somebody somewhere
  • Reise
  • Weg
  • Länder
    • Neuseeland
    • Australien
    • Malaysia & Singapur
    • Thailand
    • Indonesien
    • Laos
    • Kambodscha
    • Vietnam
    • China
    • Nepal
  • Galerie
  • Notizen
  • Über uns
    • Planung
    • Ausstattung
    • Technik
    • Bücher
  • Kontakt

Auf dem Weg um die Welt


​...und zu allem was dazwischen liegt

Transit - über's Meer und durch die Wüste

12/9/2017

0 Kommentare

 
Unsere Nacht auf dem Doppelstockbett endet denkbar schnell, denn heute dürfen wir nichts, rein gar nichts anbrennen lassen. Zuerst müssen wir in die Usbekische Botschaft die Visa abholen, davon dann Farbkopien machen lassen und damit gleich weiter in die Turkmenische Botschaft fahren, um das Transitvisum zu beantragen. Und das alles zwischen exakt 9 bis 11. Der Plan: mit dem usbekischen Visum in der Tasche das turkmenische Transitvisum beantragen, dann von Teheran nach Mashhad reisen, das Visum dort im zuständigen Konsulat abholen, in Mashhad über die Grenze und weiter durch turkmenische Ödnis bis nach Buchara. Entfernung etwa 1200 Kilometer, Planzeit 5 Tage. So weit, so gut. Pünktlich um 9 stehen wir also vor dem Tor der Usbekischen Botschaft. Keiner da, ein gutes Zeichen. Nach etwa 10 Minuten kommt die Botschaftsangestellte angewackelt. Bis wir das Visum in unseren Händen halten, vergeht eine der längsten halben Stunden, an die wir uns erinnern können. Mit Kopieren ist es nun bereits um 10. Wir stoppen ein Taxi, das ich allein durch Gesten durch den morgentlichen Verkehr navigiere. Normale Botschaften liegen in weitläufigen Vierteln an großen Straßen. Die Turkmenen jedoch haben ihres in eine neureiche Wohngegend voller Parks und Alleen gesetzt. Stolz wie Oskar finden wir die Botschaft im ersten Versuch eine halbe Stunde vor Schluss. Der obligatorische Botschaftswächter verweist freundlich auf ein Fenster etwas abseits des Haupteingangs. Dort hängt ein Schild. Das ist sehr schlecht...
Bild
Freundlich weist die turkmenische Botschaft alle Antragsteller darauf hin, dass in der kommenden Woche keine Visaanträge bearbeitet werden können. Die kommende Woche ist unsere letzte Woche im Iran. Na toll! Der Wächter gestikuliert uns, wir sollten an dem Fenster klopfen. Nach 5 Minuten vehementen Klopfens öffnet sich das Fenster. Wir erklären uns, bitten und beten. Nein, kein Weg. Wir könnten auf den Generalkonsular warten, der sollte in etwa 2 Stunden eintreffen. Doch auch er kann uns nichts ausstellen, nicht helfen, nicht anrufen, kann gar nichts. Erst recht kann er uns nicht sagen, ob ein anderes Konsulat in der Zwischenzeit Visa ausstellt. Tolle Wurst. Resigniert fahren wir zurück und recherchieren. Flüge sind zu teuer, auf Verdacht nach Mashhad zu fahren, wäre auch riskant. Während ich schon resigniert nach dem aserbaidschanischen Visum schaue, bekommt Xenia per Telefon traurige Gewissheit. Aufgrund einer im kommenden Monat stattfindenden Olympiade wurden alle Touristenvisa vorläufig gestoppt. Und ja, das wäre ihr Ernst.
Während wir noch köpferauchend Ideen brüten, baut sich schon die Seite mit den aserbaidschanischen E-Visa auf. Das muss doch ein Zeichen sein. Seit diesem Jahr gibt es das aserbaidschanische Visum, das vormals zu den teuersten und damit nutzlosesten Visa überhaupt gehört hat, bequem online für schmale 20 Dollar pro Person. Anscheinend wollen die jetzt wirklich Touristen. Bearbeitung 2 Werktage. Auf geht's! Wir werden also schon am kommenden Abend nach Tabriz fahren und von dort weiter über Astara nach Baku. Von dort geht ab und an eine Fähre nach Aktau in Kasachstan. Über Aktau führt eine Straße durch die Kasalkum Wüste in den Norden Usbekistans. Dort müssen wir dann noch durch die Steppe bis nach Buchara kommen. Insgesamt etwa 3000 Kilometer per Land und 400 zur See. Planzeit in etwa 10 Tage. Na dann, auf ins Abenteuer!
Am kommenden Morgen sitzen wir dennoch in der pakistanischen Botschaft. Irgendwie wäre es schön, über den Karakorum im Norden Pakistans von China nach Indien reisen zu können. Auch aufgrund unserer Bedenken, ist der Ausgang noch ungewiss. Dabei haben wir eher Sorgen, zu spät in Pakistan anzukommen, um die bis zu 5000 Meter hohen Pässe überwinden zu können, als dass uns potentielle Terroristen in Schrecken versetzen könnten. Denn bei aller Vorsicht ist die reellste Gefahr für Leib und Leben nun einmal der Busverkehr. Im übrigen empfinden wir uns nicht minder vorsichtig als andere Weltreisende, die soweit wir ihnen folgen können, alle gute Erfahrungen gemacht haben. Das deutsche Konsulat sieht das aufgrund eigener Richtlinien und Versicherungsfragen natürlich anders, weswegen wir unbedingt vermeiden wollen, das Visum im Heimatland inklusive eines Erlaubnisbriefes beantragen zu müssen. Dazu müssen wir den Botschafter sprechen. Speziell der pakistanische Generalkonsular in Teheran soll ja ein außergewöhnlich freundlicher Zeitgenosse sein, der aufgrund der Einfachheit auch gerne Visa an Weltreisende verschenkt. So warten wir 4 Stunden auf ein Gespräch mit dem Konsular, der uns nach unserer geplanten Reiseroute befragt und uns dann wärmstens sein Land empfiehlt. Allerdings könnte er hier und heute wenig für uns tun und den Erlaubnisbrief könne er uns nicht ersparen. Wir sollten es aber gern noch einmal bei seinen Kollegen in Tashkent oder Bishkek versuchen. Aber auch er bestätigt uns noch einmal unsere Vermutung, dass die westliche Angst vor Terrorakten aller Art einfach unverhältnismäßig sei. So üben wir uns wiedereinmal in Geduld, bedanken uns brav und hoffen auf ein glückliches Ende in diesem Vorhaben.
Bild
Der Bus geht spät, das ist auch gut so. Wir haben uns für den Nachtbus nach Tabriz entschieden, der wie schon in der Türkei einen Standard wie im Flieger anbietet. So erreichen wir die inoffizielle Teppichbazaarhauptstadt am frühen Morgen. Für die Stadt inklusive des Bazaars haben wir einen Tag eingeplant, den es am Ende nicht gebraucht hätte. Irgendwie nichts los hier. Die Iraner hingegen mögen das Land aufgrund der Menschen, die vorrangig Kurden, Türken und Azeri sind. Was die Stadt also nicht bieten kann, übernimmt das freundlich lustige Gemüt der Einheimischen. Klingt für uns wie die persische Version von Köln. Was dem Kölner sein Dom, scheint dem Tabrizer sein Bazaar, übrigens auch Weltkulturerbe. Wir besorgen noch das Nötigste und fahren tags darauf weiter nach Astara, mal wieder ein echter Ritt. Der Bus, ein alter Benz, wurde vermutlich in den 70gern gebaut und bestuhlt, was sich vorallem im Platz niederschlägt. Doch zumindest fährt er und zuckelt in knapp 8 Stunden an die Grenze.
Bild
Die letzte Anspannung verfliegt nach der anschließenden Befragung durch den Grenzbeamten, der sich geduldig neben uns setzt und bei dem mögliche Unregelmäßigkeiten noch hätten auffliegen können. Doch scheint er seine Pappenheimer zu kennen und umgeht zielgerichtet jede Frage die uns gefährlich werden könnte. Die Aserbaidschaner nehmen es da nicht weniger genau. Mit ihren militärgrünen Uniformen und den lächerlich großen Hüten erinnern sie uns ein wenig an die Kims. Böse Gesichter suggerieren kalten Krieg. Doch scheinen sie bestens gelaunt, als Xenia ihre Russischkenntnisse offenbart, was sofort in einem kleinen Schwätzchen mit der Gepäckkontrolle endet. Kontrolliert wird dann auch nicht mehr, was uns rechter sein sollte, als ihnen. Mit Glück erwischen wir noch den letzten Bus in die Hauptstadt, der bereits so voll ist, dass man uns Plastikhocker im Mittelgang androht. Doch soweit kommt es dann doch nicht, weil immer noch ein Kind auf den Schoß der zugehörigen Mutter gesetzt werden kann. Weitere 7 Stunden Fahrt vergehen. Kurz vor Ziel raucht der Bus, ein panischer Impuls durchzieht die letzten Reihen. Bis der Fahrer es schafft, die hintere Tür zu öffnen, hätte es im wirklichen Ernstfall wohl schon Opfer gegeben. Während innen die Kinder und Omas schreien, repariert er seinen rauchenden Motor. Bei allem Pragmatismus möchte man als Deutscher gerne einschreiten, fragen, was in so manchem kleinen Busfahrerhirn los ist. Doch die pure Wut ebbt schnell ab, wir sind ja nicht in Deutschland. Und hey, ist doch nichts passiert. Während sich die Fahrgäste auf die Taxis verteilen, schaut die Polizei in ihren nagelneuen Flitzern aus der bayrischen Landeshauptstadt vorbei, fragt was los ist. Ja, der Bus raucht. Brennt er? Nö, ok dann bis später...
Bild
Bild
Bild
Im Hostel sind Chef und Besitzer gerade bei der Übergabe. Wir erklären unser Projekt, auf das die beiden schon bestens vorbereitet sind. Dem Anschein nach kommen  Rucksackreisende vorrangig nach Baku um im Anschluss weiter nach Aktau zu reisen, zumindest all jene, die zuvor bereits Georgien und oder den Iran besuchten. So finden wir in den nächsten Tagen eine bunte Truppe vor, die alle Langzeitreisende auf dem Weg in den Osten zu sein scheinen.
Bild
Bild
In 5 Tagen geht das nächste Boot, macht für uns 4 Nächte, in einer Stadt, in der es sich durchaus leben lässt. Klar, Baku in all seiner Moderne, die keine 20 Kilometer vor der Stadt abrupt endet, umweht der Dunst der Korruption, der unvergängliche Gestank der Ungleichheit zwischen den Wenigen und den Vielen. Doch würden wir lügen, wenn wir die zwischenzeitliche Einfachheit der Organisation, die Parks und Boulevards, die den meisten Einheimischen weit weniger bieten können, als uns reich budgetierten Westeuropäern, nicht zu schätzen wüssten. An der Wasserfront feiert ein Hochhaushotel sein Fünfjähriges, während um den Hafen immer neue spiegelverglaste Büroflächen entstehen, deren Zweck sich unserer Vorstellungskraft entzieht. Wo wir bisher Länder wie Indien als Paradebeispiele der Ungleichheit anführen, sehen wir wie sich am Formel 1 Pavillion mitten vor dem Parlamentsgebäude  die Nobelkarossen durch den dichten Verkehr bewegen, während der Putzfrau im Hostel ungewollt die Tränen in die Augen steigen, weil sie nicht weiß, wie sie von ihren 100 Dollar Monatsverdienst über die Runden kommen soll...
Bild
So verliert Baku viel seiner nicht zu leugnenden Schönheit, die zwischen stilechtem Pomp und gutgepflegter Tradition mäandert, schon auf den zweiten Blick. Bezeichnend, dass es uns gerade einmal 3 Nächte in einem innerstädtischen Hostel gebraucht hat um hinter die Fassade zu schauen. Ihren Erbauern hätten wir zumindest eine gewisse gesellschaftliche Blickdichte mit auf den Weg gegeben. Davon ist in der Altstadt sicher wenig zu sehen, die um den Jungfrauenturm mit allem notwendigen Aufwand hergerichtet wurde. Ihre dicken Stadtmauern umfassen die alten Gebäude, die zum Weltkulturerbe gehören und deren Erhalt als Teil der überschaubaren aserbaidschanischen Identität  als ebenso unmissverständlich und gewollt aufgefasst werden kann. Was an Baku an bauhistorischer Substanz zu wenig zu haben scheint, erschaffen sie sich nun neu aus Glas, Beton, Metall und ordentlich Mammon. Eine plastische Welt, deren oberflächlicher Wirkung man sich nur schwer entziehen kann. Die Vergleiche zu Dubai wirken daher auch nicht allzu weit hergeholt, als Vorbild dient es sicher allemal. Über der abendlichen Lichter- und Glitzerwelt präsentieren sich die bunt leuchtenden Flammentürme als neuerliches Wahrzeichen dieser Stadt. Während unser Blick sich ungewollt ein ums andere mal auf den nach Aufmerksamkeit schreienden Hochhäusern richtet, flanieren wir durch die immer enger werdenden Gassen. Wir finden ein Eis und rasten im Abendlicht an einem alten Brunnen, zu den unwiderstehlichen Klängen zeitloser Akkordeonmusik, die wir eher in den Gassen des Montmartre verortet hätten. In Ruhe überlegen wir, wie wir den nächsten Tag Warten gestalten könnten. So lassen wir die Tagesausflugsmafia, die mit einem wahren Korb an Sehenswürdigkeiten aufwartet, links liegen und versuchen tags darauf unser eigenes Glück auf dem Weg zu den Schlammvulkanen und Flammen aus der Erde.
Bild
Bild
Bild
Bild
Querfeldein suchen wir uns den Weg durch den Staub gute 50 Kilometer vor der Großstadt, als uns ein Taxifahrer entgegen kommt. So richtig ernst meint er es nicht mit der Bescheißerei, willigt schon beim zweiten Nachhaken auf unseren vorgeschlagenen Preis ein, obwohl seine Position im schattigen Gefährt mitten im Nichts wesentlich vorteilhafter war, als unsere. Auf staubigen Wegen finden wir die blubbernden Quellen, die eher seichte Schlammgeysire als denn gleich deren Vulkane sind. So etwas hätte man uns mal als Kinder zeigen müssen. Der Schlamm ist kalt und ungefährlich, zumindest nachdem in den vergangenen Jahren der Druck spürbar nachgelassen hat und man sauber hin und wieder zurück kommt. Wenn man denn will vorausgesetzt. Der Spaß steigt, nachdem wir herausfinden, wie wir mit ausgetrockneten Schlammstücken den Druck in den Minikratern erhöhen und so den nächsten Ausbruch provozieren können. Der Taxifahrer sieht uns die Kindereien nach, wenngleich er nach einer Stunde vor dem blubbernden Schlammkegeln die Lust zu verlieren scheint. Wir überreden ihn, uns zum passenden Bus zu bringen, der sofort den regulären Preis abfragt und uns so die Stimmung verdirbt. Der letzte, weniger schöne, kostete uns das Sechsfache. Im Übrigen immer noch günstig... Der anschließende Taxifahrer versteht nur Flammen aus dem Berg und bringt uns zu irgendeinem zorastrischen Tempel. Die Zorastrier heißen hier auch Feueranbeter, also im gröbsten Sinne hatte er recht. Nach der vorübergehenden Rückkehr in unser Hostel, finden wir doch noch die besagten Flammen, die tatsächlich heiß und leuchtend seit Ewigkeiten aus der Erde brennen. Nur ein weiterer Beleg, dass das Öl und Gas im Lande nicht besonders tief liegen kann. Kleine Pumpen stehen überall abseits des Weges und sogar auf Parkplätzen im unmittelbaren Stadtgebiet Bakus und fördern unaufhörlich das schwarze Gold. Wo sich ungewollte Blicke mit wenig Aufwand vermeiden lassen, sammelt es sich in breiten schwarzen Pfützen im trockenen Staub, im faszinierenden Dunkel spiegelt es die Landschaft und die Gesellschaft.
Bild
Bild
Bereits am vierten Tag treffen wir die vielgerühmte Vicky, die im Containerhafen vor der Stadt die Fährtickets verhökert. Doch weil der Teufel ein Eichhörnchen ist, muss Vickys Bürocontainer genau heute versetzt werden. Vermutlich hatten die Hafensecurities keine Lust mehr, die ganzen Rucksackreisenden zu Vicky zu schleusen und verlegen nun kurzerhand ihr Büro vor deren Büro. Weil es gilt am Tag der Abfahrt da und bereit zu sein, haben sich schon alle Mitfahrwilligen eingefunden. Unter vielen anderen auch Linda und Michel aus Frankreich. Die letzten Wochen reisten sie per Anhalter bis nach Baku und sind auf dem Sprung bis mindestens China, eher Indien. Dem Anschein nach reisen Franzosen vorzugsweise per Anhalter, denn irgendwie erinnert uns ihre Geschichte an unseren neuerlichen Freund Mathieu, der auch per Anhalter für maximal 10 Dollar am Tag reist und nun fest entschlossen scheint, auch die Fähre selbst per Anhalter zu erwischen. Noch hält er sich im Hintergrund, versucht mit seinem wunderbar in russischer Sprache gelernten Text seine Chancen auszuloten.
Bild
In den letzten Nächten hatten wir einiges an Spaß mit ihm und Ben, einem jungen Deutschen, saßen stets bis um 3 und philosophierten über das Leben und die Gesellschaft. Wie wir selbst, glauben die beiden auch an eine neue, unweigerlich linksorientierte Gesellschaft, die zwangsläufig aus der globalen Ungleichheit entstehen müsse. Die alten Eliten können sich schlicht nicht mehr auf Einschüchterung und Desinformation verlassen, da dies in unserer Informationsgesellschaft nicht mehr möglich sein wird. Was bisher noch zu fehlen scheint, ist der Wille zur Beseitigung des Bestehenden und wir sind mehr als überrascht, dass man es allem Anschein nach wirklich darauf ankommen lassen will. Denn an global stattfindenden Revolutionen in heutiger Zeit kann ein klar denkender Mensch ja kein Interesse haben.
Doch zurück zur Fähre. Nach 2 Stunden ist der Container aufgestellt und Vicky sitzt in ihrem Stuhl. Die Tickets werden ausgegeben, noch um 10 am selben Abend sollten wir uns sicherheitshalber am Terminal in Alat, 70 Kilometer vor Baku, einfinden. Gut, frühs um sieben ginge auch, aber da wissen wir schon, dass es die Bootsleute mit den Abfahrtszeiten nicht so genau nehmen. Am Ende fährt sie, wenn sie voll ist. Wir verabschieden uns vorläufig von den anderen, man weiß ja nie. Inzwischen ist Mathieu bis zu Vicky vorgedrungen und zitiert seinen herzerweichenden Text. Bei der eisenharten Vicky scheint er da an der falschen Adresse. Er wird rausgeschmissen, als sie den Braten riecht. Eigentlich war das zu erwarten gewesen, wenn überhaupt muss er bis zur Crew vordringen, was schwer werden dürfte, so ganz ohne Ticket. Wir muntern ihn auf, wünschen das Beste. Und weil wir gerade in der Stadt sind, wollen wir noch einmal schnell bei der deutschen Botschaft vorbeischauen. Ob die uns freundlicherweise selbiges Erlaubnisschreiben für Pakistan ausstellen würden, wie wir es schon von der deutschen Vertretung in Teheran für die Chinesen bekommen haben. Von einem Erlaubnisschreiben hätten sie noch nie etwas gehört, antwortet man uns. Dafür gebe es doch gar keine Schriftform. Wir sagen, dass es vermutlich völlig egal ist, was darauf geschrieben steht, solange es ein Brief mit unseren Namen, dem deutschen Amtssiegel und den Worten 'Bitte' 'Visum' 'Ausstellen' in englischer Sprache ist. Nein, da könne man nichts machen! Aber irgendwie wussten wir das schon beim ersten nein. Ist ja immernoch Deutschland. Haftung und Versicherung und so...
Bild
Aber die Laune wollen wir uns heute nicht vermiesen lassen. Die Sonne scheint und wir schippern über das kaspische Meer. Juhu! Unsere spontan angehauene Mitfahrgelegenheit taucht nicht auf, aber der war ja auch Perser,  also alles im Lot. So begeben wir uns pünktlich um 8 auf den Weg nach Alat. Drei Busse und 70 Kilometer später stehen wir vor dem Eingang zum Containerhafen. Die Trucks sind schon geparkt, die Luft riecht nach schweren Jungs, Karten, Kippen, Alkohol und Toilette. Nur ganz in der Ecke, am Zaun vor der Passkontrolle, haben sich die Weltreisenden versammelt. Eine Truppe junger Engländer, die nach bestandenem Studium noch einmal gemeinsam mit dem Van bis nach Kirgisistan unterwegs sind, bevor sich ihre Wege endgültig trennen würden, ein Motorradreisender aus Italien ohne Englischkenntnisse, zwei Koreaner, Linda und Michel und wir. Mathieu hat es nicht geschafft, genau wie zwei andere Franzosen. Sie hatten den Fehler begangen, das Autoticket vor dem Kabinenticket kaufen zu wollen, weswegen ihnen aufgrund Bettenmangels die Mitnahme verweigert wurde. Uns soll es recht sein, so haben wir Linda und Michel ganz für uns. Beide sind Sozialarbeiter in Straßburg, wo Sozialarbeit wie im Rest von Frankreich ein gerade schwer gefragtes Metier zu sein scheint. So reden wir und warten. Immerhin lautet die erste Info, die häppchenweise per Buschfunk in unsere Ecke des Areals dringt, dass es möglicherweise schon bald an Bord geht. Na halleluja! Gegen 3 Uhr morgens legen wir uns auf den blanken Asphalt schlafen, der mit unserer steigenden Müdigkeit seine Härte zu verlieren scheint. Nach kurzem aber tiefen Schlaf stehen wir um 8 wieder auf und warten weiter. Im Zweistundentakt dringen immer neue Nachrichten zu uns durch und verlautbaren, dass das Boarding unmittelbar bevorstünde. Gegen 14 heißt es plötzlich, die Fähre laufe wohl doch erst am nächsten Tag aus, doch keine halbe Stunde später kommt ein Kleinbus angesaust, aus dem 5 Beamte steigen. Offensichtlich wurden sie beauftragt unsere illegale Siedlung unverzüglich aufzulösen. Wir müssten sofort zur Passkontrolle, jetzt sofort, jetzt jetzt, quasi gestern! Während die Engländer ihr Camp zusammen-räumen, wackeln wir zum anderen Ende des Fährterminals, zur anderen Passkontrolle. Der Gepäckkontrolleur hat heute keine Lust, das Hemd noch offen schickt er uns zum Stempelhäuschen. Die Passmenschen sind genauso schlecht gelaunt, brüllen ihre Kommandos in den Wind, in die Scheibe, in den Computer. Erst Xenias russisch vorgetragene Freundlichkeit erwärmt ihr Herz und transformiert sie zu Humanisten. Am Schiff selbst heißt es weiter warten, bis nach einer Stunde die schweren Jungs nach ihren Kabinen schreien. Da ist der Wodka noch in den Taschen. Die Ansage, dass bitte nur am Oberdeck geraucht werden soll, hält auch nur bis zur ersten Flasche. Als wir nur zwei Tage später das andere Ufer erreichen sollten, kann man den Kabinentrakt geruchstechnisch nicht mehr vom Maschinentrakt unterscheiden.
Bild
Bild
Bild
Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Auch uns wird eine Kabine zugeteilt, zusammen mit unseren neuen Lieblingsfranzosen schlafen wir in einer Viererkabine ohne Fenster. Das finden wir gar nicht so schlimm, denn die Luft ist frisch und die Klimatisierung läuft. Noch. Am frühen Abend legt die Professor Gul, deren Name einem zweitklassigen Horrorfilm entlehnt sein könnte, endlich ab. Zumindest ein Stück, dann fällt der Anker. Raue See, heißt es. Immerhin sind wir vier so miteinander beschäftigt, dass die Zeit dennoch wie im Fluge vergeht. Kartenspiele und endlose Gespräche lassen uns wünschen, die Fährfahrt möge ewig währen. Freunde unter der Besatzung finden wir auch schnell, denn unser Kartenspiel mag dem Novizen wie Poker erscheinen - das macht sympathisch. Die schweren Jungs schielen auch schon, bis der Wodka die Oberhand gewinnt. Wie auf Klassenfahrt verschwinden sie der Reihe nach für wenige Minuten in der dritten Tür rechts, wir nennen sie mal den 'Truckerclub' und kommen nur wenige Momente später torkelnd und alkoholbefahnt wieder hinaus. Dann lachen sie und kichern, singen und rauchen, bis der starke Sergej die nächste Flasche köpft und jeder wieder darf, dritte Tür rechts im 'Truckerclub'. Es dauert nur drei Stunden, bis sie sich selbst attraktiv genug finden, Xenia auch in den Club einzuladen, um einmal am Wodka zu schnüffeln und danach fruchtbare Gespräche zu führen über das hier und das jetzt. Xenia jedoch kann vorbehaltlos verzichten, sieht den Jungs ihre Einsamkeit und Taktlosigkeit nach, während Linda schon offen angewiderter ist von den bierbäuchigen Jungs und ihren erträumten Mädchen in jeder Stadt, an jedem Ort. Zwischenzeitlich gibt es Abendessen, eine Variation von Hähnchenschenkel als Gesamtkunstwerk über drei warme Mahlzeiten. Das heißt einmal mit Reis, einmal mit Kartoffeln und einmal mit Nudeln. Doch es passt, das Essen fügt sich nahtlos in das Ambiente des schiffseigenen Schulspeisesaals.
Bild
Bild
Bild
Bild
Beim Gang in unsere Kabine kommt uns der Verdacht, die Klimaanlage könnte ausgeschaltet worden sein. Es ist spürbar heißer und stickiger als zuvor. Wir fliehen ans Oberdeck und spielen weiter bis spät in die Nacht. Was kann uns auch erwarten außer eines viel zu heißen Zimmers. Die Maschinisten setzen sich zu ans den Tisch. Xenia spricht sie gleich unverfroren auf die Kabinenluft an. Man entgegnet ihr, ja das wäre jetzt so, denn der Motor sei kaputt. Welcher wissen sie wohl auch nicht. Ob man ihn denn reparieren könnte. Ja schon, aber allem Anschein nach nicht jetzt. Doch sie setzen an unseren Tisch, das Kartenspiel scheint sie ebenso zu faszinieren, wie schon die Trucker. Wir erklären es und kommen ins Gespräch. Da sie weder in Aserbaidschan noch in Kazachstan beim Einlaufen durch die Passkontrolle gingen, müsste es die Crew bis zu 4 Monate am Stück auf diesem Kahn aushalten. Da könne man ein neues Kartenspiel immer gebrauchen. Runde um Runde vergeht unter immer leiser werdendem Gelächter und viel zu vielen Zigaretten. Um 3 verkriechen wir uns, können uns kaum noch halten. Halb nackt liegen wir auf den Betten, doch ich finde keinen Schlaf. Entnervt nehme ich mein Laken und den Schlafsack und lege mich unter einen Kran auf's Oberdeck. Unter dem gegenüberliegenden Kran liegen die Engländer, auf den Bänken weiter unten die Trucker. Was für eine Nacht. Gegen um 7 muss ich zurück in die Sauna, als der Wind am Oberdeck Orkanstärke annimmt. Apathisch erwachen wir gleichzeitig aus unserem Dämmerzustand. Wir vertun uns den ganzen Tag, schauen auf's endlose Meer und warten. Die Crew lädt uns derweil in die Steuerkabine ein, als der Kapitän gerade schläft und man uns so eine kostenlose Führung durch alle Gerätschaften ermöglicht. Im Anschluss redet man noch ein wenig über Gott und die Welt, bis wir uns wieder ins Innere flüchten. Anscheinend sind wir vier in der Gunst der Crew weit gestiegen, denn auf unser Stöhnen über die Hitze im Innenraum, zeigt man uns einen geheimen Raum. Dieser wartet zu unserer Überraschung mit ausgelegtem Teppich, Sofas und vier weit geöffneten Bullaugen auf. Ein Paradies! Uns überfällt die Wehmut, diesen Raum nicht schon für die Nachtruhe angeboten bekommen zu haben. Wir verlagern uns nach und nach in die geheime Kabine, als durch die Bullaugen schon langsam die Lichter einer noch weit entfernten Großstadt sichtbar werden. Bei einer Sichtweite auf See von locker 50 Kilometern, sind wir aber vorerst noch sicher.
Bild
Bild
Wir erwachen kurz nach Mitternacht aus unserem kurzen Schläfchen, als die Fähre gerade im Hafen einläuft. Alle Passagiere sollten sich im Wartebereich einfinden und das Gepäck gut sichtbar einfinden. In nur wenigen Minuten würden griesgrämige Zollbeamte mit ihren finsteren Minen und ambitionierten Hunden das Schiff betreten und alles und jeden durchsuchen. So suchen sie, keine Tasche und kein Zimmer ist vor ihrem Auge sicher. Fast sind sie schon an uns vorüber als ein junger Hyperaktiver sich noch einmal Xenias Rucksack anschauen will. Alles raus, gestikuliert er mit den allernötigsten Bewegungen seiner in der Hand gehaltenen Taschenlampe. Ob das wirklich nötig sei, fragt Xenia zwei-, dreimal nach. Normalerweise stellt er ja die Fragen, gestikuliert er zurück, während Xenia bereits beginnt so richtig angefressen ihre Sachen auszupacken. Da kommt schon unser Lieblingsmaschinist zu Hilfe gesprungen. Die Kontrolle unseres Gepäcks wäre mehr als überflüssig, da er es bereits  kontrolliert habe und es wäre absolut sauber! Dem Anschein nach genießt das Wort eines Maschinisten einen hohen Stellenwert beim kasachischen Zoll, denn der Hyperaktive zieht von dannen.
Gegen um 3 sind wir durch die Passkontrolle. Nichts los im Hafengelände vor der Stadt. Unsere Gruppe aus 2 Deutschen, 2 Franzosen und 2 Koreanern wandelt in Richtung der Hauptstraße, als dankbarerweise ein Taxi hält und schnell ein zweites gerufen wird. Irgendwie haben wir ja Zweifel, ob zu dieser Zeit noch irgendetwas geöffnet hat in Aktau. Doch umsonst gezweifelt, der vermutlich stilvollste Dönerimbiss östlich des Atlantiks hat noch auf. Man scheint auf uns gewartet zu haben, denn in Service und Küche sind jeweils noch 3 Menschen am Arbeiten. Das Angebot reicht um zu essen, sich zu organisieren und jeweils kurz zu schlafen. Es ist bereits kurz vor 7, als wir uns von den Koreanern, die eigentlich ein Koreaner und eine Japanerin sind, trennen und schlaftrunken auf irgendeinen Park zusteuern. Wir finden ihn, suchen das beste Stück Wiese unter einem Baum und sind schon kurz darauf ganz weit weg in unseren Träumen versunken.
Bild
‚I Swinitie! I Swinitie..!‘ Die Beamtin will irgendetwas von mir... Gerade war ihre Stimme noch Teil meines weit entfernten Traumes gewesen. Völlig orientierungslos gestikuliere ich ihr, doch kurz zu warten und wecke Xenia, die neben mir liegend genauso weit weg zu sein scheint, wie ich selbst es gerade noch war. Xenia sammelt sich und erklärt ihr dann beruhigend unsere Situation. Dem Anschein nach hält uns die Ordnungsbeamte für gestrandete Obdachlose und will uns gerade eine Bleibe zuweisen. Nein, wir sind einfach nur todmüde, erklären wir. Ja, das wäre in Ordnung, stellt sie fest und zieht wieder ab. Doch jetzt sind wir wach, na toll! Es ist um 11 als ein hübsches Restaurant in Sichtweite gerade öffnet. Beim Gespräch mit der Kellnerin erfahren wir, von der günstigen Möglichkeit, eine kleine Ferienwohnungen anzumieten. Immerhin seien wir doch in Aktau, das Nizza Kasachstans. Sonne, Strand und Meer.
Es kostet sie einen Anruf, bis wir eine Wohnung in einem grauen Block beziehen können. Wir fühlen uns ordentlich gejetlagged, weswegen wir es erst wieder am frühen Abend aus der Wohnung schaffen. Vermutlich geht es uns allen eher ums Prinzip, als wir uns noch ein wenig die Stadt anschauen wollen. Ein beliebiger grauer Ort, 200.000 Menschen stark und doch weit weniger schlimm, als man es anhand der Landkarte vermutet hätte. Tatsächlich sieht er vermutlich aus, wie Chemnitz vor der Wende, nur eben mit Dönerimbiss...
Der kommende Tag bricht an und schweren Herzens müssen wir uns wohl von unseren neuen Freunden trennen, die wirklich genau auf unserer Wellenlänge liegen. Doch sie wollen über Kasachstan nach Kirgisistan kommen und wir keinesfalls auf unser usbekischen Visum verzichten. Tags zuvor hatten wir mit einem Taxifahrer die Passage zur 600 Kilometer entfernten Grenze vereinbart, sofern er zwei oder drei weitere Mitfahrer auftreibt. So müssen wir nur noch jemanden finden, der frühs um 9 bei unserem Kollegen anruft und mal nachhakt, wie die Dinge so stehen. Nein, bisher habe noch keiner angebissen, in zwei weiteren Stunden könnten wir es wieder probieren. Die Kassiererin im Laden um die Ecke, fragt Xenia, warum sie es so umständlich brauche. Tausende Usbeken arbeiteten in der Stadt, alle halbe Jahre müssten sie an der Grenze ihre Visa durch Ein- und Ausreise erneuern,weswegen es eine rege Industrie dafür gebe. Sie würde für uns anrufen, noch sei es nicht zu spät. Ja, um 11 fahre der nächste, so hätten wir noch 2 Stunden. Um 11 kommt keiner. Die Kassiererin ruft erneut an. Irgendwas wäre dazwischen gekommen, es würde wohl so um 12 werden. Um 12 das gleiche Spiel, jetzt würde es noch eine halbe Stunde dauern, aber man wäre schon auf dem Weg. Als wir 13 Uhr zurückrufen lassen, ist selbst die Kassiererin über die Landsleute verärgert. Wir lassen ausrichten, wenn der Spaßvogel nicht in 10 Minuten da wäre, gingen wir. Nein, der Fahrer stehe schon an der Ampel nur einen Block entfernt. Es muss ein großer Block sein, denn der Fahrer kommt viertel nach eins. Er versucht das Gepäck zu verstauen, klappt einen Sitz um, schaut und erklärt dann, dass der umgeklappte Sitz eigentlich schon verplant gewesen sei. Ob wir nicht auf das nächste Taxi warten könnten. Jetzt reicht's! Xenia platzt der Kragen! Vier Stunden warten und jetzt so ein Scheiß! Der Fahrer erträgt es, offensichtlich ist es nicht sein erster Anschiss. Doch irgendwie sind wir glücklich. Linda und Michel haben nicht umsonst auf uns gewartet. Nun würden wir versuchen gemeinsam bis Bejneu zu trampen, die Stadt am Scheideweg zwischen Zentralkasachstan und Usbekistan.
Bild
Daumen raus und warten. Als größte Hürde für den Hitchhiker erweist es sich meistens, überhaupt aus der Stadt zu finden. Im dichten Verkehr, verlässt sich jeder potenzielle Fahrer auf seinen Hintermann oder den Bus, der nicht mehr fährt. Doch irgendwann siegt stets das Interesse. Alle paar Minuten halten Interessenten, die ganz offensichtlich gar keinen Platz für uns haben, nur um mal gefragt zu haben. Ein sensibler Moment, denn blockieren sie gleichermaßen den Raum für andere wirklich Mitnahmewillige. Wir überstehen ihre Neugier und finden unseren Platz bei einem Vorbeifahrenden. Die Steppe kommt überraschend schnell, nur wenige Kilometer nach der Stadt öffnet sie ihren heißen Schlund, um uns für die nächsten 2 Wochen ganz und gar zu verschlingen. Die immer knapper werdende Vegetation wird nach und durch einheitliche, trockene Flechten ersetzt, die einzig den zunehmenden Kamelherden als Nahrung dienen können. Kauend stehen sie am Straßenrand und gehen, wohin sie wollen. Man versucht gar nicht erst, sie zu begrenzen. Nach welchem System man sie wiederfindet, erschließt sich uns dagegen nicht. Die breiten, in die Hintern der Leittiere gebrannten Kennzeichen, mögen dabei helfen.
Bild
Vier Mitnahmen in einem Familienvan, einem Kipplaster, einem Polizeiauto einem Schulbus und knapp vier Stunden später schaffen wir es noch etwa 150 Kilometer in die kasachische Steppe. Ein namenloses Nest, trostlos und arm. Wir beschließen vorerst zu campieren. Ein alter Mann weist uns den Friedhof zu. Was wir für einen Scherz halten, meint er todernst. In jedem ordentlichen Friedhof des Landes gebe es ein Häuschen für Reisende, da sollte es sicher sein. Doch da kommt schon der nächste Interessierte vorbei, befragt uns nach unserem Vorhaben und gibt uns danach zu verstehen, wir sollten doch auf ihn warten. Dann könnten wir mit seiner Familie speisen und unter seinem Dach schlafen. So erreichen wir bei Einbruch der Nacht das Domizil von Tugelbai und seiner Familie. So oft hätte er ja keine Gäste, sagt er regelrecht entschuldigend. Doch ist das uns angebotene Zimmer, mehr als wir erwarten könnten. Breite Teppiche liegen am Boden, große Leuchter erhellen den Raum. Während Tugelbai sein Bestes gibt, sich mit uns über das Land und die Leute zu unterhalten, beginnen die Frauen des Hauses ein wahres Festmahl vorzubereiten. Wir erfahren, dass die Fördermengen diesseits des kaspischen Meeres sich nur unwesentlich von denen der Emirate am persischen Golf unterscheiden. Doch davon scheint offensichtlich wenig anzukommen. Im Gegenteil, selten zuvor sahen wir trostlosere Gefilde. Das Fehlen einfachster Infrastrukturen in einem Nest mit immerhin 20.000 Einwohnern scheint unverkennbar. Einzig Strom scheint vorhanden. Durch per Daumen gepeilte Oberleitungen findet er seinen Weg in die immernoch mehr als einfachen Haushalte. Stattdessen würde in großem Maße in der Hauptstadt investiert. Wir kennen sie nicht, und doch dringt ihr Ruf weiter, als die 3000 Kilometer durch die Steppe in das Wohnzimmer unserer Gastfamilie. Die Umrisse Bakus schweben vor unserem geistigen Auge. Allein 3 Milliarden Dollar habe man in die Weltausstellung in Astana investiert. Wieviele solcher Nester man damit hätte modernisieren können, fragen wir uns. Doch werden wir beschwichtigt. Astana sei nun offiziell als fertig erklärt worden, nun folge Almaty und der ‚Rest‘. Wenn wir den ‚Rest‘ hier draußen, zwischen dem Staub und den Kamelen, suchen müssten, würde das hier mit dicken Pumpen geförderte Geld wohl noch ein Weilchen brauchen, bis es seinen Weg in Wasser- un Abwasserleitungen, Straßen, Gebäude und Schulen findet, glauben wir.
Bild
Schon keine Stunde später wird aufgetischt, wie es vier kleine Back-packermägen niemals vertilgen könnten. Plov, Manti, Melone, Brot und Eingelegtes werden auf den Tisch gestellt. Als besondere Delikatesse bietet man uns Kamelmilch an, die auch für hiesige Ver-hältnisse wahnsinnig teuer ist. Sie hat einen arttypischen Geschmack, der so eigen ist wie Schafsmilch und einem westlichen Gaumen nur schwer be-schreibbar erscheint.
Dass sie hochgradig gesund sei, glauben wir gern. Wir genießen die zurückhaltende Freundlichkeit der Kasachen, danken unablässig und gehen dennoch früh zu Bett. Tugelbai und seiner Frau Ainagul scheint es recht zu sein. Am nächsten Tag wartet die Arbeit und ein Familientreffen, das die Familie mindestens den gleichen Aufwand kosten wird. Er erzählt uns von seinen 8 Kindern und bereits 40 Enkeln. Bei den weiteren 8 Geschwistern aus seiner Familie, können wir uns das allein ausmalen. Wenn alle kämen, reiche der Platz des Hauses nicht, selbst in kasachischen Relationen. Bei derartigem Bevölkerungswachstum hätte allein sein Großvater ein Dorf, sein Urgroßvater eine Kleinstadt gegründet...
So beginnt der kommende Morgen früh für uns. Wir bitten Tugelbai uns an eine taktisch kluge Stelle zurück zur Hauptstraße zu fahren, doch zielstrebig hält er bei den Taxifahrern. Wir riechen den Braten und handeln. Nein, auf keinen Fall wollten wir, dass er das Taxi in den nächsten Ort für uns zahlt. Irritiert lässt er uns gewähren und lässt uns unserem Wunsch entsprechend im morgentlichen Staub der Steppe stehen.
Bild
Es braucht ein wenig Geduld, bis sich die nächste Mitfahrgelegenheit ergibt. Doch die bringt uns gleich nach Shitpe, knapp 130 Kilometer entfernt an der Bahnstrecke nach Astana gelegen. Zufrieden zeigt der Fahrer auf die alte Straße etwas abseits der neuen, die noch vor wenigen Jahren ganze 30 Menschenleben pro Monat gefordert habe. Für einen Mitteleuropäer schlicht kaum vorstellbar. Nach einer Weile gerät Shitpe in Sicht. Linda handelt am schnellsten und bittet den Fahrer uns noch an der Landstraße herauszulassen, wo es einfacher sei, neue Fahrer zu akkreditieren. Doch so richtig ernst scheint er uns nicht zu nehmen, bevor wir uns versehen, stehen wir doch vorm Bahnhof. Dann soll es wohl so sein. Wo wir gerade da sind, kann man auch gleich nach dem nächsten Zug fragen, der nur zweimal täglich das Städtchen passiert. Immerhin kann man, einen freundlichen Schaffner vorausgesetzt, auch Züge hitchhiken. Als ob es der Zufall will, kommt der in einer halben Stunde. Wir nehmen unser Glück in die Hände und warten. Tatsächlich gibt uns die Schaffnerin zu verstehen, kein großes Aufheben zu machen und so unauffällig, wie es unser gigantisches Gepäck erlaubt, einzusteigen. Im Zug werden wir heimlich in ihre Kabine gelotst, das Gefeilsche kann beginnen. Also ganz kostenlos geht natürlich nicht, aber machen könnte man da schon etwas. Angesichts der Ersparnis von über 400 Kilometern sind wir einer Bezahlung nicht prinzipiell abgeneigt, wohlwissend damit gegen den inoffiziellen Hitchhikerkodex zu verstoßen.
Am Ende einigen wir uns auf 5 Dollar für den Weg bis Bejneu und weitere 30 für Linda und Michel bis Astana. Fahrzeit knapp 2 Tage! Doch nun ist es beschlossen, in wenigen Stunden würden sich unsere Wege am Bahngleis trennen. Wehmütig genießen wir die letzten 300 Kilometer gemeinsamer Fahrt durch die endlose zentralasiatische Steppe.
Bild
Der Abschied fällt schwer und endet abrupt, als die Schaffner zur Weiterfahrt mahnen. Noch nicht einmal für ein ganzes Abschiedsbier hat es gereicht. Wir dagegen müssen noch bis zum nächsten Morgen warten, um auch Kasachstan vorerst Lebewohl zu sagen. Nach zähen Verhandlungen mit der lokalen Taximafia zuckelt unser Zubringer zwei Stunden durch 70 Kilometer Staub und Restasphalt. Die Grenze entpuppt sich als potentielles Halunkennest, hier würden wir sicher jede Art von Gaunerei entdecken, würden wir danach suchen. Doch sind wir dankbar, als Touristen, die sich eher selten an derartige Grenzen verirren, geradewegs durch die Schleusen geleitet zu werden. Selbst die vermutlich über Tage stehenden Wartenden scheinen dafür Verständnis zu haben. Wir steigen über Taschen, Fernseher, eigentlich alles, was sich legal über Grenzen transportieren lässt. Durch den Metalldetektor müssen wir nicht, da gerade ein ganzer Industriekühlschrank irgendwie hindurchmanövriert werden muss. Die als schikanös pedantisch verschrienen Usbeken lassen uns ohne Gepäckkontrolle gewähren. Soll uns recht sein. Keine halbe Stunde später sind wir schon auf usbekischer Seite. Da kommen sie uns schon entgegen geflogen, die Geldwechsler, sehen ihr Stündchen gekommen. Eigentlich wollen wir ja unsere paar kasachischen Tenge in Sum tauschen und signalisieren unsere Wechselbereitschaft. Die Dreisten kommen stets zuerst, soviel wissen wir. Das Startgebot liegt gerade einmal 40 Prozent des Tageskurses! Ob sie noch ganz bei Trost sei, fragt Xenia die Ruchloseste, worauf sie selbst lachen muss. Naja, man kann es ja versuchen. Alle haben sie uns gewarnt, die Bescheißer vor den Meisterbescheißern, den Usbeken. Sie genießen im gesamten Ostblock einen einschlägigen Ruf, sind als Chitrije verschrien. Im Russichen heißt das soviel, wie es faustdick hinter den Ohren zu haben, ein listiger Fuchs zu sein. Und wie es sich für einen Chitrije gebührt, haben sich die Usbeken auch gleich noch eine wahre Bescheißerwährung gegeben. In Kooperation mit einem Präsidenten, der, erst kürzlich verstorben, leugnet dass es in einem Land wie seinem eine Inflation geben könne, werden von der Landesbank nur äußerst widerwillig immer größere Scheine gedruckt. Zudem entspricht der offizielle Umrechnungskurs einer namenlosen Fantasie. Allgemein üblich ist die 1000 Sum Note, umgerechnet etwa 12 Eurocent, etwas neuer ist der 5000er und ganz neu der 10000er. Als wir das erste Mal umgerechnet 20 Euro tauschen erhalten wir ein Bündel aus 170 Noten! Bis wir damit etwas gezahlt haben, ist meistens schon morgen. Die Usbeken können es freilich schneller und gehören unzweifelhaft zu den flottesten Geldzählern dieses Planeten.
Bild
Auch mit dem Abtransport aus diesem Hornissennest haben wir nicht allzuviel Glück, weswegen wir uns dankbar in eine abgelegene Truckerkneipe verlagern. Auf dem Parkplatz sehen wir einen LKW einfahren, welcher gerade die Grenze passiert hat. Bei dem müssen wir unser Glück versuchen. Mit Hilfe eines Einheimischen, dessen Sohn gerade einen jungen selbstgefangenen Adler quält, gelingt uns der Kontakt. Die beiden überlegen und sagen am Ende zu, uns bis nach Nukus, weitere 400 Kilometer durch das endlose Nichts der Steppe, mitzunehmen. Dankbar steigen wir ein, wenngleich wir schon wenige Kilometer später unauffällig in sprichwörtlicher Ödnis zu Fuß durch einen Kontrollposten laufen müssten, da unsere Mitnahme nicht so ganz legal ist. Einen Kilometer vor dem Posten, gerade außer Sichtweite, verlassen wir den Truck. In der Ferne passiert er schon den besagten Posten und obwohl sich unsere beiden Trucker Sohrob und Akbar als freundliche Zeitgenossen herausstellen, hoffen wir, sie mögen warten. Als wäre es das Normalste der Welt, dass zwei leicht bepackte Weltreisende zu Fuß durch die Wüste laufen, passieren wir den Posten. Den Versuch uns in eine Befragung zu verwickeln, die sich vermutlich eh nur um unsere Erlebnisse gedreht hätte, lassen wir gar nicht erst zu und den Polizisten stehen. Wir haben auch wirklich keine Zeit, so mitten in der Wüste, wie wir ihm zu verstehen geben. 400 Meter später steigen wir wieder ein und bevor man es hätte bemerken können, wie zwei Weiße urplötzlich in der Ferne verschwanden, sind wir schon weg. Es folgen 11 Stunden Fahrt durch die immergleiche Landschaft, unerträgliche Hitze, die vor Wochen noch über 60! Grad gestiegen sei und ein geplatzter Reifen. Abwechselnd schlafen die Fahrer und ich, während Xenia sie alle unterhalten muss. Aber das ist wohl die Last der möglichen Verständigung. Sie erträgt es tapfer, genau wie die anschließende Irrfahrt durch Nukus auf der Suche nach einer erschwinglichen Bleibe, die letztendlich in einer 40 Dollar teuren Jurte im Hof eines Luxushotels endet. Doch wir nehmen uns vor nicht dem Geld hinterher zu trauern, so schwer es fällt. Denn selten haben wir mehr in kürzerer Zeit erlebt. Wie fertig wir sind, bemerken wir erst die folgenden Tage, die wir so gern wie selten in einem neuen Land verleben. Unser Hirn scheint kaum noch aufnahmefähig, was dennoch durchdringt, erleben wir umso intensiver. Denn Usbekistan scheint der perfekte Ort für uns zu sein, inmitten von Kultur und dem grandiosen Essen ersteinmal gepflegte Ruhe zu finden.
Bild
0 Kommentare



Hinterlasse eine Antwort.

    Archiv

    Januar 2019
    Dezember 2018
    November 2018
    Oktober 2018
    August 2018
    Juli 2018
    Juni 2018
    Mai 2018
    April 2018
    März 2018
    Februar 2018
    Januar 2018
    Dezember 2017
    November 2017
    Oktober 2017
    September 2017
    August 2017
    Juli 2017
    Juni 2017
    Mai 2017
    April 2017
    März 2017
    Februar 2017


    Bild


    RSS-Feed


    Datenschutzerklärung

Alles in der Welt ist nur für den da, der die Augen hat es zu sehen.

Community
Datenschutz
  • Reise
  • Weg
  • Länder
    • Neuseeland
    • Australien
    • Malaysia & Singapur
    • Thailand
    • Indonesien
    • Laos
    • Kambodscha
    • Vietnam
    • China
    • Nepal
  • Galerie
  • Notizen
  • Über uns
    • Planung
    • Ausstattung
    • Technik
    • Bücher
  • Kontakt