somebody somewhere
  • Reise
  • Weg
  • Länder
    • Neuseeland
    • Australien
    • Malaysia & Singapur
    • Thailand
    • Indonesien
    • Laos
    • Kambodscha
    • Vietnam
    • China
    • Nepal
  • Galerie
  • Notizen
  • Über uns
    • Planung
    • Ausstattung
    • Technik
    • Bücher
  • Kontakt

Auf dem Weg um die Welt


​...und zu allem was dazwischen liegt

Meteora und Athen - 2 Wochen zwischen Klöstern,  Kultur & Krise

21/5/2017

0 Kommentare

 
Wie schon bei der Einreise, steht der Bus an der albanischen Grenze. Diesmal liegt es nicht am Verkehr oder dreisten Vordränglern, sondern an der auffällig motivierten Grenzpolizei. Wir hatten schon vorab davon gelesen, dass das Gepäck aller Businsassen genauestens durchsucht werden würde, das ganze aber eher auf der griechischen Seite der Grenze erwartet. Alle bleiben im Bus sitzen und warten, das Prozedere möge bald vorüber sein. Ein bisschen wie beim Zahnarzt. Xenia wird herausgerufen. Man wird ihr nichts unterstellen, nur sichergehen, dass beim Durchsuchen unserer Rucksäcke am Ende keine falschen Verdächtigungen entstehen. Meinen Rucksack hatten die Grenzer großzügig übersprungen, der sah ihnen und Xenia dann doch zu schwer aus. Abschließend durchlaufen die Grenzer nocheinmal den Bus, ihre Hände fahren ungehemmt in jede Tasche. Den Fotorucksack öffnen wir freiwillig. Eine Geste, die in einem freundschaftlichen Schulterklopfen endet. Wenn es Schmuggelware gegeben hätte, wäre sie heute zumindest im Land verblieben, sind wir uns sicher. An Albaniens Grenzen hat dann doch alles seine Ordnung.
Bis zu unserem Tagesendziel ist es nicht mehr weit, durch die späte Abfahrt in Gjirokastra erreichen wir Ioannina dementsprechend erst am frühen Abend. Der Bus erreicht die Stadt, die ersten Gäste bitten um Ausstieg. Ein Wunsch, dem der Fahrer so kurz vor dem Ziel nur grollend nachkommt. Xenia fragt mich, ob es schlau sei, gleich mit auszusteigen, der Busbahnhof läge doch ein wenig abseits. Ehe ich meine Gedanken sortieren kann, fährt der Bus schon wieder. Ein Paar Reisende bitten nur eine Minute später ebenfalls um Auslass, ein Wunsch der in Albanien vermutlich keinerlei Probleme verursacht hätte. Auch für uns eine zweite Chance. Aber nicht bei unserem Fahrer! Dieser explodiert förmlich. Eine Tirade beginnt, so schnell gesprochen, dass wir zuerst noch nicht einmal die Sprache definieren können. Wir verstehen nichts und doch alles. Vermutlich wolle er so kurz vor dem Ziel nicht noch einmal halten müssen, sie hätte auch zwei Minuten eher aussteigen können, jetzt müssten sie mitfahren. Das tun sie auch, bis zum Ende. Gut, dass wir nicht gefragt haben... Nun müssen wir allerdings schauen, wie wir zu unserem Ziel kommen. Es ist Sonntag, beinahe abend. Ob noch ein Bus fahre, kann man uns auch am Schalter nicht beantworten. Die Richtung zeigen allerdings schon. Nichts los auf den Straßen, niemand unterwegs. Beinahe gespenstig. Gerade als wir beschließen schoneinmal ein wenig weiter ins Zentrum zu laufen, werden wir von unserem Bus überholt. Daumen raushalten zwecklos. Wir sind jetzt wieder in der EU! Da halten die Busse nur an den Stops, so realistisch muss man schon sein... Selbstverständlich erreichen wir unser Ziel dennoch mit einer Stunde Verspätung und warten vor einem offensichtlich leeren Haus. Kein Schild, kein Mensch. Wirklich niemand. Zum Glück meldet sich auf Xenias Anruf bei der angegebenen Nummer eine englisch sprechende Stimme (keinesfalls selbstverständlich!), sie wüsste bescheid und komme gleich. Auf einem alten Motorroller zuckelt ein noch älterer Mensch heran und stellt sich vor als Aristoteles. Angesichts des Alters ist sein Englisch beeindruckend. Das seines Sohnes sei schlechter, behauptet er auf unsere Nachfrage stolz. Aber er habe ja auch über 20 Jahre in Australien gelebt, sehr jung sei er da noch gewesen. Dann habe er in Montreal studiert und habe seine Frau kennengelernt, die Tochter des ansässigen griechischischen Diplomaten, erzählt er noch stolzer. Die sei sehr intelligent und habe zeitlebens unterrichtet. Wir hängen an seinen Lippen, kommen vom Hundertsten ins Tausendste und müssen uns dennoch beeilen. Wir wollen zur Vikos Schlucht und müssten herausfinden wie wir dahin kommen. Dies würde entscheiden, wie lange wir blieben. Dies wiederum wäre wichtig für die Zahlung und gepäcktaktische Überlegungen. Aristoteles ist uns schon gedanklich voraus. Liegt es am Namen? Die Schlucht sei sehr schön. Daher jeder Einwand berechtigt, angesichts des unzureichenden Nahverkehrs. Dann sollten wir uns beeilen mit der Recherche, er könne auch später wiederkommen. Er habe eh nicht viel zu tun und wohne ja gleich um die Ecke. Für uns heißt das, wir müssen zurück ins Zentrum. Dummerweise auch zurück zum Busbhahnhof, im Stress hatten wir die Organisation unseres Ausflugs vergessen. Befreit von unseren Rucksäcken beschließen wir zu laufen, der Weg zieht sich dennoch. Als wir ankommen, sind wir froh, dass der Schalter noch besetzt ist. Der Mensch dahinter hat in seinem Leben schon viel gesessen, auch viele Fragen beantwortet, vermuten wir. Er kann jede Anfrage für jeden Bus auf die Minute genau beantworten ohne sich einmal bewegen zu müssen. Den Blick stoisch auf uns gerichtet. Unfassbar! Er sei allwissend, bemerken wir abschließend. Er nickt anerkennend philosophisch angesichts unserer Einsicht.
Doch sind wir nun um eine weitere Erkenntnis reicher. Wir würden trotz allen Bemühens die Vikos Schlucht nicht durchlaufen können. Die Busse fahren zu Unzeiten (viel zu früh oder viel zu spät), noch nicht einmal täglich und auch nicht in jede Richtung. Wir müssten also zurückwandern oder in überteuerten Gasthäusern schlafen. Zudem ist schlechtes Wetter angesagt. Der Wanderer weiß, man geht bei möglichem Regen niemals in eine Schlucht, schon gar nicht in eine der tiefsten. Der Reisende weiß zudem, man darf die Dinge nicht erzwingen.
So kaufen wir stattdessen die Tickets für die morgige Weiterfahrt. Schockiert, angesichts der hiesigen Preise müssen wir uns ersteinmal setzen. Neben uns sitzen andere Schockierte, man kommt ins Gespräch, klagt sich sein Leid. Essen, Unterkunft, Transport – alles teuer hier. Umso trauriger angesichts der Geschichte und Schauwerte. Hatten wir zunächst noch beschlossen nun künftig finanziell kürzer zu treten, verabschieden wir uns geistig von unserer Illusion. Zumindest vorerst für Griechenland. Wir laufen also weiter, auf der Suche nach Essen. Alle Märkte haben bereits geschlossen, doch der Grieche isst und schläft spät. Gut für uns. So landen wir beim freundlichsten Gyrosverkäufer der Geschichte. Wo wir herkämen, werden wir gefragt und auch künftig noch häufiger gefragt werden. Unsere deutsche Herkunft würde dennoch nie zu unangebrachtem Benehmen oder Reserviertheit führen. Beachtlich angesichts der aktuellen unübersehbaren Schuldenproblematik und Deutschlands Rolle bei der Kreditvergabe. Eine solche Differenziertheit würde man sich auch gerne mal in unserer Heimat wünschen, nicht nur bei den jungen Deutschen...
Vor dem Haus treffen wir Aristoteles, es ist bereits sehr spät. Dennoch kommen wir erneut ins Schwatzen. Er habe sich noch einmal den Wetterbericht angesehen und wolle uns nun abraten in die Schlucht hinabzusteigen. Das sei wirklich gefährlich! Wir klären ihn auf, zahlen unsere Nacht, verabschieden uns und schwatzen dennoch weiter. Über Griechenland, die Kultur, nie enden wollende Probleme, über die Diaspora, sein Leben und unseres. Als wir schlussendlich dennoch in unsere Betten finden, ist es nach eins. Auch dank der neuerlichen Zeitverschiebung steht uns eine kurze Nacht bevor. Der Wecker klingelt zu früh, die Füße schmerzen. Wer hätte da noch wandern wollen, fragen wir uns. Aufstehen müssen wir dennoch. Essen, Packen, Busfahren, unser Alltag.
Bild
Immernoch verschlafen fahren wir weiter durch die nun nordgriechische Landschaft. Die Sonne steht noch im Osten. Im Nordwesten hängen schon die Wolken tiefschwarz in den Bergen. Gut gemacht, klopfen wir uns gedanklich auf die Schultern. Der Blick schweift in die Landschaft. Diese bleibt schon seit dem südlichen Albanien gleichermaßen spektakulär. So schlängeln sich auch hier die Straßen eng an den Hängen, die Gipfel der Berge sind auch Anfang Mai noch reich schneebedeckt. Erst kurz vor Meteora flacht das Terrain ein wenig ab, ohne an Attraktion zu verlieren. Die Felsen sind alt, steil und kahl. Die Verwitterung hat sie zum Teil bizarr geformt, große Steine herausgesprengt. Die unterschiedlichen Farben der Felswände verraten den fortwährenden Prozess. Auf ihren Gipfeln sprießt noch die Vegetation, dort wo das Gelände noch nicht zu steil ist, als dass sich die Erde halten könnte.
Es ist wieder richtig heiß. Keine Wolke spendet uns Schatten. Nach wenigen Metern läuft uns der Schweiß, doch die Unterkunft ist dankbar nah. Wir schlafen bei den Toto Sisters, die sitzen schon erwartungsvoll in der Lobby. Xenia klärt das Organisatorische, Pass, Schlüssel. Die Melodie von ‚Africa‘ schleicht sich ins Ohr. War ‚Roseanna‘ eigentlich besser? Man müsste mal wieder mehr alte Musik hören. Man muss soviel, darf nichts vergessen. Allzu lang wollen wir uns dennoch nicht aufhalten. Obwohl, ein kurzes Nickerchen ginge ja schon. Nichts da, wir laufen hinaus in die sängende Hitze, organisieren die Weiterfahrt um im Anschluss den Tag zu nutzen. Züge fahren mal wieder zu früh oder zu spät. Doch die Buspreise lassen jeden Zweifel am Zugfahren lächerlich erscheinen. Krass, dass die Griechen angesichts ihrer viel geringeren Gehälter die gleichen Preise zahlen müssen. So laufen wir zurück zum Bahnhof, um die Zugtickets für morgen abend halb 6 zu kaufen, auch wenn das bedeutet erst nach 23 Uhr in Athen anzukommen. Hoffentlich macht das unser Gastgeber mit. Macht er, erfahren wir dankbar. Beim Warten auf seine Antwort treffen wir die beiden Schockierten vom Vortag wieder. Die sehen heute schon wieder recht gutgelaunt aus, haben zwei Mädels im Schlepptau. Hostelbekanntschaften, immer zu empfehlen. Besonders für den klassischen Eigenbrödler, verhindern sie die schleichende Vereinsamung des Alleinreisenden. Geht schneller, als man denkt, glauben wir übereinstimmend. So sehen die beiden aber nicht aus. Regelrecht euphorisiert vom Erlebten überlassen sie uns ihre Wanderkarte, die sich noch als sehr hilfreich erweisen wird. Auf dieser ist auch der Trampelpfad abseits der Straße hoch zu den Klöstern eingezeichnet, unserem eigentlichen Ausflugsziel. Den beschließen wir anschließend zu gehen.
Schon in dem Städtchen steigt der Weg. Wir folgen ihm durch die Hitze und haben schon bald keine Lust mehr, 400 Höhenmeter sollen überwunden werden. Der Name Meteora bezeichnet das Kommende vortrefflich, bedeutet er doch ‚in die  Höhe gehoben‘ zu leben. Dort leben heute noch Nonnen und Mönche in mehreren Klöstern, die auf oder in die Felsen gebaut wurden. Dies allerdings nur noch in 6 von ehemals über 20 Klöstern. Einige dieser Bauten, zum Teil aus dem frühen 11. Jahrhundert, waren bis in die Vierziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts nur über Strickleitern oder Seilzüge zu erreichen gewesen. Dies bot den Mönchen Schutz vor fremden Zugriff, eine gewisse Exponiertheit und eine Aussicht, die nur schwer am Gotteswerk zweifeln lässt. Was sich auf den Felsen  anbauen ließ, wurde kultiviert, gebraut, gelagert. So muss doch allein der Transport der Mönche und Güter zu den Füßen der Felsen mehr als beschwerlich gewesen sein angesichts des Aufstiegs. Dieser betrifft heutzutage beinahe ausschließlich den Tourismus und wird heute durch eine sehr gut ausgebaute Straße erleichtert. Die einzige Alternative sind nachwievor die Wanderwege. Zu unserem Glück wird der Bewuchs höher, spendet zunehmend Schatten.

Bild
Bild
Die Hitze lässt mit der Höhe dankbar nach. Zufrieden erreichen wir nach knapp 2 Stunden die Agia Triada , mit einem Alter von etwa 530 Jahren eines der jüngeren Klöster. Dieses liegt einsam auf einem steil in die Höhe ragenden Felsen. Die Vorstellung über Strickleitern in die Höhe zu klettern, wie es die ersten Mönche zweifellos mussten, ist schlicht beeindruckend. Der Kran und Gepäcknetz, wie es alte Fotoaufnahmen beweisen, erscheint kräfteschonend. Sie ist tatsächlich eher beängstigend und nur für den wahrhaft Gläubigen eine ernstzunehmende Alternative. Dankbarerweise stehen dem heutigen Touristen sichere, wenn auch steile Steintreppen zur Verfügung.  Ein Kraftaufwand, der sich selbstverständlich lohnt. Der Ausblick von seinen Mauern ist bereits mehr als spektakulär. Etwas abseits der Straße gelegen, finden sich in diesem Kloster dankbar wenig Touristen ein. Wir bleiben so lang wir können und werden abschließend freundlich hinausgebeten. Die Sonne steht am späten Nachmittag schon tiefer und taucht die Umgebung in einen mystisch roten Schimmer. Wir beschließen auf der Straße gemächlich zurück zu wandern, lassen uns alle Zeit und fotografieren enthemmt die spektakulären Ausblicke. Als auch die Schildkröten am Straßenrand. Diese kennen wir bereits als Mesopotamische Landschildkröten, Haustiere, die sich hier vom Menschen unbeeindruckt entlang des wärmenden Asphalts in der Landschaft zerstreuen. Als wir Stunden später wieder Kalambaka erreichen, ist es bereits dunkel. In einer Taverne genießen wir unsere erste griechische Moussaka mit reichlich Olivenöl und Brot. Wir erfahren von der günstigen Weinalternative Retsina, ein Weißweinverschnitt mit zugesetzten Pinienaromen, die uns hervorragend schmeckt. Von den Einheimischen wird sie leider ebenso sehr geschätzt, wie wir augenzwinkernd vom Wirt erfahren.
Am nächsten Tag ist es bewölkt, die Aussichten daher nicht mehr ganz so unverfälscht. Gut, dass wir uns gestern die Wanderung abringen konnten, freuen wir uns. Dennoch fahren wir erneut mit dem ersten Bus zu den Köstern hinauf. Wir wollen zudem ein weiteres besichtigen. Unglücklicherweise hat heute das größte Kloster, bezeichnenderweise Megalo genannt, Ruhetag. Kein Einlass, noch nicht einmal für andere Mönche. Diese bleiben ausgesperrt und erklären darauf bereitwillig einer amerikanischen Reisegruppe die Geschichte und den Hintergrund des beachtlich großen Baus. Doch direkt nebenan steht das kürzlich restaurierte Kloster Varlaam, völlig überlaufen und dennoch den Besuch wert. Nur die Hälfte der Anlage ist für Touristen zugänglich, der Rest bleibt den ständigen Bewohnern vorbehalten. In den Gemäuern der alten Bibliothek wurde ein kleines Museum eingerichtet und unterrichtet über die fortwährenden Lebensumstände der Mönche. Wir erfahren, dass sich die Belegung inzwischen stark verringert hat, sich aber der Mönchsorden nicht über mangelnden Nachwuchs beschweren könne. Wir verlassen das Kloster nur kurz vor der heutigen Schließung und laufen abermals den gleichen Weg wie am Vortag zurück. So haben wir die Wartezeit gut überbrückt, holen unser Gepäck und steigen in den bereits wartenden Zug.
Bild
Wir erreichen Athen 5 Stunden später auf dem überraschend kleinen Bahnhof ‚Larissa‘. Die Stadt selbst wirkt nicht, als wäre es spät. Selbst die Bäckereien haben noch geöffnet, wenngleich sich die Verkäuferinnen offensichtlich auf den baldigen Feierabend einstellen. Unsere Unterkunft stellt sich als geräumig heraus, gelegen zwischen einer Tiefgarageneinfahrt und einem Hinterhof. Sie wird uns eine dankbare Bleibe werden in den kommenden Tagen. Morgen ist Mittwoch und wir haben eine Mission. Wir müssen zur iranischen als auch chinesischen Botschaft um die Einreise und eventuelle Visa vorab zu organisieren. Nun aber sind wir so fertig, dass wir im Anschluss erstmal bis Mittag schlafen und alles weitere vertagen. Stattdessen kaufen wir ein, sind abermals schockiert über die Lebensmittelpreise, die gefühlt über den österreichischen liegen und tingeln im Anschluss durch das Viertel. Das gefällt uns spontan, das würde sich auch im Rest der Stadt nicht ändern. Die antiken Bauten haben wir da noch gar nicht gesehen. Athen ist, das kann man zweifellos feststellen, chaotisch. Dies aber auf eine überaus herzliche Weise. Kein Haus, das uns spontan gefällt. Stattdessen eintönige, simple Betonklötze, die Straßenbreite die einzige Konstante, auf die man sich vorab einigen konnte. Bauvorschriften, Verkehrswegeplanung, Fehlanzeige. Die Autos parken so dicht, dass man beim Überqueren der Straße manchmal kaum auf den Gehweg zurückfindet. Parkt einer zu weit links, steht der Verkehr. Die Kurven so eng, dass die Taxen zuweilen zurücksetzen müssen. Dies hält natürlich selbst die Busse nicht davon ab, sich durch die engsten Gassen zu quetschen. Doch sie kommen voran, langsam aber konsequent. Doch in all dem Chaos liegt gleichermaßen die Gemütlichkeit. Der Athener hat offensichtlich eingesehen, dass alles Hetzen sinnlos ist. Auf den Gehwegen macht man sich Platz, wartet, schaut. An einer Bushaltestelle ist gern einmal der Weg blockiert, kein Problem. An der Kreuzung keine Ampel, auch kein Problem. Die Läden sind hübsch, innerhalb weniger Meter findet man meist  was man braucht. Zudem sind sie thematisch in Straßen sortiert, wie wir es eigentlich aus Asien kennen. Also gibt es eine Wohnmöbelstraße, eine Badezimmerstraße, eine Bürobedarfstraße, eine Gartenstraße. Reifen und Handys kriegt man überall. Eigentlich recht simpel.
Am nächsten morgen machen wir uns auf zur iranischen Botschaft, wie Schatzsucher navigieren wir uns durch das Diplomatenviertel. Die Gehwege sind hier ein wenig breiter, die Balkone größer und grüner. Die Häuser dagegen gleichbleibend eckig und zweckmäßig. Wir finden die Botschaft rasch, hier ist offensichtlich nicht so viel los. Quasi gar nichts. Der Besuchereingang ist so unscheinbar, dass wir gleich zweimal daran vorbeilaufen, beim dritten Mal wird es dem Pförtner zuviel, er öffnet die Tür und zeigt uns wo wir klingeln müssten. Sieht aber auch sehr geheimdienstmäßig aus die Tür. Eine Stimme meldet sich aus der Gegensprechanlage. Was wir denn wöllten, woher wir kämen? Wir schauen in die Kamera, als wir freundlichst erwidern:  ‚...ein Visum, Deutschland...‘ Die Gedenksekunden vergehen, ein summen ertönt, die Tür öffnet sich. Wir laufen zur nächsten Tür, die Kameras werden größer. Wieder warten. Auch der nächste Raum ist eine Schleuse. Hoffentlich kommen wir hier wieder raus, bemerke ich zu Xenia. Den Metalldetektor dürfen wir großzügig passieren, offensichtlich vertraut man uns. Hinter der dritten Tür wartet der Empfangsraum. Zwei Männer hinter einer Glasscheibe. Sie wirken müde, sind aber erwartungsgemäß freundlich und hilfsbereit. Warum wir ein Visum beantragen wöllten, ob wir auf dem Landweg unterwegs seien. Wir bejahen und fragen nach der Ausstellungsdauer. Wenn wir alle Formulare formgerecht ausfüllen, würden sie nach Teheran übersendet und danach bearbeitet. Das könne schon 10 Werktage dauern, vielleicht mehr. Einerseits freuen wir uns, nichts von einer Referenznummer zu hören, die das Visaverfahren unseres Erachtens nur unnötig verkompliziert hätte und oft nur über eine Agentur zu bekommen ist. Allerdings erscheinen uns etwa 10 Werktage, vermutlich mehr, auch ein wenig vage. Ob wir das Visum nach Ankara übersenden lassen könnten, fragen wir. Vermutlich schon, aber wofür wir so einen Aufwand betreiben würden, werden wir zurückgefragt. Als wäre ein Iranvisum inzwischen eine standardisierte Prozedur. Keine, die vorallem vom Wohlwollen des jeweiligen Botschafters abhängig sei. Der Motorradreisende, den wir noch in Gjirokastra kennengelernt hatten, musste seines nämlich genauso erwerben. Über das zuständige Konsulat in München inklusive Referenznummer. Kosten um die 100 Euro. Wir sollten doch einfach in den Iran fliegen, vorzugsweise Teheran, die wüssten dann schon, was zu tun sei. Visa on Arrival. Im Iran! Wir hatten schon davon gelesen, wollten uns aber wirklich sicher sein, bevor wir einfach einen Flug buchen würden. In diesem Falle, hatten wir schon einmal erwogen, könnte sich die Einreise per Flug von Ankara für uns wirklich auszahlen. Weniger Geld, weniger Reise durch anatolische Dörfer, weniger Gefahr. Landweg hin oder her! Wir beschließen, alles erneut zu überdenken, in Ruhe abzuwägen und verlassen die Botschaft. Alle Türen gehen auf - Allah sei Dank!
Wo wir doch einmal im Diplomatenviertel sind, könnten wir auch gleich in der chinesischen Botschaft vorbeischauen. Diese liegt gleich um die Ecke. Das komplett entgegengesetzte Bild. Visumspflicht für alle vorab. Mit den Chinesen ist nicht zu scherzen. Schon draußen laufen uns frustrierte Menschen entgegen. Ausländer, Chinesen – es trifft sie alle. Das chinesische Visum, von Betroffenen auch Passierschein A38 genannt, ist an sich für jeden zu bekommen, allerdings ändern sich die Regeln konstant und die Änderungen sind mitunter nicht jedem gleich zugänglich. Zudem muss der Visumsantrag akurat und exakt ausgefüllt werden. Kritzeln ist nicht gestattet. Mit jeder Änderung ein neues Formular, vierseitig. Die abgefragten Angaben sind aber mitunter recht schwammig. Beruf zB, oder auch Einreiseflughafen. Was schreibt der selbstgewählte Arbeitslose? Selbstständig ist ja nicht so ganz richtig. Ist der Durchreiseflughafen auch der Einreiseflughafen? Was, wenn ich meinen Flug noch gar nicht kenne, weil die Firma bucht? Was wenn ich über Land reise? Fragen über Fragen, die Schlange ist lang. Die Antworten kurz, meist in gebrochenem englisch noch dazu. Immer wieder drängeln sich zwischenzeitlich Abgewiesene zum Schalter. Ob das Kästchen richtig ausgefüllt sei, ob sie die Frage im Antragsformular richtig verstanden hätten. Manche sind den Tränen nahe. Vom linken Schalter werden sie an den rechten verwiesen, vom rechten an den linken. Sie müssten erst etwas bezahlen, aber am anderen Schalter. Ist doch klar! Nein, er könne noch nichts zahlen, er habe den Antragsbogen ja noch nicht, auch klar! Wir erinnern uns zugern an unser erstes Visaprozedere in Hoi An, als auch wir den Bogen dreimal ausfüllen mussten. Und wir sind wirklich sehr exakt. Der Mann vor uns scheint kurz vor dem Hirntod, schaut resigniert ins Leere. Wahrscheinlich braucht er das Visum wirklich... Abermals wird er zurückgeschickt. Vielleicht ist er schon Tage hier. Gefangen in einer Zeitschleife! Er rauft sich die Haare, sein Kopf hochrot. Er dreht sich abwechselnd in alle Richtungen, als hoffe er, dass gleich irgendwo eine Tür aufgeht. Alles nur ein riesen Scherz, haha. So helft ihm doch, habt Erbarmen, denken wir uns. Andere Betroffene fangen an, sich um den Menschen zu kümmern, setzen ihn an einen Tisch und gehen mit ihm gemeinsam die Fragen durch. Links von uns rastet ein Chinese aus. Kurz, aber nachhaltig. Es geht weiter, wir sind dran. Unsere Bearbeiterin ist offensichtlich im wahren Leben Griechin, hat gerade wenig Zeit und in der Hand drei Antragsformulare. Wir drücken uns an die Sprechmuschel in der Scheibe.

Wieviele Monate im Voraus kann man ein Visum beantragen?
Drei.
Eher nicht?
Nein!
Hmm, kann man zur Zeit über Kashgar einreisen?
Kashgar was?!
Kashgar ganz im Westen von China. Provinz Xinjiang...
Kashgar, na klar... Der nächste!
 
Ein Formular bekommen wir noch, wir werden es dann hoffentlich mit Erfolg in Ankara einreichen. Wir verlassen die Botschaft. Der Frustrierte sitzt noch immer, hat sich aber inzwischen ein wenig beruhigt. Sieht aus wie in der Hilfsschule, schmunzeln wir. Vielleicht sitzen wir selbst in Ankara an dem Tisch. In dem Ordner mit den englischen Ausfüllhinweisen, fehlen die meisten Seiten. Vermutlich wurden sie gefressen oder vor der Botschaft verbrannt. Wahrscheinlicher aber hat ein Chinese sie als Notizzettel missbraucht und nun reihenweise Frustrierte zurückgelassen. Das wäre dann das China, wie wir es kennen.

Bild
Am Nachmittag schlendern wir durch Monastiraki, das Viertel des Altathener Kleinkleins. Die kleinen Gassen, mit all ihren Cafés und Ständen sind gut besucht und entsprechend blockiert. Das stört hier keinen. Es gibt viel zu schauen, daher läuft man selbstredend langsamer. Hält zum schwatzen oder staunen. Es reihen sich dennoch die Wagemutigen auf ihren Motorrädern oder Autos, die mit Engelsgeduld versuchen dem Besucherstrom zu begegnen. Ab und zu teilen sich die Ladenstraßen und eröffnen den Bilck auf etwas frühantike Geschichte. Eine alte Mauer, eine einsame Säule. In anderen Städten wären sie arrangiert, hier sind sie echt. In der Nähe der Museen, verengen sich die Wege und geben so den Blick auf die Fundamente der Häuser und Straßen frei. Diese sind in ihrem Kern beinahe ausschließlich frühantik und, wie wäre es auch anders zu erwarten, bis zu 2700 Jahre alt. In ständigem Wechsel wurden je nach Bedarf Fundamente auf den Schutt der vorherigen Bebauung gelegt. So folgt der Blick des Betrachters Schicht für Schicht dem Lauf der Jahrhunderte in die Tiefe. Auf der niedersten Schicht liegen Tonscherben in einer Dichte, wie man es kaum für möglich halten würde. Beim Bau der Metro, lesen wir, mussten viele alte Fundamente erneut durchstoßen werden. Man stieß auf Gräber und immer neue Tempelanlagen. So verzögerte sich der Bau schlussendlich um Jahre. So behaupten böse Zungen heutzutage, die Ubahn hätte deshalb so lange gedauert, weil sie von Archäologen mit Zahnbürsten geschaffen wurde.
Bild
Plötzlich stehen wir vor einer Kirche, sicher die kleinste, die wir je gesehen haben. Wie ein Monument einer längst vergangenen Zeit steht sie urplötzlich in der Fußgängerzone. Auf den winzigen Grenzmauern sitzen die Menschen und essen Eis. Die Kapnikarea, eine byzantinische und urzeitlich anmutende Kirche, wurde der Legende nach im 11. Jahrhundert gebaut und wechselte immer wieder ihre Besitzer. Letzterer trieb die Tabaksteuer ein (Kapnikos) und gab der Kirche so ihren Namen. Wir nehmen eine Seitenstraße und sehen zum ersten Mal die Akropolis, gar nicht mal so fern. Durch die dichte Bebauung zu ihren Hängen, war sie uns bis dahin völlig verborgen geblieben. Auf ihr throhnt nicht weniger spektakulär der Tempel des Pantheon, oder zumindest das, was nach jahrhundertelanger Zerstörung und Zweckentfremdung heute noch davon übrig ist. Dennoch heben wir uns das Athener Wahrzeichen für später auf. Wir haben ja noch genug Zeit. So laufen wir zurück, zwei weitere Stunden Athener Kleinklein. Am Ende haben wir schwere Füße und ein gutes Gefühl für die Stadt.
Bild
In den folgenden Tagen grasen wir alle Sehenswürdigkeiten ab, die man für das Inklusivticket besichtigen kann. Naiv wie wir waren, hatten wir auch die zahlreichen Museen dazugezählt. Spätestens im hochmodernen Akropolismuseum werden wir jedoch eines besseren belehrt. Es ist somit das einzige Museum, dass wir uns außerhalb des 5 Tage gültigen Tickets gönnen. Im Nachhinein sind wir dennoch gut 4 Tage ausgelastet und dankbar uns nicht über ausgelassene Museen ärgern zu müssen, die vielleicht andernfalls im Ticket enthalten gewesen wären. Allein um von Tempel zu Tempel zu kommen, sind wir das innere Stadtgebiet sicher dreimal abgewandert.
Bild
Das Akropolis Museum mutet in seiner äußeren Erscheinung doch arg futuristisch an und ist dennoch mehr als ein Zweckbau. Es erzählt die Geschichte und den griechischen Göttermythos anhand der ehemals am Pantheon angebrachten Steintafeln und Skulpturen. Diese lagen in den Jahrhunderten zuvor kaputt wahllos zerstreut auf dem heutigen Tempelgelände und auf dem Akropoli Fels. Die ehemalige Pracht konnte dennoch gut konserviert und veranschaulicht werden. Die Abscheu vor der Zerstörung durch die verschiedenen Kulturen, Religionen und Kriege nimmt sie angesichts des vergangenen Prunks jedoch nicht. Wie ein Mahnmal des Verstandes und der Verhältnismäßigkeit, als Sinnbild für Vernunft und Demokratie, thronen nun nur noch die Überreste einer längst vergangenen Zeit über der Stadt Athen.
Bild
Bild
Der Garten der alten Agora liegt zu Füßen der Akropolis und stellt heutzutage den einzig verbliebenen und unverbauten Komplex der Spätantike in der Athener Innenstadt dar. Das angegliederte Museum beweist die Vorstellungskraft der Griechen in ihren ausgestellten Skulpturen und Töpfereien. 3000 Jahre alte Schmuckstücke, reich bemalte Vasen und Amphoren, Spielzeug und sogar ein Baby Töpfchen veranschaulichen die Reife dieser Hochkultur. Zudem die beeindruckenden Skulpturen, die in ihrer Proportion und Ausfertigung ihren hochgelobten, spätromantischen Vettern im Schloss Bellevue kaum nachstehen. Viele Werke aus späteren Epochen wirken auch auf den Betrachter heutzutage wesentlich älter und rückschrittlicher. Zu optimistisch waren wir an unserem dritten Tag eineinhalb Stunden vor Schließung in den Komplex spaziert um nur bald darauf festzustellen, wir würden mehr Zeit benötigen. Die veranschlagte Zeit reichte gerade einmal für die Gärten und Überreste des Hephaistos Tempels, in dessen umliegender Vegetation sich neuerdings eine krächzende Papageienkolonie breitgemacht hat. Wir beeilten uns so sehr wir konnten und erreichten das Museum erst bei Schließung. Doch die Aufseher waren uns milde gesinnt und ließen uns am darauffolgenden Morgen ein zweites Mal hinein.
Bild
Bild
Bild
Wir heben uns die Besichtigung der Akropolis für den vorletzten Tag auf, optimistische zwei Stunden vor Schließung erklimmen wir den Hügel. Der ist als Wahrzeichen gutbesucht, beinahe überrannt. Kaum zu glauben, dass viele der internationalen Touristen aus Übersee sich bei der Stadtbesichtigung ausschließlich auf den zentralen Tempelkomplex konzentrieren, sich anschließend stauen und somit gegenseitig die Fotos ruinieren. Zudem befindet er sich unter dauerhafter Restaurierung, schweres Baugerät und ein imposanter Kran verhindern so den unverfälschten Blick auf das ansonsten so dankbare Fotomotiv. Wir genießen dennoch, genau wie alle anderen. Die Touristenschar nimmt nicht ab. Wieso sollte sie auch, der Sonnenuntergang steht an. Man staunt über die Schaffenskraft des Menschen, fühlt die Zeit und seine eigene, winzige Existenz. Genau als sich der Sonnenschein in sein unverkennbares Rot taucht, werden wir hinausgeworfen. So verlagert sich die Masse auf einen kleineren Hügel abseits der Akropolis, sicher vor dem Zugriff der öffentlichen Ordnung.
Bild
Für unserem letzten Tag heben wir uns Kerameikos auf. Ein weiteres Ausgrabungsgelände ein wenig abseits der Innenstadt. Zuvor hatten wir noch um weitere 5 Tage verlängert. Wir wollen noch ein wenig in Athen bleiben. Keine Museen mehr, keine Tempel. Nur wir, Athen, unser Blog und keine Eile. Das Ticket wollen wir noch nutzen, ausreizen bis zum letzten Euro. Kerameikos fehlt uns noch. Quasi eine antike Wohnsiedlung und Gräberstadt. Wieder gut, wie alles hier. Am meisten im Gedächtnis werden uns wohl dennoch die Schildkröten bleiben, kulturell übersättigt, wie wir sind. Das kann man von den Schildkröten wohl kaum behaupten. Die fressen und existieren. Und das lange. Sehen die Leute kommen und gehen, staunen und in der Hitze verzweifeln, wie wir. Dann fressen sie wieder. Gibt ja auch genug für die genügsamen Genossen, die einzigen wirklich zufriedenen Athener heutzutage, möchte man meinen. Umso zufriedener sind wir selbst, als wir selbst unseren Hunger bedienen können, unmittelbar nebenan auf dem Athen Food Festival. Die Bässe dringen bis auf das Tempelgelände.
Alternative Musik verkündet alternatives Essen, glauben auch wir. Es ist klein aber aller Ehren wert. Nur der Sinn eines Food Festivals geht dem bunten Gefresse unseres Erachtens ab. Das Probieren. Dies generiert man am ehesten mit moderaten Preisen. Es ist dann doch eher ein Food Court, ein Platz zum Essen. Eher hip, weniger experimentell. Wir werden knapp satt.
Bild
Mal eben kurz umziehen, herrlich, denken wir. Keine andere Stadt, schon gar kein anderes Land. Nur ein anderer Stadtteil. Sogar der richtige Bus fährt vor der Haustür. Einsteigen. Warten. Aussteigen. Wir verlagern uns nach Kypseli, raus aus dem Athener Kleinklein ins Neuathener Ganzganzklein. Kypseli ist berüchtigt, in fünf Tagen verlaufen wir uns ebenso oft. Finden unsere Unterkunft nicht mit Karte, höchstens mit Navigation. Dazu noch die Berge, die Straßen gerade hoch. Die Autos gerade runter. So wird jeder Meter zuviel zur Strafe. Mit unserem Gepäck grenzt das an Menschenrechtsverletzung. Xristina öffnet die Tür, stellt sich freundlich vor und ist älter, als man von AirB’n’B erwartet hätte. Man kommt ins Gespräch, die Lage der Wohnung, die Lage der Nation. Sie klagt ihr Leid, nachvollziehbar und doch selten so sympathisch. Ein bitterer, ansteckend schwarzer Humor bekleidet das Gespräch. Sie vermiete die Wohnung um ihren Mann zu unterstützen, der unterstütze seine Mutter. Deren Rente reiche nicht für die inzwischen notwendige, einfache Betreuung. Die koste ja schon soviel, wie die Rente. Das Geld des Mannes reiche trotz Vollzeitjob im Elektrizitätswerk hinten und vorne nicht. Er sei Mechaniker und hatte früher ein gutes Auskommen. Früher. Dies klingt aus ihrem Mund, als wäre es viele schon Jahre her. Sie lacht ehrlich. Jetzt müssen alle zusammenhalten. Traurig sei es vorallem deshalb, weil man in Griechenland ein funktionierendes Sozialsystem kenne. Eines, etwa wie in Deutschland. Wir bezweifeln, dass die Griechen den Umfang des deutschen Systems kennen, verkneifen uns aber unsere Kommentare. Das wäre dann Galgenhumor. Ach mit der Politik sei es doch überall das gleiche. Was hätten ihre Politiker vor der Krise von Staatsverschuldung wissen wollen? War ja auch immer kein Problem, man habe ja nichts anderes gemacht, nicht anders gelebt. Dann brechen irgendwo anders auf der Welt die Immobilienpreise ein und die hiesigen Banken gehen pleite. Privatvermögen verschwinden. Der öffentliche Haushalt gleich mit. Jetzt Müsse man zahlen, was man nie besaß. So fühlt sich der Grieche. Wenn wenigstens Änderung in Sicht wäre. Dann könne man doch damit leben. Wer wisse schon wie lange.
Bild
Doch so gäbe es in den Krankenhäusern keine Ärzte mehr. Man geht dahin, aber es ist niemand da außer Schwestern. Die Polizei habe kein Geld um die eigenen Autos zu betanken. Sie betanken stattdessen die Motorräder. Aber auch nur da, wo Touristen sind. Die könne und müsse man noch beschützen. Andernorts hat sie den Zugriff völlig verloren. Man habe sie kürzlich angerufen, erzählt Xristina. In ihrem Haus sei eingebrochen worden. Nichts sei mehr da. Fernseher, Schmuck, alles weg. Sogar der Billigschmuck! Wenn sie nun wieder wegfahre, würde sie ein Schild in die Fenster hängen, gerichtet an potentielle Einbrecher: ‚Es ist schon alles weg, auch der Fernseher!‘ So blieben vielleicht die Fenster noch ganz. Sie kann sich kaum halten vor Lachen. Wir lachen mit, doch bleibt es uns fast stecken. Wissen wir doch, dass für viele Griechen die Krise ein deutsches Gesicht trägt.
Wir bewundern Xristina, wie so viele in dieser Zeit in diesem Land. Danken für freundliches, differenziertes Denken. Das hätte ja nichts mit uns zu tun. Selbstverständlich nicht! Sie hat recht, wissen wir auch. Nur wissen wir ebenso, dass viele unserer Landsleute nicht so unterscheidend urteilen. Da sind eben alle Griechen Steuerpreller, die ihr Schicksal herausgefordert haben und nun mit den Konsequenzen leben müssen. Deren Bereitschaft zu Abstrichen sehen wir schon in der aktuellen Flüchtlingskrise. Aber griechische Zustände in einer deutschen Gesellschaft wollen wir uns gar nicht vorstellen. Da würde ja schon immer an falscher Stelle investiert. Aber wenn man sich entscheiden müsste zwischen betankten Polizeifahrzeugen oder neuen Reifen für den stillgelegten Schulbus. Das wäre dann wirklich interessant...
Bild
Wir bedanken uns bei Xristina nach fast einstündigem Übergabegespräch. Die Wohnung ist großartig, sie wird uns in den kommenden drei Tagen des Regens ein willkommenes Obdach bieten. Doch heute ist es noch sonnig, wir irrlichtern in die Innenstadt und suchen die Post. Da wir alles gesehen haben, was das Ticket hergab, haben wir auch wieder Zeit. Wir trinken Kaffee und essen Salat. Zurück wollen wir Busfahren. Im Gegensatz zur Metro ein beinahe hoffnungsloses Unterfangen, sofern man sich nicht schon die Verbindungen vorab rausgesucht hat. Die Logik des Busverkehrs erschließt sich nur dem Langzeitathener. Für Spontanität bleibt da wenig raum. Wir wollen zur Post, anschließend zur Omonia Sammelstation. Das wissen wir gerade noch.
‚Hast du den Mann gesehen?‘, fragt Xenia. Ich bin derweil gedanklich schon auf Wandertag. Der Umzug und die anschließende Safari durch Kypseli haben mich erfolgreich ermattet. So verfolge ich stattdessen das rege Treiben an der Omonia Busstation. Wie die alten Leute säckeweise die Einkäufe von Bus zu Bus bewegen, immer in Eile, von Station zu Station zu kommen. Die allumfassende Geldnot macht mobil, der bequeme Gang in den Laden um die Ecke bleibt aus. Dagegen schauen die Jungen mal wieder nur auf ihre Handys. Dafür hat man immer Geld, nachvollziehbar. Immer informiert, könnten sie dass, was hier passiert vermutlich genauso wenig definieren, wie ich.  ‚Hast du den Mann gesehen?‘ fragt mich Xenia erneut. Mein Blick fokussiert ihr Gesicht. Erst jetzt bemerke ich ihre Schockiertheit. Ich folge ihrem Blick, schaue zurück und fixiere die graue Gestalt direkt an der Straße, gerade noch auf dem Gehweg. Vorn übergeworfen liegt sie schon mehr, als dass sie kauert. Das Bein unnatürlich abgestreckt, der Blick starr, das Gesicht eingefallen. Schwer zu erkennen im Vorbeigehen. ‚Das Bein!‘ Erst jetzt sehe ich es. So etwas hatte ich eher in Indien erwartet, umso heftiger trifft es mich. Ich verstehe, Xenia auch, eine spontane Träne in ihrem Blick verrät es. Sie wendet sich ab, sagt ihr würde sonst schlecht. Sein Bein ist mindestens septisch, gelb und eitrig aufgedunsen, so dick wie zwei. Das aus tiefen Rissen sichtbare Fleich trocknet in der Sonne. Ein Anblick, kaum zu ertragen. Eine schwere Sepsis führt zum Tod, hat man einmal gelernt. Wenn dem so ist, dann hat er es nicht mehr weit. Keine Bewegung, er liegt einfach. Die Menschen gehen so selbstverständlich an ihm vorüber, wie man es in Ländern tut, wo das Elend bereits Alltag geworden ist. Die wenigsten werden das Bein überhaupt sehen. Und wenn doch, dann werden sie schauen, nicht einmal selbst dort zu liegen. Wir warten lange auf unseren Bus, als ich nach 10 Minuten noch einmal um die Ecke schiele. Der Arm scheint sich bewegt zu haben. Er liegt jetzt anders.  ‚Stimmt...‘, sagt Xenia und schaut weg. Am Ende ändert es wenig bis gar nichts.
Das sind sie, die gekürzten Prozente. Ein wenig hier, ein wenig da. Alles dient dem Schuldenabbau, von einzelnen Schicksalen redet man da nicht gern. Pikiert erreichen wir unsere Wohnung. Obwohl uns der Tag nichts zeigte, was wir nicht schon vorher wussten, werden wir ihn nicht so schnell vergessen. Es ist halt ein Unterschied, ob man die Dinge glaubt, oder ob man sie weiß. Dabei wissen wir nur, was wir sehen, ein anderer mag sie wissen, weil er sie fühlt.

Bild
Wir überstehen den Regen in unserer Wohnung, arbeiten und bearbeiten. Schreiben und planen. Gab uns der erste Tag noch das Gefühl, kostbare Reisezeit zu vergeuden, und sei es unter wolkenverhangenem Himmel, nieselt der Regen die darauffolgenden Tage unablässig gegen unsere Fenster. Wie auf Bestellung hört es am letzten Tag, ein Freitag, auf. Wir überspringen großzügig das Kloster Daphni und fahren nach Piräus. Ursprünglich unmittelbar vor Athens Toren gelegen, fließen die Stadtgrenzen nun homogen inneinander. So ist es bequem per Metro erreichbar. Hier sieht es, welch Überraschung, auch nicht anders aus als in Athens Innenstadt. Nur eben mit Meer. Wir umrunden die Halbinsel, auf der einen Seite der Yachthafen, auf der anderen der Fähr- und Industriehafen. Dazwischen stets das tiefblaue Meer und eine Aussicht, wie man sie von einer Hafenstadt dieses Ausmaßes kaum erwarten würde. Auf halber Strecke treffen wir Angelos. Er sitzt mit seiner Mutter auf einer Parkbank und genießt sie, die Aussicht. Zu ihren Füßen ein kleines Hündchen, niedlich aber brandgefährlich, wie er uns unaufgefordert warnt. Ernst, und doch mit jovialem Zwinkern. Woher wir kommen, fragt er. Unsere Nationalität führt zwangsläufig zur bekannten Debatte. Wer könnte es ihm verübeln. Auch er klagt sein Leid, erzählt uns Dinge, die wir bereits wissen und allerlei neues. Es hört ja auch nicht auf, ist stellenweise so interessant wie unglaublich. Seine Mutter fiel vor einem Jahr die Kellertreppe hinunter, brach sich den Arm. Im Krankenhaus konnte sie nicht behandelt werden, da kein qualifizierter Arzt verfügbar war. Gebrochene Arme sind anscheinend nicht dringlich genug, als dass ein richtiger Arzt sowas sehen müsste. Jetzt ist der Arm steif, baumelt eingeschränkt und angewinkelt an der Seite. Klingt für uns spontan nach Afrika. Ob die Patienten schon farblich markiert werden, will ich einwerfen, verkneife es mir aber. Falscher Ort, falscher Humor. Doch Angelos hätte es mir verziehen, er lebte lange in Amerika. Er kam zurück, als das Leben hierzulande noch besser war. Am meisten betrübe ihn die Jugend. Die sei inzwischen anders als er es war in dem Alter. All ihrer Visionen beraubt, der Illusionen sowieso. Was habe sie auch zu erwarten? Wer selbst nicht auf den Gedanken käme, dem erzählten es die Eltern. Weg sollen sie gehen. Die, die bleiben (und das seien immer noch genug), streiten nun über mangelnde Arbeitsplätze, akzeptierten inakzeptable Arbeitsbedingungen. Konkurrierten in einer neuerlichen Ellbogengesellschaft um jede Arbeit, nur um nach 10 bis 12 Stunden Regelarbeitszeit etwa 700 Euro nach Hause zu bringen. Und Lebensmittelbezugsscheine für die Überstunden. Kennen wir nur aus den Geschichten vom Krieg unserer Großeltern. Das alles reiche dann für Wohnung, Essen, Handy. Krank werden dürfe man natürlich nicht. Urlaub, Auto, Visionen, das sei Luxus. Und dabei doch so wichtig. Seine Mutter glaube, Schäuble persönlich hasse die Griechen. Sonst könne man nicht so sein. Einem Kredite aufzuzwingen zu immer härteren Konditionen, die man doch eh nie zurückzahlen könne. Eine Schande sei das! Wir klären sie auf über Schäubles Intentionen, die mitteleuropäische Sicht. Als ob das etwas ändern würde, Galgenhumor sei das. Wir geben recht. Man bleibt höflich, was bleibt auch übrig. Xenia streichelt inzwischen das Biest, das genießt. Als ein zahmer Schäferhund, zehnmal so schwer, gelassen vorüberzieht, rastet er aus, eskaliert und legt sich im Anschluss erregt zitternd vor Xenias Hände. Man lacht und schaut betrübt. Der Hund macht noch Spaß.
Bild
Bild
Ein letztes Mal ziehen wir durch die engen Gassen Athens. Anafiotika, das älteste und engste Viertel, quasi Ganzganzkleinkleinklein. So klein, dass wir die Suche schon aufgaben und den Eingang dann doch nur durch Zufall finden. Herrlich niedlich ist es. Die Mopeds stehen bereits unten, drin ist wenden unmöglich. An weiß gestrichenen Mauern wandern wir immer höher, bis es plötzlich endet. Wir laufen zurück und biegen als bald ab. Zu groß die Gefahr, dass zwei entgegenkommende Touristen sich gegenseitig den Weg versperren. Wir laufen förmlich durch die Küche eines Anwohners, kriechen unter einer üppigen Tropenpflanze hindurch und sind zurück auf der Hauptstraße. Nicht größer als ein Hausflur. Nebenan kiffen die Jugendlichen. Verstecken die Tüte und schauen auffällig unauffälig in die Leere, als könne man es nicht riechen auf drei Quadratmetern. Wir grinsen und steigen über sie drüber. Wenn die wüssten.
Bild
Zum Abschluss sitzen wir auf dem Filopappou Hügel, gerade rechtzeitig zum Sonnenuntergang. Ein wirklich schöner Park, auslandend groß geraten. Viele kleine Wege führen wo auch immer hin. Dazwischen liegt Sokrates Gefängnis und andere Kategorie B Sehenswürdigkeiten, für die wir keine Zeit mehr haben. In der Mitte ein beachtlicher Hügel. Oben die Felsen, frei von Vegetation mit schönem Blick auf die Akropolis. Da sitzen wir. Die Kippchen sind schon gedreht. Wenn schon, dann richtig stilecht! Vor uns sitzt noch jemand, Selfie für’s Album. Eins, dann noch eins und so weiter. Die Akropolis im Hintergrund, wie auf der Postkarte. So fotografieren wir munter mit. Muss sich ja lohnen, das Ganze. Es wird überraschend schnell kalt hier oben. Die Hitze hatte noch keine Zeit, sich in der Stadt festzusetzen. Abends kommt der Wind vom Meer, der weht die Hitze auf die andere Seite, zurück ins Meer. Uns soll es recht sein. Wir sind gewarnt, wollen nicht im Dunkel durch den unbeleuchteten Park zurück zur Innenstadt laufen. Wegen der Fotos hätten die Touristen immer so teures Equipment dabei. Das wüssten nicht nur die Touristen, sondern auch dunkle Gestalten voll dunkler Gesinnung. Die Polizei habe nicht die Kapazitäten diese im Zweifel zu verfolgen, könne man sich im Park doch hervorragend verstecken. Alles Taktik? Wir wollen es nicht herausfinden und beeilen uns zurück. Unbegründet natürlich. Athen verabschiedet uns dankbar, mit schöner Sicht auf eine schöne Stadt, voller schöner Menschen in einer unschönen Zeit. Haristo!
0 Kommentare



Hinterlasse eine Antwort.

    Archiv

    Januar 2019
    Dezember 2018
    November 2018
    Oktober 2018
    August 2018
    Juli 2018
    Juni 2018
    Mai 2018
    April 2018
    März 2018
    Februar 2018
    Januar 2018
    Dezember 2017
    November 2017
    Oktober 2017
    September 2017
    August 2017
    Juli 2017
    Juni 2017
    Mai 2017
    April 2017
    März 2017
    Februar 2017


    Bild


    RSS-Feed


    Datenschutzerklärung

Alles in der Welt ist nur für den da, der die Augen hat es zu sehen.

Community
Datenschutz
  • Reise
  • Weg
  • Länder
    • Neuseeland
    • Australien
    • Malaysia & Singapur
    • Thailand
    • Indonesien
    • Laos
    • Kambodscha
    • Vietnam
    • China
    • Nepal
  • Galerie
  • Notizen
  • Über uns
    • Planung
    • Ausstattung
    • Technik
    • Bücher
  • Kontakt