die wirklich schweren Straftaten beschränkten sich dann aber doch auf die Menschen aus dem Milieu. Auf die Hoffnungslosen, auf die um Anerkennung ringende Jugend, auf Mexikaner. Die Probleme verschlängen die Gesellschaft, die vielerorts aussichtslose Zukunft fräße ihre Kinder. Auch er habe Angst um seine Tochter sagt er. Ständig. Die sei nämlich auch noch sehr hübsch und er wisse nicht so recht, ob ihn das stolz machen soll. Und natürlich hinge die Kriminalität direkt mit den Kartellen und der Grenze zusammen. Doch sei auch diese in der jüngeren Gesellschaft verankerte Gangsterattitüde zumindest teilverantwortlich, erklärt er. Genauso wie die vermeintlich starken Beschützer. Doch Gangster, Beschützer. Oft genug sei das doch ein und das selbe.
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Abermals begleiten uns die Sirenen durch die Nacht, die andernorts einfach nur Sirenen sind, hier aber zwangsläufig als Infernal für einen Schussverletzten interpretiert werden. Wiedereinmal sind wir froh, als Deutsche geboren worden zu sein. Auch wenn sich der Deutsche Michel gern einmal über die vermeintlich unzureichende Sicherheitslage im Heimatland beschwert, ist es doch erstaunlich für wie viele Menschen dieser Welt eine prinzipielle Unsicherheit zu seinem täglichen Leben gehört. Mexiko ist da auch nur ein Beispiel von vielen. Und doch ruft uns das Sirenengeheul die potentielle Gefahr ins Gedächtnis, die erst jetzt soviel näher wirkt. Xenia erliegt dem Gefühl noch mehr erfahren zu wollen und schaut sich eine Dokumentation über Juarez, die noch viel gefährlichere Grenzstadt auf der anderen Seite das Landes an. Sie hätte es besser bleiben gelassen. Schockiert erfahren wir von dem in Europa kaum beachteten Mexikanischen Drogenkrieg, der erst in den letzten Jahren und seit der amerikanischen Wirtschaftskrise von 2008 zu einem echten Krieg eskalierte, der bereits 200.000 Opfer und 100.000 Vermisste forderte. Der Kampf der Regierung gegen die Kartelle gestaltet sich aussichtslos. Permanent stehen im Land etwa 80.000 Soldaten und Polizisten, von denen leider auch nicht alle auf der hellen Seite kämpfen, geschätzten 300.000 Angehörigen diverser schwerstbewaffneter Banden und Kartelle gegenüber. Und genau über der so nahen Grenze nimmt er letztlich seinen Ursprung. In der nie abebbenden Nachfrage und dem, schlimmer noch, ungehörigen Zugang zu Schusswaffen aller Art. Neunzig Prozent aller illegalen Schusswaffen Mexikos sind aus amerikanischer Produktion. Noch nicht einmal kreativ geschmuggelt werden sie, sondern zumeist einfach fußläufig über die Grenze getragen. Keine Kontrolle - auf beiden Seiten. In der Dokumentation wurde eine amerikanische Bürgerin, die sich laut eigener Aussage nur etwas dazuverdienen wollte, nur erwischt, weil der von ihr mit Munition beladene Handwagen so schwer war, dass sie ihn nicht anschließend allein in den Bus hieven konnte. Trump, der permanent über alle achso gefährlichen Immigranten wettert, die seiner Verlautbarung nach allein von einer hohen, von Mexiko bezahlten Mauer aufgehalten werden könnten, sollte lieber schauen, dass nicht jeden Tag geschätzte 2000 Handfeuerwaffen illegal über die Grenze ins Land geschleppt werden können. Aber das würde wohl das Geschäft ruinieren. Ein Schelm, wer dabei Böses denkt.
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Am Tag unserer Abfahrt warten wir vor einer Fußgängerampel, die hierzulande die unmöglichste Taktung haben, die uns bisher begegnet ist. Unerklärlicherweise wird jede Fahrspur einzeln geschalten, daher wartet man gefühlt ewig. Überhaupt scheint hier jeder auf irgendetwas zu warten. Auf Grün, auf Kundschaft, auf ein Taxi oder auf einen der Busse, die so laut knattern und röhren, als hätten Jugendliche die Endschalldämpfer punktiert. Gerade als wir die gegenüber lässig wartenden Esel mustern, deren noch lässigere Besitzer sie weiß getönt und ihnen Zebrastreifen aufgemalt haben, treffen wir Paolo. Auf der Suche nach dem passenden Bus spricht er uns spontan an und gibt sich als Italiener zu erkennen. Seit Jahren lebe er nun schon in der Stadt, erklärt er. Die sei nämlich wesentlich besser als ihr Ruf. Vor einiger Zeit kam er als angehender Journalist, der eine Reportage über die amerikanisch-mexikanische Grenzregion machen wollte und sei einfach geblieben. Aus der Reportage sei inzwischen ein Buch in italienischer Sprache geworden und auch sein Abschied rücke inzwischen näher. Zum Leben würde ihm die Stadt zu gefährlich. Das würde jetzt erst richtig schlimm. Stumm deutet er auf die trockenen Kanäle, als wir eine Brücke in Sichtweite der Grenze überqueren. Deren gäbe es oberirdische und unterirdische. Darin würden Tausende Menschen wohnen. Gerade als wir zweifeln wollen, kommt eine Gestalt aus den Verließen getaumelt. Das seien wahrlich Hoffnungslose aller lateinamerikanischer Länder. Alle seien sie illegal im Land und alle warteten auf ihre Weiterreise in die Staaten, die hier aber nie geschehe. Jeden Job würden sie annehmen, der sie über die Grenze führt oder der ihnen den Übertritt finanziere. Für die Kartelle und die Schlepper seien sie ein gefundenes Fressen. Die Ausweglosigkeit, die Gewalt und überall zugänglichen Waffen bedingen ihren Tod, mit jeder weiteren Nacht. Nur die Allerhärtesten würden das überleben, das sei eine Brutstätte für Serienkiller und jene, die solche suchten. Und alles einen Steinwurf von der Grenze entfernt, die erst US amerikanische Politik zu einer solchen Grenze mache. An der Busstation, keine 300 Meter von den Kanälen verabschieden wir uns. Mit dem Bus, bequem und sicher, überqueren wir sie erneut. Es sind uns die schreiendsten Gegensätze seit Indien.
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Wir erreichen Ensenada. Gerade zwei Stunden ist es von Tijuana entfernt und doch einladend und augenscheinlich sicher genug, die Durchkommenden zum Bleiben zu bewegen. Täglich halten die Kreuzfahrtschiffe und entladen Tausende Touristen, die sich in zahlreichen Lokalen, Souvenirshops oder dem Hafen verdingen. Sie sind nicht die einzigen Besucher. Eine stattliche Kolonie großer kalifornischer Seelöwen beansprucht diverse Ausleger im Hafenbecken für sich. Um ihnen und ihrem lautstark kundgetanen Unwillen, sich auch nur ein bisschen bewegen zu wollen, nicht in die Quere zu kommen, hat man ihnen eigene Ausleger zugestanden, die sie nimmer räumen müssen. So wälzen sie sich so faul und satt, wie man es sich für ein im Grunde immer noch wildes Tier geradeso ersinnen könnte, in kühler Brise und praller Sonne. Die drei Allerfettesten liegen exponiert und ohne fremden Körperkontakt, während sich die Beta- und Omegalöwen beinahe stapeln. Schon latentes Schielen oder der gespielte Versuch des Anlandens auf einem der besten Plätze, wird mit unmissverständlichem Unken aus der Riege der Dicken quittiert. Auf dem Rücken liegend droht die Lage schon zu eskalieren, sobald sie sich um 90 Grad auf die Seite drehen müssen, nur weil es das Fußvolk noch immer nicht verstanden hat. Fasziniert ob des ständigen Hin und Hers aus Schnarchen und Brüllen, rasten wir an der Hafenkante.
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Drei Tage verweilen wir in der Stadt, in der wir uns an das normale Leben im Land und dessen allgemeine Sicherheit gewöhnen. Ein wenig verfolgt von unserer Achtsamkeit fühlen wir uns schon. Schon kleine Umwege führen uns in Gassen, denen wir nicht trauen. In Asien wären sie uns noch unbedenklich gewesen, hier dagegen sind wir stets alarmiert. Ein wenig an Gespräch und Zeit mit den Einheimischen, die in überwältigender Mehrheit nette Menschen sind, brauchen wir, um uns von dem krampfenden Gefühl zu lösen, allerorts und jederzeit einem dunklen Gesellen in die Arme zu laufen. Während wir uns gewöhnen, genießen wir die seichte Sonne am kalten Pazifik, essen Krabbencocktails und Fischtacos. In beidem haben wir wohl schon den zweiten Schritt vor dem ersten gemacht. Ein richtig vernünftiger Taco, wie er für die mexikanische Küche berühmt sein sollte, fehlt uns nämlich noch. Wir finden ihn am Tag vor unserer Abreise an einer belebten Straße abseits des Touristentrubels. Und doch stehen bei weitem nicht nur Einheimische am Stand. In der kleinen Garage dahinter findet man schon keinen Platz mehr, die Schlange davor ist lang. Im Akkord laufen schnitzeldicke Steaks über den Grill und landen keine Minute später auf dem Brett unseres Gegenübers. Schneiden, würzen, füllen. Drei Arbeitsschritte. Guacamole drauf, vier. Bevor wir es ahnen, müssen wir plötzlich bestellen. Die Fragen der Kassiererin sind reichlich viele für einen Tacostand. Disculpe, no español. Ohne Spanisch kommen wir nicht weit, also bestellen wir durch zeigen. Ein wenig schwierig ist es ja schon mit den Mexikanern, stellen wir fest. Wir versuchen unser menschenmöglichstes, um als Unverständige wahrgenommen zu werden und doch schaffen wir es nie, eine kaum verstandene Frage so zu beantworten, dass sich nicht mit irgendeiner Gegenfrage gekontert wird. Ein Spiel, dass man nicht gewinnen kann, noch nicht einmal gefühlt. Unsere Tacos erhalten wir trotzdem und die sind einfach köstlich. Hätte uns in genau diesem Moment ein orakelnder Feinschmecker prophezeit, dass uns solch saftige Genüsse im Rest das Landes nicht noch einmal begegneten, hätten wir ihn wohl für verrückt gehalten. Und doch hätte er recht behalten. Schon bald sind wir die trockenfleischigen, salatlosen, einfach nur scharfsoßigen Varianten derart leid, dass wir uns auf die restliche Landesküche oder Fastfood verlagern. Traurig, aber wahr...
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Überhaupt finden wir es bemerkenswert, wie schlecht sich doch viele Mexikaner angesichts der zuweilen grandiosen Landesküche ernähren. Ganz besonders auf der Halbinsel. Es dauert tatsächlich bis nach Guadalajara, bis wir auch in größerer Anzahl genug schlanke Menschen erspähen, um vergessen zu können, in welch ungesunder Gesellschaft wir uns bewegen. Am Essen allein liegt es nicht. Mexiko ist das Land mit dem höchsten Konsum an Softgetränken der Welt. Erstaunlich finden wir es nicht. Wann immer wir uns noch ein Bier und die Cheetos genannten Käseflips kaufen, die wir ob unserer Doppelmoral schuldbewusst auf mindestens drei Abende verteilen in einem Oxxo 24/7 Geschäft kaufen, steht vor uns in der Schlange ein Mensch mit einer Cola in der Hand. Diese ist, egal wie ungesund sie auch sein mag, noch leckerer, weil sie mit Rohrzucker gesüßt wird. Viele amerikanische Bars bewerben sie daher als besonders hochwertig und verkaufen sie an die Feinschmecker des Landes zu unerhörten Preisen. Nichtsdestotrotz bietet Mexiko auch selbst genug fantastische, eisgekühlte Getränke wie Horchata, ein leicht gebundenes Reis-Milch-Getränk, das im Idealfall wie Milchreis schmeckt; Jamaica, ein süßer Hibiskusblütentee oder Clamato, ein ungesüßter gewürzter Tomatensaft. Und alle drei sind sie eine sehr gute Wahl an heißen Tagen.
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In der Station buchen wir den Nachtbus. Die teuerste Linie, wie man uns geraten hat. Das fällt uns leicht, denn die ist hier auch die einzige. Die Distanzen sind enorm, der Nachtbus also alternativlos. Nach Guerrero Negro soll es gehen. Halbe Strecke auf der kalifornischen Halbinsel, Pazifikseite. Ob es denn sicher sei, fragen wir in der Hoffnung auf Beschwichtigung und angesichts der alternativlosen Wahl. So richtig scheint die englischsprachige Verkäuferin die Frage nicht zu verstehen. Warum sollte es denn nicht sicher sein, fragt sie zurück und beäugt uns, als hätten wir sie gerade zu paranormalen Phänomenen befragt. In diesem Raum, jetzt gerade. Nein, wir hätten wohl nichts zu befürchten. Ob wir erleichtert sind, wissen wir nicht.
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Aller Versprechung nach ist der Bus reichlich unspektakulär. Er ist groß und rot und modern. Der Platz üppig, der Fahrer ausgeschlafen. Dass er nur halb besetzt ist, erklärt seinen Preis aus beiden Blickwinkeln. Leider verwechseln die Busfahrer, wie auch in vielen anderen Ländern, Komfort mit Kälte und zwingen uns in die in Voraussicht präparierten Pullover und Wollsocken. Möglicherweise jedoch soll die Kälte auch jene undefinierbaren Düfte neutralisieren, die ihren Ursprung in der unvorteilhaften Landesküche nehmen und die ab und an durch jeden geschlossenen Raum Mexikos wehen. Klagend schauen wir so böse wir können in die hinteren Reihen, aber dort scheint bereits jeder zu schlafen. Oder ohnmächtig. So versuchen auch wir uns durch die pechschwarze Nacht und deren verlassenen Straßen zu ruhen und wachen reichlich unausgeruht am frühen Morgen im noch verlasseneren Nest Guerrero Negro wieder auf. Die Socken lassen wir an, denn es ist kalt. Das Straßenbild gleicht einer Geisterstadt, so wissen wir nicht so recht, ob wir uns gerade über Passanten freuen würden. Eines von zwei Motels der Stadt dient uns als Anlaufstation. Schockiert darüber, wie einsam es hier ist, wollen wir eh erstmal vernünftig schlafen. Dann könnten wir noch immer nach den Walen fragen, die das Nest überhaupt erst berühmt gemacht haben. Die gesamte kalifornische Halbinsel, spezieller aber noch deren Bucht, dient vielen Walarten als Kinderstube, in der sie sicher ihre Jungen gebären. Und beinahe alle größeren Wale ziehen einmal im Jahr an den Gewässern vor Guerrero Negro vorüber. Und weil man im Leben vielleicht einmal an einem solchen Ort vorbeikommt, wollen wir zumindest mal gefragt haben. Nein, erklärt uns der walkundige Motelwirt. Die letzten hätten wir um circa zwei Wochen verpasst. Schön sei's gewesen. Na toll. Genervt gehen wir wieder zurück ins Bett. Machen kann man hier eh nix, außer Filme gucken und überteuerte Tacos essen.
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Der nächste Ort wird besser, viel sogar. Wir erreichen Loreto nach aussichtsreicher Busfahrt durch die endlos schönen Kakteenfelder, für welche die Baja California so berühmt ist. Vor der gelben Steppe wirkt das eh schon blaue Meer satter, als man es sich malen könnte. Zum ersten Mal sehen wir den gleichnamigen Golf, jenes so andere Gewässer auf der anderen Seite der Halbinsel. Das ist das blaueste Meer, das ich je gesehen habe, überschlage ich mich. Xenia auch. Gemeinsam freuen wir uns aus dem Bus und werden förmlich von der Wärme erschlagen. Noch für 15 Grad Pazifikkälte gekleidet, ersticken wir bei über 30 Grad Salentowärme. Die Hitze taut uns auf und so fragen wir den vertrauenswürdigen Taxifahrer, ob er eine günstige Herberge kenne. Aber natürlich tue er das und so entlädt er uns vor einem Haus, beinahe am Strand. Der Besitzer wirkt grobschlächtig und eher aus dem Holz geschnitzt, mit dem es ein Mensch böser Absichten eher nicht aufnehmen würde. All unseren Mut zusammennehmend verhandeln wir einen Preis, der uns gerade noch erträglich scheint und der ihm keinen Anlass gibt, nachtragend zu werden. So wandeln wir gedankenverloren durch den Ort, flanieren über die ausgedehnte Promenade, die zu dieser Zeit nur wenige Besucher findet und lassen uns zum ersten Mal in Mexiko wirklich auf unser bauliches Umfeld ein. Das sonnig warme Städtchen vermittelt wenig Anlass zur Vorsicht und die unbezweifelbaren Ansichten des Bärbeißers bestärken unser Urteil. Hier bleiben wir, denn ein schöner Ort für einen Geburtstag ist es nebenher.
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Am Hafen treffen wir einen Pensionierten, der als US Amerikaner schon länger lieber hier altert, als in der Heimat. Seine unablässig zuckende Hand verrät eine Krankheit, die trockene Wärme tut ihm sicher gut. Er sieht aus wie der Weihnachtsmann: deren dicke Version auf Strandurlaub, rockertätowiert und außerhalb seiner saisonalen Tätigkeit. Ja, den spiele er hier regelmäßig für die Kinder der näheren Umgebung, wenn es soweit sei, berichtet er stolz. Zudem sehr überzeugend, glauben wir. Ja, man kenne ihn allerorts, quasi überregional. Das beste Wetter hätten wir uns ausgesucht, um herzukommen, auch die beste Zeit. Nach unserer Route fragt er uns. Ach, die würde sich ständig ändern, abhängig davon, wo wir im richtigen Mexiko ankommen wollten. Eigentlich wollten wir ja die Kupferschlucht sehen, den Grand Canyon Mexikos. Doch nun wären wir uns nicht mehr so sicher. Ja, das könne er verstehen. Prinzipiell sei die Schlucht einer der schönsten Orte des Landes, schöner sogar, als das amerikanische Original. Aber auch er könne uns die Region gerade nicht empfehlen. Dunkle Geschichten gingen da um, weniger von der Schlucht, als viel mehr von den umgebenden Ortschaften. Seit das Sinaloa Kartell vor einigen Jahren kurzzeitig zerfallen war, gibt es Erbfolgekriege über Positionen, Gebiete, Kompetenzen. Das hätte das Land erst so richtig verunsichert, denn Kartelle gab es schon immer. Nur hätten die lange weit weniger offen operiert. In den Städten wäre davon wenig zu sehen, besonders Guadalajara wäre absolut empfehlenswert. Obwohl im Kopf schon längst beschlossen, beerdigen wir den Umweg über die Kupferschlucht spätestens jetzt.
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Immer und immer wieder verlängern wir und bleiben letztlich eine ganze Woche im verschlafenen Loreto. Wir besichtigen die alte Kirche des Ortes und die ihr angeschlossene Mission, eine der ersten des Landes und die zweitälteste der Baja. Wilde Zeiten müssen das gewesen sein, als kirchliche Erzieher und Vertreter eines zur Nachahmung empfundenen Glaubens in das karge Land kamen, um den Indios zu zeigen, wie es sich richtig lebt und betet. Umso erstaunlicher finden wir es, wie erzkatholisch die Mexikaner doch sind, vor dem Hintergrund eines wohl doch nicht so freiwillig angenommenen Glaubens. Davon berichtet die Mission natürlich reichlich wenig, wenn wir auch gern glauben wollen, dass sich Europäer und Amerikaner zumindest an diesem Ort in Einklang begegneten. Zudem glauben wir nicht, dass ohne die offiziellen Erlasse der katholischen Kirche die Besiedlung Lateinamerikas wesentlich anders vonstatten gegangen wäre, als es die Geschichte zeigt. So gilt die päpstlichen Bulle von 1494 und der anschließende Vertrag von Tordesilla als eines der größtes Verbrechen der Kirche unter den vielen, die sie sich in ihrer langen Geschichte zu Schulden kommen lassen hat. Denn schließlich legitimierte sie den millionenfachen Genozid und das Auslöschen vieler präkolumbischer Kulturen, sofern sie eben nicht christianisiert werden konnten. Unter anderem wurde in den Dekreten der bisher kaum abschätzbare amerikanische Kontinent zwischen Spaniern und Portugiesen aufgeteilt und die auf dem Gebiet lebenden Ureinwohner versachlicht. Die folgenden 200 Jahre überlebten deren kaum 5 Prozent. Um die Indianer ihres Landes zu entheben, wurden sie versklavt, verkauft und in jene Minen gesteckt, die den Besatzern mit ihren Erträgen die Gunst der Kirche sichern sollten. Darüber hinaus wurden sie auf jede erdenkliche Weise ermordet, gezielt mit Krankheiten angesteckt. In der Terra Incognita Neuspanies des 16. und 17. Jahrhunderts gab es keinen Staat, keine Kontrolle, kaum Moral. Dafür Minen, Plantagen und wenige Missionare. Wer solche Taten allein in die Zeiten fehlender Gesetze und der Naturgesetze verortet, liegt falsch. Die Aussicht auf Profit und Land tötet auch heute noch zahlreiche Indianer, überall dort, wo das öffentliche Auge blind und der Schutz rar sind. Allein in Brasilien sterben noch jedes Jahr unzählige Amazonasindianer durch die Hand gewissenloser Goldwäscher, die sich mit Maschinen und Quecksilber flussaufwärts in die letzten Refugien unmissionierter Kulturen fressen.
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Täglich finden wir uns im Supermarkt wieder, der zu jeder Zeit bessere Musik spielt, als wir jemals auf einem Latinofloor einer Deutschlanddisko finden würden. Überhaupt begegnen wir im Land einem ständig guten Musikgeschmack, der vom rhythmischen Tamtam der Traditionalisten oder allgemeinverträglichem Kneipenrock dominiert und einzig vom immerdoofen Bumbum der Geschmacksverirrten durchbrochen wird. Während wir uns vom Takt fangen lassen, kaufen wir alltäglich frische Avocados, so sehr haben wir uns in der kurzen Zeit an sie gewöhnt. Wohl auch, weil sie so dankbar leicht zu essen sind. Gerade ein Messer braucht es, einen Löffel, ein wenig Salz und gern auch ein wenig Salsa, die es in zahlreichen Variationen gibt. In einem Anflug von Genialität fülle ich das Kernloch einer halben Avokado mit der pikanten Tomatensauce und fühle mich, als hätte ich eben ein globales Trendfood entwickelt. Dazu noch ein kühles Bier, was will man mehr?! Zudem essen wir inzwischen gern mindestens eine Mahlzeit am Tag derart simpel, weil uns die Baja dank ihres Inselcharakters reichlich teuer erscheint. Für Menschen mit Budget scheint sie nicht gemacht. Lediglich an meinem Geburtstag gönnen wir uns ein standesgemäßes Essen in den vielen nach Gästen schmachtenden Bistros. Auch die Margeritas schmecken, trotz des unorthodoxen Salzes an den Glasrändern. Mit jedem weiteren Tag werden die Sonnenuntergänge schöner und die Strände voller. Wir fühlen, dass es Zeit wird zu gehen. In drei Tagen schon fliegen wir auf's Festland, die zwei Nächte dazwischen werden wir protokollarisch in La Paz verbringen.
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Viel gibt es in der Regionalhauptstadt nicht zu sehen. An ihren kilometerlangen Promenaden erkennen wir, warum uns Loreto soviel besser gefallen hat. Zudem ist es aus unerklärlichen Gründen sogar noch teurer. Recht zentral schlafen wir in einem Gasthaus, in dem die urige Besitzerin zahlreiche alte Dinge zusammengetragen hat, die eher liebenswerter Krempel als Antiquität sind. Das unzweifelhafte Highlight ist ein Auto aus der Zeit der Eselskarren und ein schlecht ausgestopfter Affe hinter dem Lenkrad. So reicht es uns, am einzigen Tag, den wir uns gänzlich für La Paz reserviert haben, die vielen teils großartigen Grafittis zu bewundern, die von Menschen mit Geschick, Verstand und Moral an zahllose Hauswände gesprüht wurden. Auch bewundern wir den Effekt, den künstlerisch wertvolle Graffitis auf eine ansonsten recht triste Stadt und ihre andernfalls grauen industriebebauten Gassen auslösen können. Nein, La Paz gibt sich redlich Mühe mit seinen netten Cafés und seiner Straßenkunst, wenn es uns auch nicht nachhaltig einfangen, neudeutsch abholen, kann.
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Der Flug über den kalifornischen Golf und weiter nach Guadalajara gerät denkbar kurz. Angesichts der Fähr- und Busfahrkosten möchte man sich gern nocheinmal selbst zu der weisen Entscheidung gratulieren wider aller Intention ins Flugzeug gestiegen zu sein. Unter uns gleitet das Meer hinfort, das wir allzu schnell auch nicht wiedersehen würden. Abseits des sicheren Golfs ziehen gewaltige Stürme auf, die uns alle Lust nehmen, es nocheinmal mit dem Pazifik zu versuchen. Während wir also die kommenden zwei Wochen in Richtung der Hauptstadt reisen, verwüstet das Meer die mexikanische Westküste. Dessen Wetter würde uns dann ab der Hauptstadt ebenso verfolgen, aber das wissen wir zum Glück noch nicht. Noch knapp zwei Wochen blauen Himmels und strahlender Sonne sind uns also beschieden.
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Ein wenig mutig fühlen wir uns ja schon, als wir mit dem ganz normalen Stadtbus vom Flughafen ins Zentrum der Millionenstadt fahren. Doch während uns die Vernunft in anderen Städten des Landes dringend von derlei Unternehmungen abgeraten hätte, zwingt sie uns nun förmlich in den Bus. Denn wir haben wirklich nichts zu befürchten, außer vielleicht die nicht existenten Federn unter klapprigen Sitzen auf löchrigen Straßen. Für die letzten Meter zur Unterkunft, nehmen wir dann doch das Uber, denn laufen wollen wir nicht. Auch wenn das Unternehmen global wegen seiner indifferenten Geschäftsbedingungen in der Kritik steht, ist es für all jene, die gewöhnlichen Taxis nicht trauen, der pure Segen. Mittelfristig wird es eh zur Vermittlungsplattform autonomer Fahrten werden und daher zwangsläufig eines der größten Unternehmen der Zukunft, glauben wir. Vor allem aber, weil das System prinzipiell keinen Raum für Betrug lässt, da die Daten von Fahrer und Fahrgast nunmal niemals im Netz verschwinden. Nebenher fällt das lästige Gefeilsche um den Fahrpreis auch noch weg. Kein Wunder also, dass der größte Feind des Ubers der konventionelle Taxifahrer ist.
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Unsere Unterkunft in einer Seitenstraße des unmittelbaren Zentrums Guadalajaras, birgt eine weitere Überraschung. Wir beziehen nicht nur ein Zimmer, sondern quasi eine halbe Wohnung, die sich um einen weiten Hof hinter einer schmaler Haustür verteilen. Die Decken sind geschätzte fünf Meter hoch, so bleibt es beinahe kühl trotz mäßiger Zirkulation. Riesige Wandgemälde zieren die fensterlosen Wände. Für den Betreiber ist das Anlass genug, die wenigen Zimmer nach berühmten mexikanischen Mauern zu benennen. In der neuerlichen, stickigen Hitze der Großstadt schlafen wir schlecht, aber es muss auch mal ohne Klimaanlage gehen. Schon erstaunlich, wie schnell man sich an die Energiefresser gewöhnt. Beinahe noch erstaunlicher, wie die Menschen einst freiwillig in die Hitze zogen, möchte man meinen. So reicht es uns auch, am nächsten Tag, den Dom der Stadt zu besichtigen, die eigentlich auch nur die größte und bedeutendste der vielen Kirchen Gaudalajaras ist. Wir betreten sie gerade zur rechten Zeit. Reich gefüllt ist sie mit Gottesfürchtigen und Würdenträgern. Sakrale Klänge, wie sie kaum schöner sein könnten, begleiten uns, als wir neben den Reihen langsam nach vorn schreiten. Erst als der Sopran einsetzt, erkennen wir abseits der Kanzel die drei Musiker, deren Kehlen und Tasten sie entspringt. Wir bleiben, bis der Gesang verstummt ist und der Abt gesprochen hat. Laut richtet er seine Andacht an seine Schafe, die ihm schwarzgekleidet an den Lippen hängen. Wohlmöglich sammeln sie ihre Kräfte und Energien, um dem Unheil zu begegnen, das in Form einer großen Bühne, die eifrig hinter dem Dom montiert wird, in der Entstehung ist. Schon in zwei Tagen soll sie beginnen, die Schwulenparade, die man keinesfalls so nennen darf - eher Christopher Street Day - und die im Kern ihrer Existenz natürlich um Anerkennung und Toleranz wirbt. Ob sie da vor der Kirche an der richtigen Adresse sind, fragen wir uns. Wahrscheinlich ist der Vorplatz aber einfach die größte Freifläche im Stadtzentrum, so sind wir dennoch erstaunt, dass eine solche Veranstaltung in einem erzkatholischen Land mit anerkanntem Macho Habitus genehmigt wurde. Als die Segnungen verteilt werden, erkennen wir, dass wir wiederkommen müssen, wenn wir die Kirche nocheinmal aus der Mitte fotografieren wollen. So imposant sie auch ist, wird sie nur eine von vielen gleichwertig eindrücklichen Gebäuden bleiben, in denen die Spanier ihre Überlegenheit und sprichwörtliche Gottesfurcht zum Ausdruck brachten.
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Bevor wir im Instituto Cultural Cabañas, technisch gesehen ein Museum, verschwinden wollen, besuchen wir die nebenan gelegene Markthalle. Im obersten Stock locken hunderte Stände mit ihren lokalen Köstlichkeiten. Schon der Weg nach oben fällt uns schwer, gibt es doch derart viel an Handwerk zu entdecken. Dieses genießt im Land noch einen wesentlich höheren Stellenwert, als in anderen Industrieländern. Überhaupt ist uns, wenn wir so darüber nachdenken, noch nie derart viel an Handgemachtem begegnet. Wir glauben, dass ein nicht geringer Teil der mexikanischen Seele in jenen Waren verborgen liegt, denen man noch immer die Arbeit und das Herz ansieht, die zu ihrer Schaffung nötig waren. Hervorzuheben wären da vor allem die vielfältigen Lederwaren, die noch vielfältigere Kleidung, das Kunsthandwerk, dem sogar manches mal ein Museumsraub vorausgegangen scheint oder der recht bunte Schmuck, der unglücklicherweise genau nach Xenias Gusto geschaffen ist. Schon bald nehme ich die leider viel zu zahlreichen Märkte und Geschäftsstraßen als ernsthafte Bedrohung für unser Budget war und versuche sie zu meiden, wann immer es mir möglich ist.
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Die Ausstellung des Museums, deren beherbergender Bau in Form einer ehemaligen Mission sogar Teil des Weltkulturerbes ist, gerät uns beiden zu modern, weshalb wir doch wieder im Markt landen. Mit einer Pozole, jener landestypischen Suppe aus, Achtung, nixtamelisierten Maiskörnern, Zwiebeln, Kohl, Limette, Knoblauch, Koriander und weichgekochtem Fleisch klingt der Abend an. Der gerät musikalisch, folkloristisch. Guadalajara ist nämlich nebenher auch die Stadt des Mariachi. Das Wort mag nicht jedem ein Begriff sein, die Melodie zumeist schon. Dabei kennen wir in der Heimat zumeist genau eine Tonfolge, arttypisch eingespielt mit Violinen, Trompeten von einem traditionell in Trachten gekleidetem Kleinstorchester. Doch ist Mariachi weit mehr als das. Im oft klagend schmerzlich anmutenden Gesang findet sich die Lebensfreude der Mexikaner wieder, die es in jedem Alter verstehen zu jeder handgemachten Musik zu tanzen. Die nicht klagen, in beklagenswerten Zeiten, die sich ihre Freiräume schaffen und die stets zufrieden sind, wenn es ihnen ihr Leben gewährt. So finden wir abseits des Doms eine der vielen überdachten Kanzeln umgeben von einer Freifläche, die allein gemacht sind für die Musiker und deren Zuhörer. Auch ist das Spiel schon im Gange. Eine jede Altersgruppe hat ihren Platz gefunden und lauscht den kostenfreien Klängen. Keine drei Lieder dauert es, bis die Jungen übernehmen sollen, denn damit die Tradition nicht ausstirbt, müsste der Nachwuchs auch schon weit vor der Jugend lernen, öffentlich zu spielen. Weil wir anständige Menschen sind, bleiben wir wie die anderen weitere drei Lieder und fliehen erst in einer Kunstpause, in der den Geduldigeren, die derweil wieder vom Tanzen ins Sitzen gefunden haben, die offensichtlichen Schwierigkeiten des Mariachispiels erläutert werden.
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Noch an der Straßenecke scheint ein anderer Kleinkünstler auf die Kunstflüchtigen gewartet zu haben und begeistert seinerseits mit seinem Marionettenspiel. Dieses führt er mit seiner Heavy-Metal-Katze und dazu passenden Klängen von Queen bis Metallica so überzeugend auf, dass er nicht minder applauswürdig ist. Nach einem erlebnisreichen Tag fallen wir müde genug in die Betten, um trotz fehlender Ventilation in tiefen Schlaf zu finden.
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In Tlaquepaque finden wir eine noch sympathischere Version der Stadt, was nur insofern überrascht, da wir uns noch immer in Guadalajara befinden, nur eben in einem weit entfernten Stadtteil. Doch genau so stellen wir uns eine mexikanische Altstadt vor. Kleine, bunte Häuser in geraden Straßen, die einander rechtwinklig schneiden. Bunte Blumen hängen von den Mauern und den Fenstern. Durch die schattigen Gassen knattern noch die alten Käfer und Bullies, die im Werk von Mexiko Stadt millionenfach vom Band liefen und die in ihrer so erfolgreichen Urform bis in die Zweitausender verkauft wurden. Das Viertel ist berühmt für seine Tonwaren, deren beste Stücke das hiesige Tonmuseum zieren. Dieses ist wie so viele andere kleinere Museen des Landes kostenlos und selbstverständlich sehr interessant. Auf der Suche nach dem für Land stets erwartbaren Besonderen, dem Schrulligen oder leicht Obskuren, schlendern wir durch die schattige Hitze des Viertels. Den Mariachi finden wir zwar nicht, wohl aber ein kühles Bier und ein wenig Ruhe.
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Trockenes Land und Abermillionen Kakteen ziehen an uns vorüber. Mit ihren Verwandten auf deutschen Studentenfensterbrettern haben sie wenig gemein, weder in ihrer Form noch in der Größe. Überhaupt sind wir erstaunt, dass es zu jeder heimischen Wald- und Wiesenpflanze ein amerikanisches Kaktuspendant zu geben scheint. Weiter reisen wir nach Morelia - ein Tipp unseres Reiseführers, dem wir dankbar folgen. Ursprünglich als eine der ersten Siedlungen unter dem recht häufigen Stadtnamen Valladolid gegründet, wurde sie nach der mexikanischen Unabhängig in Morelia umbenannt. Der Name ist eine Referenz an einen Sohn der Stadt, José Maria Morelos, der sich im so bedeutsamen Unabhängigkeitskrieg verdient gemacht hatte. Sein Geburtshaus ist heute zugänglich und Wallfahrtsort andächtiger Mexikaner. Doch statt dem Haus huldigen wir lieber der beeindruckend schönen Innenstadt, die auf kleiner Fläche alte Kolonialbauten, Universitäten, ein Aquädukt und eine der imposantesten Kirchen des Landes aufbietet.
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Tatsächlich fällt es uns jetzt schon schwer, all die monumentalen Kirchen Mexikos, deren gleichrangige Vertreter uns in den nächsten Wochen regelrecht verfolgen würden, angemessen zu würdigen. Doch auch angesichts der bereits sehr schönen Kathedralen unserer Heimat, fühlen wir uns regelrecht verpflichtet diese mit Reichtum und Blut erkauften Sakralbauten als jene Meisterleistungen menschlichen Schaffens zu sehen, die sie sind. Mehr als Hundert Jahre dauerte es, das Gotteshaus Morelias mit ihren über 70 Meter hohen Türmen fertigzustellen. Schwer lassen sich noch derartige Bauvorhaben dar- oder vorstellen, gerade im Kontext anderer Kathedralen, deren Fertigstellung wie in Köln, mehrere Jahrhunderte verschlangen. Auf einer schattigen Bank sitzend mit steil nach oben geneigten Köpfen, sinnieren wir über die Absurdität ein Bauwerk zu planen, dessen Einweihung weder man selbst, noch die Kinder oder Enkel erleben würden. Und darüber, es trotz der ausbleibenden Genugtuung, das Selbstgeschaffene auch bestaunen, erleben zu können, fortwährend weiter zu bauen. Während wir so andächtig staunen, sammeln sich auf dem Vorplatz die Menschen unter schattigen Bäumen und besetzen jeden freien Platz. So schwatzen sie, trinken Kaffee oder löffeln ihre Gazpacho. Letztere ist eine, wiedereinmal nur lokale Delikatesse, die wenig mit der erfrischend kalten Tomatensuppe gemein hat, unter der ich den Begriff einst kennenlernte. Hier ist sie ein feingeschnittener Fruchtcocktail, der wahlweise mit pikanter Tomatensauce und geriebenem Feta geschichtet wird. Eine Offenbarung! So sehr wir gehofft hatten, uns damit durch die heiße Mittagshitze und durch das gesamte Land zu futtern, werden wir schon in Guanajuato enttäuscht. Gerade drei Nächte bleiben wir in der Stadt, die trotz ihrer insgesamt beachtlichen Größe im Kern doch so gemächlich ist, dass man sich in einer Enklave wähnt.
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Waren wir in Morelia noch der Meinung, dass es kaum besser werden könne, staunen wir uns tags darauf durch die bunten Gassen Guanajuatos. Der Reichtum der Stadt, der in den umliegenden Silberminen gefördert wurde, hat ihr Innerstes schön werden lassen. Der bedächtige Fortschritt der letzten Jahrzehnte hat sie erhalten. Und der Tourismus lässt sie nun erblühen. Unser recht teures Hotel findet sich in einem blau gestrichenem Innenhof an einem kleinen Platz, in dessen Mitte ein von alten Bänken gesäumter Brunnen vor sich hinplätschert. Ein wenig Italien mitten in Mexiko, wenn auch weniger subtil. Aus den 3 Nächten werden 5 - aber auch nur, weil wir unser Zimmer in Mexiko Stadt bereits vorab gebucht hatten. Die Zeit drängt wie auch die Weiterreise. Ein prinzipiell ungekanntes Gefühl dieser Tage, wenn es auch für die allermeisten der vielen Besucher simple Realität ist. Bald schon fliegen sie wieder nach Hause, während wir noch reisen dürfen. Ein halbes Jahr bleibt uns. Lang genug erschiene es den meisten, doch fühlt es sich nach knapp anderthalb Jahren Reisen verdächtig kurz an. Trotzdem erscheint uns Wehmut unangebracht, so oft wir bereits ans Ende denken. Zum einen, weil man sich nach so langer Zeit auch auf einsame Wälder, weite, oft kahle Felder und graue Städte freuen kann, die aus der Ferne eher wie blühende Landschaften, Luftkurorte und Kulturhauptstädte anmuten. Oder weil man sich nach so langer Zeit ohne Angst auf so ziemlich alles freuen kann, das kommt. Auf Familie, auf Sesshaftigkeit.
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Die vielen Gassen animieren zum Verlaufen, wenn wir auch mit Gewissheit nach höchstens 10 Minuten an einer Stelle landen, die wir kennen. Es braucht uns drei Tage, um diese Stellen schon vor dem Abzweig voraus zu ahnen. In einer der Gassen haben Kunsthandwerker Quartier bezogen, die neben Gemälden auch selbstgemachten Schmuck anbieten, den sie auf Brettern aufgesteckt durch die Gassen tragen. Ein junger Bursche hat sich derweil auf Makramé spezialisiert und knotet fleißig Schmucksteine zu Ketten und Bändern, während Xenia staunt und ich gaffe. In Tibet hatte sie sich einen daumengliedgroßen Türkisstein gekauft, der allein an einem Bändchen baumelnd aber noch kein akzeptables Schmuckstück darstellt. Von Anfang an war er für eine Makramékette vorgesehen und der Kollege scheint prädestiniert, das Projekt zu vollenden. Ein vorbeilaufendes Mädchen hilft uns zu übersetzen und den Handel inklusive aller Wünsche auf den Weg zu bringen. Morgen schon sei es soweit, dann könnten wir die fertige Kette hier wieder abholen. So freundlich, wie uns der Junge begegnet, geben wir ihm selbstverständlich den Stein mit. Und doch ärgern wir uns, über unsere naive Gutgläubigkeit. Wenn er wollte, bräuchte er die nächsten drei Tage gar nicht mehr zu kommen. Uns einfach aussitzen. Immerhin entspricht der Stein zehn solcher Ketten oder einem der arg knapp bemessenen mexikanischen Wochenlöhne. Mist, wir hatten doch die Sicherheitshinweise gelesen! Zurück wollen wir nicht mehr, denn dann offenbarten wir unsere Ressentiments. Also bangen wir, reden uns ein, dass er schon kommen wird. Am folgenden Morgen stehen wir hoffend an gleicher Stelle zur vereinbarten Zeit. Niemand da. Keiner kommt. Wir fühlen uns unserer Dummheit überführt, die in klar verständlichen Spielregeln definiert: traue niemandem! Niemals. Erst recht nicht, wenn es um Besitz geht. Dein Eigen. Die ganze Welt will dich betrügen, beklauen, verarmen. Jeder. Immer. Würdest du ja auch so machen. Oder?! Und doch kommt mit einer Stunde Verspätung der Schmuckmann. Unser Fehler, natürlich. Wir hatten mit 12 Uhr gerechnet, also auch wirklich. Dabei wissen wir doch eigentlich, dass 12 Uhr in Mexiko eher so 13 Uhr in echt sind, auch wenn die Kirchenuhr 12 zeigt. Noch in Guadalajara hatte uns ein junger Mexikaner ehrfurchtsvoll erklärt, dass die Deutschen so erstaunlich seien, weil sie pünktlich wären. Also 12 hieße 12. Immer. Das sei einfach bewundernswert. Kein Wunder, dass wir so erfolgreich sind. Die Kette ist im Übrigen sehr gelungen. Die Selbstverständlichkeit, mit der wir sie erhalten, überführt uns als voreingenommen. Wie die all die anderen Übervorsichtigen und Angstgehemmten.
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Allzu oft landen wir auf unseren kurzen Wegen durch die kleine Stadt auf dem Vorplatz der, Trommelwirbel, zentralsten Kirche. Die ist alt, aber nicht groß und steht heute neben dem Juarez Theater. Des Abends sammeln sich hier die in schwarze Trachten gekleideten Minnesänger, die inklusive eines vollen portablen Orchesters die Besucherscharen durch die schummrigen Gassen führen und trällern. Natürlich will uns ein jeder ein solches Ticket verkaufen. Doch ob nun gesungen oder nicht, verstehen wollen wir es schon. Auch wenn wir inzwischen schon so einiges verstehen, hinken wir mit unserem Lernvorhaben und sind daher nicht sonderlich zu motivieren. Ins Theater schaffen wir es dagegen. Das ist eine wahre Perle und noch immer im glaubhaft opulenten Zustand seiner Eröffnung zur letzten Jahrhundertwende. Weite Treppen und Säle, schmale Klappsitze, dunkles Holz und weiche Polster. Ein Bauwerk aus der Zeit regionalen Überflusses. In die Minen schaffen wir es nicht, wir glauben ihnen auch so, dass sie reich gefüllt waren. Über 200 Jahre, heißt es, wurde ein Drittel allen Silbers dieser Erde allein in und um Guanajuato zu Tage gebracht. Heute lohne sich die Förderung schon gar nicht mehr, denn es gebe wohl zuviel. Silber, wohl gemerkt. Das was sich noch gelohnt hat, liegt und glitzert in den vielen Auslagen. Es ist günstig und allzu oft auch schön genug.
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Am Abend sitzen wir in einem der vielen hippen Bars der Stadt, die so gut in die Altstadt passen. Inzwischen wähnen wir uns in dem Geheimtipp Mexikos überhaupt, sofern man sich allein auf das Grundgefühl verlässt. Angesichts der vielen Touristen aus Amerika und Europa kann es gar nicht so geheim sein, glauben wir, während unter uns der wohl schlechteste Straßensänger der Welt, offenbar leidend, sein Bestes gibt. Und doch treffen wir spätestens ab Mexiko Stadt fortwährend andere Reisende, die offenbar noch nie etwas von Guanajuato gehört haben. Guana... was? Dann holen sie ihre Stifte heraus und notieren das Unaussprechliche. Kaum bricht die Nacht herein, lichtet sich der in den wenigen Straßen der Stadt eh schon spärliche Verkehr. Zumindest das, was sich trotz der beinahe komplett untertunnelten Innenstadt dennoch in das überirdische Einbahnstraßengewirr gewagt hatte. Sie schaffen Platz für die Chaoten. Wer sich in Deutschland schon so manches mal über postpubertäre Krawallbrüder aufregen musste, die zwanghaft der gesamten Öffentlichkeit ihren zumeist unsäglichen Geschmack offenbaren müssen, war wohl noch nie in Mexiko und erst recht nicht hier. Wir ertappen uns selbst dabei, wie wir die Unbelehrbaren mit einem derart belehrenden Kopfschütteln bedenken, wie es so anklagend selbst die meisten Rentner nicht besser hinbekommen hätten und schauen wir ihnen dennoch grinsend hinterher, sobald sie es selbst nicht mehr sehen können. Nochmals: die aus den Fahrzeugen dröhnende Musik, ist lauter, als alles, was ein Deutscher sich vorzustellen im Stande ist, garantiert gehör- und hirnschädigend und definitiv zu laut, als dass die im Innenraum Sitzenden überhaupt noch zwischen den einzelnen Liedern unterscheiden könnten. Erst nach Mitternacht verschwinden die Feierbiester und gönnen uns die ersehnte Ruhe.
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Der berühmteste Sohn der Stadt führt uns in sein Elternhaus. Diego Rivera ist und bleibt Mexikos berühmtester Maler, nicht nur wegen seiner optisch grotesken Vermählung mit der Nationalheldin Frida Kahlo. Ihr Haus werden wir in Mexiko Stadt sehen, Diegos gibt uns allein schon einen Vorgeschmack auf seine Kunst. Trotz des weltweiten Ruhmes, der ihn schon zu Lebzeiten anhaftete und der als einzige Erklärung dienen kann, wie ein derart unförmiger Mann solch ein Casanova zu sein vermochte, war er als überzeugter Marxist kein gern gesehener Gast in seiner erzkapitalistischen Geburtsstadt. Und weil der Tag auch nach der Besichtigung noch jung ist, laufen wir in das obskureste Museum unserer bisherigen Reise: das Leichenmuseum. Die trockenen, mineralischen Böden der Region sind nämlich nicht besonders förderlich bei der Zersetzung der Verstorbenen. So kam es, dass man auch Jahrzehnte nach der Beisetzung noch vollständig intakte, mumifizierte Leichen aus ihren Gräbern hob. Natürlich fragte man sich, wohin mit den Körpern. Und die vielleicht banalste und zugleich überraschendste Lösung, war die Zurschaustellung aller von verstörten Angehörigen unbeanspruchten Leichen. Prinzipiell erkannten die Offiziellen der Stadt diese nämlich als Volkseigentum, welches der Allgemeinheit zugänglich gemacht werden sollte. Die Ausstellung mag selbst unsereins pietätlos erscheinen, ist für einen derart in der Gesellschaft gelebten Totenkult aber mehr als verständlich. Wie das andererseits mit der Kirche vereinbar ist, die im Land und einer Mehrheit gefolgstreuer Schafe nicht weniger unangreifbar ist, fragen wir uns. Die einfache Antwort: gar nicht. Und dennoch hat es die katholische Kirche mit all ihren Dogmen und Drohszenarien in der chronischen Vereinnahmung Mittelamerikas nie geschafft, einen von den Ureinwohnern übernommenen Kult auszumerzen. So durchlaufen wir die dunklen Räume, deren Erlebniswert sich recht schnell abnutzt, wenn wir die ehemals Lebendigen wahrlich nur als tote Körper wahrnehmen. Die Sensation entsteht erst durch das Begreifliche und durch die Vorstellung, dass die das hier wirklich machen, die Mexikaner. In zehn Minuten sehen wir sicher hundert Tote, wenn nicht mehr. Alte und Junge, Männer und Frauen. Dicke, Dünne, Schwangere, Erhängte, Erdolchte, Ertrunkene. Intakte und weniger Intakte. Erst zum Schluss wird's nocheinmal makaber, als man sich auf einer Bank mit einer echten Mumie im Arm ablichten lassen kann oder sich in ein Grab mit Nachbarn stellt. Wir wählen letzteres, sonst glaubt uns das ja keiner!
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Die Großstadt naht, wenn nicht sogar die größte Stadt der Welt. Doch bevor wir anlanden, gönnen wir uns noch einen Tag Ruhe in Guanajuatos Nachbarort San Miguel de Allende. Gerade eine gute Stunde liegt er entfernt, was im überraschend großen Land Mexiko wirklich einen Katzensprung bedeutet. Sicher hätte man länger bleiben können, denn das fotogene Städtchen gibt es ohne Frage her. Doch kann man soviel weniger machen. In unserem Reiseführer sehen wir ein Bild, für das San Miguel geradezu ikonisch ist. Eine kopfsteingepflasterte Gasse, keine Autos, bunte Häuserfassaden und eine abermals imposante Kirche im Hintergrund. Selten kommt es vor, dass wir als Touristen genau das Bild schießen können, wie wir es im Prospekt sehen und doch passt heute alles. Kein Auto steht uns im Weg, die Sonne scheint, noch, und die Perspektive stimmt. Allein dafür hat es sich gelohnt, herzukommen. Zufrieden klettern wir über weitere Gassen den Berg empor, auf der Suche nach einer Aussicht, die, als wir sie finden, ihr Versprechen hält und so für den mühsamen Aufstieg entschädigt. Genauso wie der erlebnisreiche Abstieg. Die vielen am Berg mäandernden Gässchen zwischen den einzelnen Querstraßen sind mitunter so schmal geraten, dass sie beinahe ausschließlich als Einbahnstraßen gekennzeichnet sind. Da heute eine der wichtigsten Verbindungsstraßen gebaut wird, muss der Verkehr durch eine noch engere Gasse umgeleitet werden. Und da in Mexiko die größeren Polizeiwagen, die bei uns nur Mehrpersoneneinheiten heißen, mit amerikanischem Standardmaß um einiges breiter sind, als die meisten gewöhnlichen Autos, steckt genau ein solches in einer der Gassen fest. Was für ein Spektakel. Und weil wir wirklich durch genau diese Gasse zurücklaufen müssen, sind auch wir zum Warten verpflichtet. Es bleibt aber auch spannend. In sicher zwanzig Manövrierbewegungen schafft es das Fahrzeug hustend, schnaufend und grauwolkig die Luft verpestend, rückwärts aus der leichten Kurve den Berg hinauf. Wie das Auto allerdings am hinter ihm wartenden Einbahnstraßenverkehr vorbeikommt, erfahren wir nicht mehr.
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Die Abendluft liegt schwer und die Wolken hängen tief, als wir wieder das Stadtzentrum erreichen. Seit Stunden schon brodelt es über unseren Köpfen und doch begreifen wir das Unwetter erst, als es sprichwörtlich über uns hereinbricht. Wir sind so überrascht, dass wir vergessen uns noch schnell halbwegs trocken in eines der vielen Restaurants zu retten, in den zwei Minuten, die uns geblieben wären. Nun stehen wir dicht gedrängt inmitten von vielen anderen Überraschten unter einem Dachvorsprung, bewegungslos, gedankenlos. Es dauert seine fünf Minuten, bis wir unsere Lage erkennen. Trocken kommen wir nirgendwo mehr hin und die Kirche ist nah. Die ersten Straßen sind bereits geflutet, als wir die 50 Meter bis zur Kirche überwinden und durch ihre Tore flüchten. So gut besucht war sie sicher schon lang nicht mehr, denn wir sind froh, dass wir noch zwei Plätze in der letzten Reihe ergattern. Und doch sitzt es sich für gewöhnlich eh am besten in der letzten Reihe eines Gotteshauses. So warten wir und warten, während sich vor den  Toren der Gewitterguss in jeder Minute weiter zu steigern scheint. So einen Regen habe ich noch nie erlebt, sage ich zu Xenia, ohne mir selbst mit Gewissheit glauben zu können. Beide lauschen wir und warten auf ein Abnehmen, denn der Hunger kommt und eine nasse Kälte zieht durch die Halle, die uns in die Sommerkleider kriecht.
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Das Warten kommt uns ewig vor. Es mag am Hunger liegen oder am Gebäude. Erste flache Pfützen durchziehen bereits die hintersten Reihen, als wir ein nahes Restaurant als Ziel bestimmen und schnellstmöglich durch den inzwischen flacheren Regen stürmen. Was vor wenigen Stunden noch kopfsteingepflasterte Straßen waren, sind nun Wildbäche, welche die Gehwege voneinander trennen. Während wir sie durchwaten, treten wir durch Schlick und Geröll, den das Wasser von den Hängen in die Stadt gespült hat. Irgendwie erreichen wir das recht leere Restaurant auf der anderen Seite. Wir sind so froh, weich und trocken zu sitzen, dass wir auch die Preise akzeptieren, die sich eher an die Tagestouristen der Hauptstadt richten, als an uns. Während wir die Karte nach den günstigsten Preisen absuchen, erreichen zwei weitere Durchnässte das rettende Lokal. Schnell erkennen wir sie als Leidensgenossen und Seelenverwandte.
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Es sind Maurice aus Freiburg und Lucia aus Neapel. Beide sind sie in der Stadt gestrandet, leben und arbeiten im Land. Natürlich kommen wir auf unsere Erfahrungen zu sprechen. Lucia, die als Italienerin schon eher an eine gewisse Machokultur gewohnt ist, bemängelt und erkennt die patriarchale Gesellschaft als grundsätzliches Problem Mexikos. Respekt verschafften sich Männer zuvorderst durch entschlossenes Handeln und der immer latent anklingenden Gewaltandrohung bei jeder Auseinandersetzung. Dabei finde die meiste Gewalt im Land immer noch hinter den Türen statt. Gewalt in den Familien, Gewalt gegen Frauen sei hierzulande ein ernstzunehmendes, oft verschwiegenes Problem. Selbst unter den Frauen, die sie kenne, würde es kleingeredet. Und wer schon seine eigene Frau schlage, wer würde dann nicht einen Gegner im Streit, egal welchen Ursprungs, zumindest ernsthaft bedrohen. Eine solche Gesellschaft sei demnach offen für Probleme und ein guter Nährboden für Kriminalität. Zudem zählten Menschenleben hier einfach nicht viel. Schon gar nicht für die Mafia. Die fände immer jemanden, der allein für die Aussicht auf ein besseres Leben morden würde. Das unterscheide sie von der italienischen Mafia. Die wäre nämlich wesentlich netter, umsichtiger und sauberer. Seien wir mal ehrlich, beginnt sie. Eigentlich sei doch der Süden Italiens nicht weniger korrupt, als der Großteil Mexikos. Doch würde die Mafia dort jeden gleich umlegen, wäre sie doch bei weitem nicht so geduldet. Viele in ihrer Heimat hielten die Mafia für verlässlicher als die Kommunalpolitik. Und dass man sich dabei letztlich selbst in die Tasche lüge, sei den meisten Italienern durchaus bewusst. Aber man mache sich eben auch keine neuen Probleme, die kurzfristig weit schlimmer wären, als langfristig. Und vorallem könne man ihr aus dem Weg gehen, wenn man wolle. Anders sei es hier. So ziemlich jeder junge Mann ohne Perspektive müsse sich an irgendeinem Punkt im Leben aktiv für die helle oder die dunkle Seite entscheiden. Und dabei gebe es nicht wenige, die letzteres wählten. Wenn man sich nur nicht erwischen lasse bei dem ein oder anderen krummen Ding, sei das sogar gesellschaftlich akzeptiert. Zudem bekämen doch sehr viele mexikanische Mädchen schon sehr früh Kinder. Einen Eindruck, den wir bestätigen können, denn ein ähnlicher Kinderreichtum begegnete uns zuletzt in der Türkei. Allein in ihrem näheren Umfeld, erklärt sie, gebe es mehrere Mädchen, die ohne irgendwelche Sicherheiten Eltern würden. 'Irgendwie wird das schon' sei hier mehr als ein Credo. Viel eher sei das schon Teil einer Identität. Der Zwang zum einem, wenn schon nicht gesicherten, zumindest ausreichenden Einkommen legitimiere förmlich den Gang in die Kriminalität. Der Mindestlohn, einen festen Job vorausgesetzt, liege im Moment bei 150 Dollar im Monat.
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Und doch stellen wir fest, dass wir alle dieses Land mögen, das so vielfältig ist und das doch so viele Probleme hat. Immerhin haben wir als Touristen recht wenig zu befürchten. Schließlich bewegen wir uns zumeist in dem Teil des Landes und der Gesellschaft, die vielen Einheimischen größtenteils verwehrt und verborgen bleiben. Auf dieser Seite bewegen wir uns in modernen Bussen, schlafen in weichen Betten und reisen sicher. Wir geben zu, dass wir es nach dem so bedenkenlosen Asien mehr als ungewöhnlich finden, uns immer vorab bilden und auf unser Bauchgefühl hören zu müssen. Doch sind wir bereits gespannt genug, auf das Kommende. Mexiko hat uns überrascht und wird es weiter, soviel ist sicher!
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