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Auf dem Weg um die Welt


​...und zu allem was dazwischen liegt

Inmitten der Seidenstraße - umgeben von Legenden, Eroberern und Baumwolle

2/10/2017

1 Kommentar

 
Gelangweilt sitzen wir am Frühstückstisch, lassen uns schon früh am Morgen von Technomusik beschallen. Die Nacht war mal wieder kurz, wie schon so viele davor. Wir erwachen auf unseren ungewollt teuren Betten in unserer ersten Jurte. Diese sind zwar ebenso typisch für die Usbeken, wie für alle anderen Zentralasiaten, doch wollten wir eigentlich ein ganz normales Zimmer. Doch es kam, wie es kommen musste. Unsere mehr als glückliche Mitfahrgelegenheit des vorangegangen Tages entließ uns in tiefster Nacht in die gemäßigt vertrauenserweckenden Hände eines spontan herbeigewunkenen Taxifahrers. Der nahm unseren Truckern das Versprechen ab, uns bei einem günstigen Hotel abzusetzen. Doch hielt das Versprechen wohl nur bis zur ersten Kurve, aus einem günstigen Hotel wurde demnach irgendein Hotel. Er fährt uns zielgerichtet zur besten Adresse der Stadt, die sich nachts um halb zwei ihrer vorteilhaften Verhandlungsposition bewusst ist. Nukus ist am Ende dann auch nur irgendeine größere Stadt inmitten der Trostlosigkeit der usbekischen Steppe und bietet eine handvoll brauchbarer Unterkünfte, die man besser schon kennt oder wahlweise vorab gebucht hat. So nützt alles Bitten und Feilschen vor der einladenden Hotellobby wenig und endet schlussendlich in der teuersten Jurte, die man dekorativ in einen Frühstücksraum bauen kann. Bis wir in den kaum noch aufschiebbaren Schlaf finden ist es um drei, Frühstück gibt's bis neun. Na toll! In einem normalen Hotel hätten wir uns wieder verkrochen, das Checkout Limit ausgereizt. Doch die Musik hält uns davon ab. In einer Jurte ist diese, wer hätte es gedacht, innen genauso laut wie davor.
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So laufen wir gezwungenermaßen früh die 100 Meter bis zur größten städtischen Attraktion, dem Savitzky Museum. Der Herr, der dem Museum seinen Namen gab, war ein bekannter Kunstsammler der 1920er gewesen und schaffte es innerhalb weniger Jahre die bis heute am besten erhaltene Sammlung russisch avantgardistischer Kunst zusammenzutragen. Sicher, die allerbesten Stücke, unter ihnen auch Kandinskys, wurden im Laufe der Zeit verhökert. Dennoch kann sich das heutige Museum rühmen, noch umfangreich auf bestens erhaltene Werke bekannter Künstler aus der zweiten Reihe zurückgreifen zu können. Da war die Abgeschiedenheit mehr als vorteilhaft. Nukus selbst riecht und schmeckt nach Salz und Staub, die Bevölkerung, hauptsächlich Karalpaken, ist nachwievor arm und wurde mit dem Schwinden des einst nicht so entlegenen Aralsees auch nicht reicher. Würde man sie fragen, hätten sie wohl auch das allerletzte Bild verschachert um die Armen zu speisen und die gröbsten Haushaltslöcher zu stopfen. Die Frage, wieviel davon heute noch übrig wäre, erübrigt jede weitere Debatte. Jahrelang kämpfte das Museum daher mit gröbsten inneren und äußeren Widerständen und konnte durch geschicktes Manövrieren, Verstecken und Verleihen seine ansehnliche Sammlung in die heutige Zeit retten. Gelohnt hat es sich wohl. Seit in den letzten Jahren der Tourismus des Landes einen stetigen Zuwachs erfährt und sich nicht wenige Fernreisende in das nahegelegene Khiva verirren, kann sich auch Nukus wieder über steigenden Besuch freuen. Im vergangenen Jahrzehnt noch als Geheimtipp gepriesen, hat sich das Museum aus seinem stalinistischen Mantel gepellt und präsentiert sich nun in schickem Gewand, das auch den Vergleich mit westlichen Sammlungen nicht scheuen muss. Davon wissen wir freilich noch nichts, als wir die vergitterte Treppe des ehemaligen Hauptgebäudes ersteigen.
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Zuerst meinen wir uns, mal wieder einem sogenannten Geheimtipp aufgesessen zu sein, als uns die Auswahl der Bilder, einschließlich einer kulturhistorischen Ausstellung und die Aufklärung über die regionale Katastrophe des Aralsees zwar interessiert, aber eben nicht gerade umhaut. Wir lassen uns mehr als ausreichend Zeit, bis uns das reine Gewissen zum Gehen auffordert. Im gegenüberliegenden Gebäude scheint Party angesagt. Bunte Ballons suggerieren Veränderung. Da wir auf Nachfrage sichergehen konnten, im richtigen Gebäude gelandet zu sein, besuchen wir das andere nur, weil wir eben gerade da sind. Es ist immer noch Mittag, nach Khiva können wir auch noch später fahren. Schon unmittelbar am Eingang erklärt sich der Spuk. Hier wird gerade neueröffnet! Und zwar die richtige Kunstsammlung, die in ihr neues Heim gezogen ist. Dem Anschein nach konnten sich die Aufseher des anderen Gebäudes noch nicht an die neue Sachlage gewöhnen, weshalb derartige Hinweise auch auf Nachfrage ausblieben. Leider sei jetzt allerdings Mittagspause. Diese scheint in Usbekistan eine hohe Wertschätzung zu genießen und muss, wie es scheint, kollektiv begangen werden. Nicht mit Xenia! In größtmöglicher Unfreundlichkeit weist sie die Oberaufseherin förmlich auf die Anzahl ihrer Kollegen hin und weshalb die jetzt alle gleichzeitig speisen müssten, und das auch noch für zwei Stunden. Wir seien eigens wegen dieser Ausstellung hierher gekommen, hätten keine Zeit und noch weniger Geduld. Es wirkt. Nach eingehender Beratung lässt man uns gewähren und uns schnellstmöglich die eigentliche Ausstellung ohne andere störende Besucher bestaunen. Gut gemacht, das ist mein Mädchen! Bild um Bild betrachend hetzen wir im Anschluss durch das Obergeschoss. Während sich unsere Aufpasser schwatzend am Eingang vertun, fotografieren wir ungestört die besten Stücke. Die lassen schon auf den ersten Blick erahnen, wie die Ausstellung zu ihrem Weltruhm kam und stammen von Künstlern wie Alexander Volkov und Ural Tansykbaev. Im normalen Betrieb wäre das wohl nicht möglich gewesen, so hat unsere kleine Ausnahmegenehmigung doch noch ihr Gutes.
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Während ich schon im Bus warte, organisiert uns Xenia Eis. Die gemächliche Stimmung am Busbahnhof überträgt sich auf alle Wartenden, die sich zahlreich an den Plattformen einfinden. Keine Hektik, kein Gedränge auf die besten Plätze. Alle halbe Stunde fährt schon irgendwas irgendwohin. Es hat schon so seine Vorteile, wieder in bevölkerungsreicheren Ländern zu reisen, denken wir uns. In Khiva selbst sind wir keine 3 Stunden später. Der Bus hält vor den ausladenden Mauern dieser uralten Wüstenoase. Im Gewirr der Gassen passieren wir die zahlreich angereisten Touristen aus woher auch immer, bis wir auf dem Platz vor dem Islam Hoja Minarett von unserem Gastgeber angesprochen werden. Mit ein bisschen Feilschen bekommen wir ein Zimmer zugewiesen, in dem wir es spontan ein paar Nächte aushalten können. Wir sind die einzigen Gäste. Es ist wohl noch zu heiß, doch in wenigen Wochen schon beginnt die Hauptsaison, dann ist es vorbei, mit der beständigen Ruhe, heißt es. Der Schatten des Minaretts senkt sich derweil auf den Platz vor unserem Fenster. Die Sonne steht bereits tief und taucht die lehmverstrichenen Mauern in ihr verführerischstes Rot. Khiva gefällt schon auf den ersten Blick.
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Tags darauf begehen wir die Altstadt. Der dicklich blaue Kalta Minor Turm, der Chiva selbst als Wahrzeichen dient, war ursprünglich als Minarett geplant. Seine Fertigstellung dagegen schien aber schon aufgrund der Ambitionen des Sultans mehr als ungewiss. Angeblich wollte der Sultan einst von der Spitze des Turms bis nach Buchara schauen können, was angesichts einer Entfernung von über 400 Kilometern als überaus ambitioniertes Unterfangen verstanden werden kann. Der Rest ist längst Geschichte. Unfertig und reich verfliest steht er nun als stumpfer Kegel vor dem Westtor und ist dennoch von beinahe überall innerhalb der Mauern einsehbar. Auf dem Platz davor nehmen wir beinahe jede Mahlzeit in einem kleinen Restaurant wahr, erfreuen uns über die fortwährend gute usbekische Küche. Nach dem Iran freuen wir uns, dass sich unsere Erwartungen an das ebenso oft gepriesene Essen bestätigt. Es ist günstig, vielfältig, mit Einflüssen aus der russischen als auch orientalischen Küche. In der gröbsten Hitze hilft ein kühles Bier. Heile Welt, was will man mehr.
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Mit steigendem Elan frisiere ich mein Haupthaar und kämme es immerzu in geradem Strich nach hinten, wie es Xenia gebetsmühlenartig anmahnt. Damit begegne ich dem kreisrunden Übel, das sich einer Krankheit gleich über meinen Hinterkopf ausbreitet. Da haben die Gene wohl doch gesiegt. Noch scheiden sich unsere Geister, wie man kaschiert, was sich wohl nur noch begrenzt aufhalten lässt. In einem Buch, das mir als ursprüngliche Reiseliteratur ebenso Inspiration wie Lebenshilfe geworden ist, begegnet der Autor selbigem Problem, indem er sich kompensatorisch den Bart wachsen lässt. Auch ein Ansatz, denke ich, während ich mir andächtig durch den rauen Gesichtswuchs streiche. So ein Bart, der zweifellos der Ablenkung dient, kann ja ebenso als Statement verstanden werden. Wie der letzte unermüdliche Kämpfer einer längst verlorenen Schlacht. Doch ganz soweit ist es ja noch nicht, mein Kämpfer steht noch, vielleicht deren auch zwei, während die feindlichen Gene gerade blicken lassen, wozu sie im Stande sind.
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Wir lassen uns soviel Zeit, wie man sich mit 20 Tagen Restaufenthalt in einem Land wie Usbekistan erlauben kann, arbeiten ein wenig und warten stets die gröbste Hitze des Tages ab. In unserem schönen Zimmer lässt sie sich auch super aussitzen. So braucht es oft bis zum frühen Nachmittag, bis uns das schlechte Gewissen in die Gassen der Altstadt treibt. Was dann an stechender Sonne schon nicht mehr da ist, hat sich heiß und unerbittlich einem Tandor gleich in den dicken Mauern festgesetzt. So schleichen wir zum Westtor. Bevor wir da sind, haben wir schon das erste Wasser getrunken, uns das erste Bier gegönnt. Weil wir gerade da sind, kaufen wir uns am nächsten Tag eines der unsinnigsten Tickets unserer jüngeren Reisegeschichte. Es preist sich selbst als Einlass zu knapp 30 kulturhistorischen Orten an, von denen im Rückblick einer banaler als der andere scheint. Die ersten fünf passieren wir noch gutgelaunt, weiter wartend auf den großen Knall, das ultimative Erlebnis. Aber nein, schon am zweiten Eingangstor müssen wir uns über zusätzliche Eintrittsgelder aufklären lassen. Es war wohl im Rückblick auch ein wenig naiv gewesen, zu glauben nun freie Fahrt in alle offensichtlichen Sehenswürdigkeiten zu haben. So bleibt es bei knapp zehn besuchten Gebäuden, mit denen wir gut leben können. Im Khuna Ark sind die Kamele untergebracht. Keine zum Reiten wohlgemerkt, sondern reichgeschmückt zum Fotografieren, wahlweise mit oder ohne Touristen. Wir besuchen ihn am letzten Abend kurz vor Sonnenuntergang. Die einzigen mit dieser grandiosen Idee waren wir wohl auch nicht, als sich bei unserer Ankunft an der höchsten Stelle die Frühpensionierten von ihrem Guide fotografieren lassen. Bis die fertig sind, ist meist wirklich schon morgen. Doch wir bekommen unser Bild, sind mehr als glücklich dagewesen zu sein. Khiva hat uns beinahe ergriffen, mit seiner auffallend gut erhaltenen Altstadt, die von zerstörerischen Kriegen und nagendem Zerfall verschont geblieben ist.
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Am Abend treffen wir noch ein letztes Mal unsere Gastfamilie, die hartnäckig Xenia eine Jacke zu verkaufen versucht, die sie eigentlich nicht braucht. Aber wo kämen wir denn hin, wenn man nur kaufte, was man benötigt. Vorausschauend hat Xenia meine Unerbittlichkeit mit einem Kleid kompensiert, das ihr wirklich steht. Um die Jacke steht es dafür umso schlechter. Ins Gespräch kommt man trotzdem. Wir stöhnen über die Hitze, die wahre Effizienz im Sightseeing beinahe unmöglich macht. Dabei verschweigen wir, dass uns beinahe überall heiß ist, wo das Thermometer über 40 Grad anzeigt. Ja, früher hätten sie hier normaleres Wetter gehabt, ganz früher auch ganz normales. Doch vor 40 Jahren habe es sich geändert, erzählen die Alten, vor etwa 20 Jahren dann so richtig und die letzten 10 sei es so wie jetzt. Damals gab es noch Regen, als die Wolken noch Wasser fassen konnten über den Weiten des Aralsees. Nun aber sind die Sommer über 60 Grad heiß, die Winter unter minus 40 Grad kalt. Und natürlich endlos trocken. Das läge auch am Salz, am Staub und dem beständigen Wind, der alles vermische und die Landschaften vereinheitliche. Die Sommer seien wolkenlos, ohne Schatten und unerbittlich. Das Wasser komme schon länger aus dem Boden, oder den bereits schwindenden Kanälen, je nachdem was halt so durchkomme. Bis Chiva sei es ja ein Stück. Im Winter läge kein Schnee in der Steppe. Woher soll der auch kommen, so ganz ohne Luftfeuchtigkeit. Die Baumwollplantagen dagegen stehen noch. Sie zeugen abseits der Fernstraßen vom unabänderlichen Kollateralschaden, als fortwährende Relikte des naiven Versuchs, anzubauen was hier nicht her gehört. Wir können nur erahnen, welche Flächen notwendig sind, einen der größten Ströme Asiens sprichwörtlich im Sande verlaufen zu lassen. Doch profitiert wird munter weiter. Usbekistan gehört nachwievor zu den größten Baumwollexporteuren, gepflückt wird dann zur Not auch per Zwangsarbeit, wie man hinter den Kulissen weiß. Was macht das noch. Am Ende ist sie wohl doch nur das geringere Übel.
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Eng bepackt rasen wir nach Buchara. Uns soll es recht sein, jede gesparte Minute, ist eine gute Minute! Obwohl wir unseren Taxivermittler mehrfach vorab auf unser erhebliches Gepäck hingewiesen hatten, sind wir dennoch froh, dass sich unsere anderen beiden Mitfahrer so bereitwillig der Enge fügen. Nun sitzen wir sprichwörtlich auf unserem Gepäck. Nach einer Stunde schlafen mir abwechselnd die Pobacken ein, je nachdem, welches Bein ich gerade heben muss, um der drohenden Thrombose zu begegnen. Unmittelbar, bevor mein ganzer Körper einschläft, erreichen wir Buchara. Es dauert auch gar nicht so lang, bis wir das Hotel in Sichtweite zum Parkplatz erreichen. In Zeiten multimedialer Möglichkeiten, sollte man ab und an dennoch seinen Augen vertrauen, die sehen, was das Handy leugnet. Wir überstehen den unfähigsten Rezeptionisten seit der Einführung des Familienbetriebs und verkriechen uns in unser neues Zimmer, das sogar noch schöner ist, als das letzte. Dieses können wir gerade mehr als gebrauchen, da Xenias ansonsten multiresistenter Darm zeigt, dass er dennoch menschlich ist. Vermutlich hat er sich das Kommende durch alle bisherigen Länder und Jahre aufgespart, während ich viel zu oft von einer Toilette zur nächsten hetzen musste. Im übrigen ist die Verdauung ein Dauerthema unter allen Dauerreisenden, zwar unliebsam und dennoch unumgänglich. Zumeist liegt es gar nicht am Essen selbst, sondern viel zu oft am Stress in Verbindung mit Hitze. Generell eine gefährliche Mischung. So brauchen wir zwei Tage, die wir dennoch sinnvoll zu nutzen verstehen, bevor uns Buchara mit seiner unausweichlichen Kultur zu befangen vermag.
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Den Registan schaffen wir dennoch am zweiten Abend. Selbstverständlich ist er gut besucht, ganz besonders in der untergehenden Sonne. Der Kalon Moschee mit ihrem wunderschönen Minarett steht die Mir-I-Arab-Medresa exakt gegenüber. Zusammen bilden sie ein Ensemble, das stellvertretend für die Stadt Buchara weltweite Bekanntheit erlangt. Dieses gilt bis heute als der heiligste und geschichtsträchtigste Ort Zentralasiens, der viele Herrscher kommen und gehen sah, bis es 1918, zweifellos zum Wohle seiner Einwohner, von den Bolschewiki einverleibt wurde. Zudem gilt es bis heute als bester Ort, um eine Vorstellung des alten Turkestans zu erlangen. Charakteristisch für Buchara waren dabei die über 100 Koranschulen, die über 10.000 Schüler beherbergten. Noch vor 300 Jahren war das eine kaum greifbare Zahl. Zu dieser Zeit war das Zentrum auch noch von vielen Wassergräben und Kanälen durchzogen, die allerdings stehendes Wasser beherbergten und so verantwortlich waren für immer neue Epidemien. Der Überlieferung zufolge lag die damalige Lebenserwartung bei beachtlich niedrigen 32 Jahren. So scheint es rückblickend auch kein Wunder, dass die Kanäle als Allererstes den Kommunisten zum Opfer vielen. Doch zurück zum Registan! Wir sitzen an den Stufen der Moschee und warten darauf, zwischen den zahlreichen Touristen auch das ein oder andere unverdorbene Bild der Einheimischen machen zu können, die mit aller Selbstverständlichkeit ihre farbenprächtigsten Kleider angezogen haben. Als inländische Touristen bleiben sie ehrfürchtig vor dem Minarett stehen, das bei seiner Erbauung im frühen 12. Jahrhundert, sicherlich das höchste Gebäude Zentralasiens war und um das sich so manche Legende rankt. Zum Beispiel die des Sultans, der sich die Höhe des Turmes zu nutze machte, um sich seiner ungeliebten Frauen zu entledigen. Das hatten sich die Architekten dieses Prachtbaus sicher anders vorgestellt. Der Überlieferung nach war selbst Dschingis Khan von seiner Schönheit so überwältigt, dass er befahl das Minarett zu verschonen und stattdessen den Rest der Stadt zu zerstören. Dazu gehörte dann wohl auch die zugehörige Moschee. An ihrer Stelle wurde später dann auch die neuere Kalon Moschee errichtet, die wir interessiert betreten, weil wohl gerade niemand da ist, um den Eintritt zu kassieren. Irgendwie beschleicht uns das Gefühl, nach dem Iran auch das alles schon einmal gesehen zu haben. Aufwendige Fliesenkunst in Blau und Gold, wohin das Auge schaut. Und dennoch halten wir inne, um den Erbauern und ihrer offensichtlich grenzenlosen Inspiration gerecht zu werden.
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Am Eingang unseres Hotels fällt uns ein riesiger Jeep mit deutschem Kennzeichen ins Auge, der glücklicherweise zu unseren neuen Zimmernachbarn Karl und Martin gehört. Die touren mit ihrer Gruppe von Kasachstan und Kirgisistan kommend durch Zentralasien und befinden sich wie auch wir auf der Durchreise. Am Abend treffen wir uns auf ein Bier und philosophieren über die gerissenen Usbeken und offen korrupte Kirgisen. Als Weltumfahrer lernt man ja immer noch eine andere Seite des Landes kennen, die dem Busreisenden mitunter verborgen bleibt. Auf die Frage, wie sie ihr dieselbetriebenes Vehikel betanken, da Diesel in Usbekistan allein öffentlichen Nutzfahrzeugen vorbehalten ist und zugeteilt wird, kommen wir auf Erneuerung und Fortschritt zu sprechen. Dabei kommen die Usbeken gar nicht so schlecht weg. Beinahe alle Fahrzeuge in Usbekistan wurden in den letzten 15 Jahren gebaut und sind erdgasbetrieben. Da wurde nicht groß gefragt und auch nicht über Quoten gesprochen. Das wurde einfach gemacht. Demzufolge stinkt es in den Städten nach allem, nur nicht nach Abgas. Ganz nebenbei sind beinahe alle Fahrzeuge in Usbekistan Chevrolet. Dem Anschein nach haben die Amerikaner einen guten Deal ausgehandelt, als während des Afghanistan Krieges beinahe die gesamte US Army in Usbekistan stationiert war.
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Bei uns wäre das so gar nicht denkbar, zweifeln wir gemeinsam. Obwohl wir doch alle so frei sind in unseren Entscheidungen und dem Gemeinwohl, hinge eine Umstellung auf Erdgas, Wasserstoff oder gar Strom an einem gleichwertigen Fahrerlebnis. Und genau daran zweifelt der deutsche Autofahrer, fährt weiter seinen benzin- oder dieselbetankten Verbrennungsmotor, hadert mit der Zeit, glaubt der Privatwirtschaft, heult über den Innovationsstandort Deutschland und überlässt gleichzeitig der Konkurrenz das Feld. Ich gebe zu bedenken, das irgendwann autonomes Fahren die gesamte globale Mobilität verändern wird und automatisch durchsetzen wird, wogegen sich jetzt noch alle wehren. Die Absetzung des privaten Autos, was für eine schöne Welt das wäre... Doch die beiden zweifeln aus guten Grund. Fahren habe doch schon längst nichts mehr mit unmittelbaren Nutzen oder gar Vernunft zu tun, es sei reine Emotion. Wie sonst könne man etwas überteuert verkaufen, das eigentlich keiner braucht. Die Idee, den Nahverkehr mit der privaten Nutzung des Autos gegenzufinanzieren sei zwar so alt, wie das Auto selbst, funktioniere aber aus eben diesem Grund nicht.
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Der kommende Tag läuft für uns weniger spektakulär. Wir haben uns den Ark vorgenommen, der allerdings, wer hätte es gedacht, größtenteils wegen Bauarbeiten gesperrt ist. Den Rest der riesigen Festungsanlage können wir nur erahnen. Wir besuchen das einzig begehbare Gebäude, schauen und gehen. Wesentlich interessanter fällt da der Zindon aus, das mittelalterliche Gefängnis, das noch bis 1911 in Benutzung war. Noch in diesem Jahr fasste das Gebäude, kaum größer als ein gutbürgerliches Doppelhaus ganze 84 Insassen, von denen 73 gleich generalamnestiert wurden.  In der Bevölkerung wird es romantisch als Schuldnerhaus verklärt, in der potentiell Zahlungsunwillige solang inhaftiert wurden, bis irgendwer die nötige Summe aufbringen konnte. In der Realität belegen detailgetreue Fotos der letzten Jahrhundertwende, den rauen Alltag, den nur wenige länger als ein halbes Jahr überlebten. Dabei waren die Bessergestellen in den zwei Sammelzellen des Obergeschosses untergebracht. Die ärmsten Schweine warf man ins Käferloch, einem Kellerraum, der nur über eine Oberluke zu erreichen war und in den auch noch die Abwässer der oberen Zellen geleitet wurden. Wer eine solche Behandlung verdiente, frage ich. Mörder und politische Gefangene, die einfache Antwort.
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Weiter laufen wir durch die engen Gassen der Altstadt, die abseits der großen Sehenswürdigkeiten Bucharas schon weit weniger romantisch wirken. Wir sind auf der Suche nach der Char Minar Moschee, die ebenso unauffällig wie undefinierbar das Titelbild des Lonelyplanet Zentralasiens prägt. Und weil sie so klein ist, müssen wir ein wenig suchen. Da sind wir wohl nicht die Einzigen, vermuten wir, als uns zufällig am Straßenrand sitzende Kartenspieler unaufgefordert den richtigen Weg zeigen. Als wir die Minimoschee finden, folgt abermals die Ernüchterung, es wird wieder gebaut. Natürlich! Und bei kleinen Bauwerken reicht meist auch ein kleines Gerüst, um die Ansicht zu trüben. Die Moschee ist vermutlich kleiner als ein kleines Einfamilienhaus und besitzt dennoch vier Minarette. Ursprünglich soll sie wohl ein Eingangstor zu einer längst vergangenen Medresa gewesen sein. Nun ist die Medresa weg und das Tor ist Moschee. Lange sind wir nicht allein, als sich kurz darauf zwei Reisegruppen einfinden und sich gegenseitig, die Idylle zerstören, wegen der sie kamen. Doch da sind wir schon auf dem Weg zurück, laufen vorbei an der Statue des Nasruddin, dem persischen Eulenspiegelauf seinem verrückten Esel, auf der Suche nach einem der besten Lokale der jüngeren Zeit.
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Am Abend müssen wir unserem unwilligen Rezeptionisten mit Nachdruck verständlich machen, mit dem Bus ins 300 Kilometer entfernte Samarkand fahren zu wollen. Sicher, der Junge ist jung, sehr jung. Vermutlich wurde er vom Vater verdonnert, einst das Familienhotel zu übernehmen, obwohl er keinerlei Zweifel daran lässt, dass er so mal gar keinen Bock darauf hat. Und einfach ein Taxi zu rufen, geht auch schneller als mit der Buskompanie zu telefonieren und da auch noch fragen zu müssen. Da erzählt er uns lieber, dass es gar keine Busse gäbe. Darauf erzählen wir ihm, dass wir uns nicht so gern für dumm verkaufen lassen und dass es sicher einen Bus gäbe. Immerhin müsste seine Oma wohl auch manchmal nach Samarkand und die würde ja wohl kaum für einen Dreitagesverdienst Taxi fahren. Ja gut, so einen Bus gäbe es schon, allerdings könne er trotz Internet auf gar keinen Fall herausfinden, wann ein Bus fährt. Weil wir nette Menschen sind, erklären wir ihm heute nicht, worin die Essenz seiner Arbeit besteht und finden es selbst heraus. Am nächsten Morgen fahren wir nach Samarkand.
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Samarkand, über das schon Alexander der Große einst gesagt haben soll, dass alles was er zuvor darüber gehört habe, stimme, außer, dass es noch schöner sei, als er sich jemals hätte erträumen können, wurde über die Jahrhunderte mehrfach neu gebaut und stets erweitert. Schon bei der Ankunft passieren wir den Registan, diesmal den von Samarkand. Noch größer, noch schöner. Da hat sich die Ankündigung des Hostels bewahrheitet, wirklich sehr zentral zu liegen. Mit einiger Hilfe findet das Taxi die richtige Adresse, nachdem es zuvor zielgerichtet an der entscheidenden Kreuzung falsch abgebogen war. Vehement versucht der Fahrer die Situation zu retten, indem er erneut falsch abbiegt, bis er dann doch seine Unkenntnis eingesteht und so fährt, wie wir es vorschlagen. Dabei wollen wir ja trotz der Unterstützung unseres Handys, gar nicht schlauer sein als er, aber es wäre ja auch kein Problem gewesen, wenn er uns gleich wissen lässt, dass er keine Ahnung hat. Erlebnisse dieser Art häufen sich, je weiter wir in den Osten kommen. Das Hostel selbst war sicher mal schön, der Besitzer vermutlich auch mal ehrgeiziger. Unter einem grünen Plastikdach schlängelt sich die Treppe durch den Hof in die höher gelegenen Stockwerke. Unser Zimmer ist klein, funktional, der Zustand gerade noch erträglich. Noch zehrt unsere Herberge von den guten Bewertungen einer längst vergangenen Zeit, vermuten wir, als der Senior mit zwei Zimmern in einer zweigeschossigen Hälfte des Hauses begann, die Touristen für sich zu entdecken, wie er uns stolz erzählt. Nichtsdestotrotz werden wir von der angeheirateten Tochter des Hauses auf Tee und Melone eingeladen, als wir unter einem Vordach sitzen und auf was auch immer warten. Vergnügt bemerken wir Paolos kleinen Hundefänger im Hof, den wir schon in Buchara gesehen hatten. Mit seinem alten Renault Lieferwagen, den ihm vermutlich jemand geschenkt hatte, begibt er sich mit seinem Kumpel nach Tadschikistan. Vorausgesetzt er bekommt die Beifahrertür repariert, die unter dem Einfluss usbekischen Straßen zuletzt resigniert abgefallen war. Wir registrieren seinen Erfolg, als sich das alte Gefährt aufrafft, hustend und polternd die letzten Kilometer seines Autolebens zu bewältigen. Ein dankbarer Abschied für ein offensichtlich treues Gefährt, glauben wir.
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Uns gehen die Sum aus, daher müssen wir tauschen. Doch sind wir nun nicht mehr auf krumme Geschäfte und das ewige Vergleichen des besten Kurses angewiesen. Denn heimlich, still und leise haben sich die Spielregeln geändert, als die Regierung vor wenigen Tagen den inoffiziellen realistischen Kurs als offiziell und damit die Bescheißer als überflüssig erklärte. Die neuen Wechselstuben sind die Banken. Ab jetzt auch ganz offiziell. Vor wenigen Tagen jedoch grenzte es an offensichtlicher Blödheit freiwillig zum Staatskurs zu tauschen, der knapp 60 Prozent des Realkurses betrug. Nur scheinen die Banken selbst kein gesteigertes Interesse mehr am Tauschen zu haben. Am Wechselschalter unserer Wahl, bei dem sogar die neuen Kurse ausgewiesen werden, teilt man uns mit, dass hier nicht getauscht werde. So richtig folgen können wir nicht, da uns der Schalter inklusive Schlitz und Glasscheibe ziemlich nach Wechseln aussieht. Nein, woher wir jetzt Geld bekämen, wüssten die Kollegen selbst nicht, doch irgendwo könnten wir schon Glück haben. In der größten Bank der Stadt haben wir es und bekommen zudem die allerneuesten Noten ausgehändigt. Gewaltige 50.000 Sum, gleich knapp 6 Euro, ein Segen! Im Land selbst sind sie allerdings noch so selten, dass wir fortan mehrfach aufgefordert werden, doch unser neues Geld gegen das alte zu tauschen. Wohl einfach nur, um es zu haben oder einmal zeigen zu können...
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Da er gerade in Schrittweite liegt, besuchen wir den Registan schon am ersten Abend. Imposant stehen sich die drei Hauptgebäude gegenüber und funkeln im Licht der üppig platzierten Scheinwerfer. Die Beete vor dem Platz sind reich bepflanzt, vorzugsweise mit rotem und grünen Basilikum. Diesen braucht man hier nicht zu kaufen, selbst wenn alle Anwohner Italiener wären, gäbe es vermutlich genug für alle. Der Platz selbst ist abgesperrt und bewacht, zudem stört eine große Tribüne eines schon vergangenen Festes das Ambiente. Doch es ist schon spät, die Polizisten müde, als wir in einer geschmeidigen Bewegung unter dem Absperrband hindurch auf den Platz gelangen. Für die Moschee ist es eh zu spät. Zudem sind wir dann doch nicht kriminell genug, um einfach zielgerichtet durch alle Bereiche zu schlendern. Doch für ein paar Fotos und das Einfangen der Atmosphäre soll es dennoch reichen. Nur wenige Augenblicke später treibt uns das Gewissen wieder auf die richtige Seite. Wie einfach es ging, wollen wir uns dennoch merken, nur mal eben so. Kaum sitzen wir, werden wir von zwei jungen Usbeken angesprochen, die ihre Englischkenntnisse an uns überprüfen wollen. Aus dem Gestammel wird ein längeres Gespräch, das am Ende keinem von uns höhere Erkenntnisse bringen wird. Außer, dass wir Deutsche sind, die sich das Landleben vorstellen können und sie Usbeken, die einst Touristen führen wollen. Dem zugeteilten Polizisten scheint unser Gespräch dennoch nicht geheuer. Im Vorbeigehen raunt er die beiden an, was sie uns prompt übersetzen. Es wäre ihnen nicht erlaubt, sich mit Ausländern zu unterhalten. Irritiert fragen sich die beiden, weshalb sie sonst Englisch an einer staatlichen Uni studieren würden. Die angezettelte Verwirrung können auch wir nicht abschließend lösen, weshalb wir letztendlich ebenso verwirrt zurück ins Guesthouse verschwinden.
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Der kommende Tag hält für uns die Bibi Khanym Moschee und den Shah-I-Zinda bereit. Neben dem Amir Timur Mausoleum und dem Registan die Hauptattraktionen Samarkands. Erstere liegt unweit des Registans und ist nicht minder beeindruckend. Die Legende besagt, dass der Architekt der Moschee, die während der Abwesenheit Amir Temurs gebaut und von seiner Frau überwacht wurde, so unsterblich in diese verleibt gewesen sei, dass er sich weigerte die Bauarbeiten zu beenden, bevor diese ihn nicht küsste. Sie tat es oder besser gesagt der Lüstling selbst und hinterließ ihr ein Mal, das dem Schah nicht entging. Es brachte dem Architekten den Tod und Bibi Khanym den Schleier ein, doch so steht nun mit ihrem über 40 Meter hohen Dom die Bibi Khanym als eine der größten Moscheen des 14. Jahrhunderts. Zwischenzeitlich wurde die Moschee von einem Erdbeben schwer beschädigt, restauriert und danach dem Verfall preisgegeben. Nun wird mal wieder restauriert, was bei der Opulenz des Bauwerkes noch einige Zeit in Anspruch nehmen dürfte. Um das Vorhaben ein wenig zu beschleunigen, werden unmittelbar vor den Hauptgebäuden Fragmente der ursprünglichen Fliesen verhökert. Ob ganz offiziell oder eher so nebenher, konnten auch wir nicht abschließend klären. Doch auch wenn wir gern länger geblieben wären müssen wir weiter, wenn wir noch zu den Gräbern wollen.
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Der Shah-I-Zinda ist eine wunderschöne, beinahe ikonische Grabanlage, die auch von einer Legende geschmückt wird. Derer zufolge wurde der Shah angegriffen und musste sich verstecken. Er flüchtete in die verwinkelte Anlage, die mit all ihren Gräbern und Schreinen genügend Verstecke bieten sollte. Doch wurde die Anlage von den Angreifern umstellt, die darauf das gesamte Areal gründlichst durchsuchten, den Shah selbst jedoch nicht fanden. So habe er sich wohl in Luft aufgelöst und wandle demnach heute als Geist zwischen den Gräbern. Shah-I-Zinda heißt daher auch 'Der wandelnde Shah'. Wir sind schlecht vorbereitet und bei Muslimen weiß man ja nie, welche Sorte man erwischt. Doch unsere unpassende Kleidung, die sich seit dem Iran wieder sehr verwestlicht hat, bleibt trotz des Hinweisschildes bezüglich passendem Verhalten an heiligen Orten ungesühnt. Der Ticketverkäufer macht aber auch nicht den Eindruck, als ob er heute irgendetwas sühnen oder sanktionieren wolle. Bevor aus dem Nichts sein böser Zwilling auftauchen könnte, sind wir schon über die vielen Stufen der ersten Treppe außer Sichtweite geraten. Wir verschnaufen und staunen. In Schatten bringender Regelmäßigkeit stehen sich kleine Schreine mit ihren türkisen Kuppeln gegenüber und beherbergen die prominenten Gräber. Nach welchem System sie angelegt oder sortiert wurden, lässt sich auch von uns nicht klären. Doch haben wir uns selten wohler gefühlt. Immer weiter dringen wir in die Anlage vor, während der Mob ein ums andere mal hält um einem anderen Besucher ein unverdorbenes Bild zu ermöglichen. Denn einfach den Fotografen zu umkurven ist bei der Dichte der Gräber schlicht unmöglich. Vor dem letzten Grab halten wir inne und lassen alle optischen Störenfriede an uns vorüberziehen. Ein alter Greis bahnt sich seinen Weg in unseren Fokus, mit jedem Klacken seines Stockes steigt unsere Anspannung. Und doch schafft er es, sich durch urplötzliches Abbiegen unserem Auslöser zu entziehen. Enttäuscht laufen wir bereits zurück, als ein anderer, weniger imposanter Greis anbietet, sich und seine unwillige Frau zu fotografieren. Die Frau ruiniert mit ihrer Miene das Bild, weswegen ihr Xenia freundlich das Gehen anbietet. So bekommen wir doch noch unser Bild. Wir bedanken uns brav bei dem Mann, der schon von selbst erkannt hatte, dass Touristen gerne stilechte Greise fotografieren und ziehen ebenfalls ab.
Auf Geheiß einer Touristin, die viel zu lang in Samarkand ausharren musste, weil ihrem Reisegefährten die Ausreise aus dem Hochsicherheitstrakt Europa verweigert wurde, besuchen wir irgendeinen Friedhof. Da steht eine Moschee. Wir essen ein Eis. Wir gehen. Letztendlich sind wir dennoch dankbar über Geheimtipps wie diesen, auch wenn er sich mitunter als derart überflüssig herausstellt. Doch hätten wir wohl mehr verpasst als erspart, so dass wir glücklich weiterziehen zum Grab Amir Temurs.
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Unter einem abermals wunderschönen Dom liegt der größte Eroberer Zentralasiens, während spärliche Karten seine Feldzüge erklären. Den inländischen Besuchern scheint er mehr zu sein, als nur ein Eroberer. Andächtig beten sie für sein Seelenheil. Angesichts dessen, wie lange er schon liegt, scheint die Anteilnahme beachtlich. Im Hof des Gebäudes liegt ein Keller, in diesem Keller werden Souvenirs verkauft. Vermutlich nicht so ganz offiziell, denn während sich Xenia durch die Schmuckvitrine wühlt, bekommt der Verkäufer einen Anruf. Eine Delegation sei im Anmarsch, worauf wir umgehend aus dem Laden geschmissen werden. Kaum sind wir raus, schließt der Verkäufer die Holztür, klickt das Schloss und verschwindet im Nirgendwo. Zack, einfach weg. Während wir draußen warten, treffen wir seinen Chef. Der steht Schmiere. Weil Xenia das ein oder andere Paar Ohrringe besser gefallen hat, als mir lieb sein kann, stehen wir mir mit und warten die Delegation ab. Die lässt sich natürlich Zeit. Doch kaum hat sie das Gebäude umrundet, kommt der Gehilfe zurück, öffnet sich das Schloss, die Tür und Xenias Herz. Der Chef selbst hat die Verkaufsgespräche aus den Geschichten aus Tausendundeiner Nacht übernommen, weiß zu jedem Stück einen phantastische Schwenk und Preis zu berichten. Am Ende erhält Xenia ihre silbernen Schmuckstücke zu einem halbwegs akzeptablen Preis, ein passender Einstand für unser letztes großes Bauwerk.
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Vor den Toren zum Registan ist vermutlich gerade Schichtwechsel, so offen wie uns der Beschiss angeboten wird. Doch da bei jedem Umgehen des offiziellen Eintritts ja gleichermaßen etwas für Aufseher als auch Anseher herausspringen muss, sind wir ersteinmal ganz Ohr. Also wenn wir ihm, hier und jetzt 15 Dollar geben würden, könnte uns der Aufseher auf das Dach der Anlage führen. Da könnten wir dann die abendliche Aussicht genießen und auf dem Rückweg in allen Gebäuden vorbeischauen. So ganz ohne Ticket natürlich. Hmm, klingt interessant. Aber sieben Dollar pro Person, das klingt uns auch ziemlich viel, weil es einer normalen Eintrittskarte ohne Dach entspräche. Doch wenn wir ihm stattdessen die 30.000 Sum pro Ticket anbieten könnten, die auf dem Schalter stehen, könne man drüber nachdenken. Nein, dass sich der Kurs auch für Touristen geändert habe, sei schon zu ihm vorgedrungen und sieben Dollar seien nach neuester Erhebung dann doch eher 56.000 Sum. Pro Person. Nö, so ein Dach muss ja auch ersteinmal bestiegen werden und der Registan scheint ziemlich hoch. Da können wir auch gleich versuchen, den alten Preis zu bekommen. Selbstsicher laufen wir zum Ticketoffice und fragen nach dem alten Preis. Ja, 15 Dollar! Ne, also für soviel Geld müssten wir es vielleicht doch nicht so genau sehen, die Aussicht sei ja jetzt schon nicht schlecht, zögern wir. Zwei Gedenksekunden vergehen. Na gut, wenn wir schnell sieben Dollar durch den Schlitz schieben, sehe schon keiner hin, so ganz ohne Ticket, meint der offizielle Ticketverkäufer. Er sei der freundlichste Ticketverkäufer, der uns je begegnet sei, erwidern wir, doch sieben Dollar hätten wir nicht. Eher so 50.000 Sum. Ein Schein, geht ganz schnell. Ja ok, der ist auch gut! Wir bedanken uns und passieren...
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Was soll man über den Registan noch weiter berichten, als dass er selbstverständlich außergewöhnlich beeindruckend ist. Vermutlich liegt er in seiner Imposanz gleichauf mit der Shah Moschee in Esfahan, falls derartige Bauwerke überhaupt Vergleiche zulassen. Wir lassen uns ausgiebig Zeit um die drei sich gegenüberliegenden Medresas zu bestaunen, die heutzutage anstatt von Koranschülern von Hunderten Souvenirverkäufern bewohnt werden. Sie sind die ältesten erhaltenen Koranschulen der Welt, da Dschingis Khan sie in seiner selektiven Zerstörung der großen Städte Zentralasiens verschonte. Das große Finale folgt mit dem Betreten der dritten Medresa, in deren Hof sich die Moschee des Ensembles befindet. Der Dom scheint im Inneren aus purem Gold verkleidet zu sein und sollte einst den unbeschreiblichen Reichtum Samarkands zu seiner Errichtung bezeugen. Wir bleiben lang und verbringen doch die letzten Minuten auf dem Vorplatz des Registans, bis uns die Wachablösung aus dem Gelände scheucht. So verabschieden wir uns vorerst von Samarkand, der Seidenstraße und ihren großen Bauwerken. Was folgt, werden wir sehen, oder auch nicht.
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In Tashkent haben wir uns das beste Hostel gesucht, das man für Geld kaufen kann. Überhaupt sind wir überrascht, so einen modernen, stylischen und angenehmen Platz in einer Stadt wie Tashkent zu finden. Doch das haben wir uns verdient, denken wir uns und genießen die Atmosphäre. Wir haben eigentlich nur eine Mission. Zur letzten chinesischen Botschaft, die das Schicksal für uns bereithalten möge. Denn eigentlich haben wir schon mit China abgeschlossen. Wir bräuchten das Visum für etwa 200 Kilometer, vielleicht auch mehr, um den Bogen von Kirgistan kommend nach Pakistan zu machen. Sicher würden wir uns auch noch Kashgar anschauen, wo wir gerade da wären, für mehr würde die Zeit wohl eh nicht reichen. Wir sind schon reichlich spät dran, wollen wir bis spätestens Ende Oktober in Indien sein. Schon seit Tagen überlegen wir, ob es den Aufwand noch wert wäre. Innerlich haben wir uns wohl schon auf den Direktflug von Bischkek nach Delhi eingestellt, so leid es uns um Pakistan tut. Denn bei aller Vorsicht wären wir zu gern durch den Karakorum gereist. So fahren wir frühs um 9 zur chinesischen Botschaft, um zumindest die Gewissheit zu erhalten. Die lässt nicht lange auf uns warten. Zu unserer Überraschung teilt man uns freundlich auf Nachfrage des ranghöchsten Beamten mit, dass man uns leider kein Visum ausstellen kann, so gern man es auch würde. Dazu bräuchten wir eine usbekische Aufenthaltserlaubnis, die ein halbes Jahr übersteigt, gleichbedeutend mit der Unmöglichkeit, das Visum im Heimatland beantragen zu können. Das war genau das, was wir das letzte halbe Jahr vermeiden wollten. Nun könnte uns nur noch eine Visaagentur helfen, die sich ihre Dienste für gewöhnlich fürstlich entlohnen lassen. Damit ist es beschlossen. Wir werden gemeinsam mit Linda und Michel, die in Bischkek zuerst geduldig auf unsere Antwort und nun auf uns höchstpersönlich warteten, durch Kirgistan reisen.
So laufen wir noch ein wenig durch Taschkent und hadern mit unserem Misserfolg. Doch so richtig traurig sind wir nicht. Kirgistan mit den beiden zu bereisen, würde wohl nicht weniger spannend werden, dessen sind wir uns sicher. Nebenbei sparen wir Geld und holen die unterwegs verbummelte Zeit wieder auf. Xenia besucht noch einmal den Zahnarzt, nur so zur Kontrolle. In der Klinik herrscht Ostblock, doch die goldbezahnten Usbeken lassen an der grundsätzlichen Eignung ihrer Ärzte bei allen westlichen Bedenken wenig Grund zum Zweifeln. Der Arzt selbst scheint gefährlich jung, müde und unmotiviert und malträtiert Xenias Gebiss bis auf die Knochen. Er ist Arzt und Schwester in Personalunion, reicht sich selbst genervt das Besteck und muss jeden Handgriff selbst vorbereiten. So zieht sich die Prozedur, bis Xenia langsam die Geduld platzt oder der Arzt entnervt wegnickt. Am Ende gibt er grünes Licht für die postoperative Zahnreinigung. Die Preise sind dann doch fast wieder westlich, aber was soll es uns noch stören, an einem Tag wie diesem.
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Wir sitzen im Zug nach Andijan, Durchgangsstation auf dem Weg nach Kirgistan. Leider können sich die Usbeken und Kirgisen nicht leiden, eher halten sie sich aus, als dass sie sich mögen könnten. Ein immerwährender Konflikt, der in trauriger Regelmäßigkeit in blutigen Exzessen dies- oder jenseits der Grenze endet. Der Gewalt folgt der Spirale folgend Gegengewalt, bis sich beide Seiten wieder darauf besinnen, sich ein bisschen auszustehen. Daher gibt es manchmal drei, meist einen, manchmal gar keinen Grenzübergang zwischen beiden Ländern. Wir versuchen es mit einem der für uns günstigsten und lassen dafür tags darauf in einem Hotel am Grenzort anrufen, ob der für uns passende nördliche Übergang geöffnet sei. Ja, der wäre gerade auf, kein Problem. Mehr hoffend als wissend, rekrutieren wir ein Taxi, uns zu besagtem Grenzübergang zu bringen. Der Taxifahrer meldet Zweifel an, er würde es schon wissen, fährt er die Menschen doch seit Jahr und Tag zu dem anderen, für uns ungünstigen Übergang. Doch im Zweifel wissen es die Taxifahrer sowieso immer besser als ihre Fahrgäste und sei es nur aus Unwillen. Eine Weisheit, die sich im Laufe unserer Reise mehr als bestätigt hat. So steigen wir halb 3 in das besagte Taxi und hoffen uns fahrend über unser Wunschgrenze. Als wir knapp 2 Stunden später dort ankommen, ist die Grenze sowas von dicht, dass man daran zweifeln könnte, dass es hier jemals eine Grenze gab. Einzig ein dicker, hoher, über drei getrennte Fahrspuren gezogener Stacheldrahtzaun belegt das Gewesene, mehr nicht. Wir kehren ernüchtert um. Unterwegs hält der Fahrer einen Polizisten an, der bestätigt, dass die Grenze seit einem halben Jahr geschlossen sei. Es sieht wohl auch nicht so aus, als ob sich daran noch einmal etwas andern könne. Wir überstehen die Genugtuung des Fahrers, der uns dennoch mitleidig zurück nach Andijan und danach weiter zum anderen Übergang fährt. Die dreifache Strecke nach Kirgistan zur falschen, östlichen Grenze - ein unpassender weil unnötiger Abschied von Usbekistan. Die richtige Grenze erreichen wir im letzten Licht des Tages, das die beginnenden Berge Kirgistans in ein verführerisches Farbenspiel aus Gold, Bronze und Ocker taucht. Tief steht sie über der flachen Erde der schon weit entfernten Steppe. Den Blick zurück sparen wir uns dennoch. Usbekistan hat seinen unvergleichlichen Reiz für uns schon in Samarkand verloren. Jetzt geht es nur noch nach vorn, volle Kraft voraus. Unser letztes usbekisches Geld drücken wir unserem Fahrer in die Hand, der uns typisch usbekisch zum Abschied noch einmal bescheißt. Doch wir sind zu müde zum Protestieren, wollen raus, wollen nach Osh.
An der Grenze selbst steht eine beängstigend lange Schlange voller frustrierter, müder Menschen. Wir wissen um den Touristenbonus und ziehen mitleidig an ihnen vorüber, wir gestikulieren entschuldigend unser Bedauern, während sie uns nicht das Gefühl geben wollen uns wirklich vorzudrängeln. Am Ende würden sie es genauso machen, wenn sie nur könnten. Wer weiß wie lange wir gestanden hätten, jetzt, wo schon das einzige Licht von den kalten Laternen kommt. Ob sie alle hier arbeiten, frage ich Xenia zu müde um wahrzunehmen, dass sie fast alle sehr alt sind. Nein sagt sie. Vermutlich ist das alles Verwandtschaft, die die Angehören auf der anderen Seite zu besuchen versuchen. Wir erreichen das Zollgebäude, hier drinnen herrscht schon die blanke Wut. Ohne, dass wir uns Platz verschaffen müssten, versucht man uns zu den Schaltern durchzuschieben, die weitere Stunden entfernt zu sein scheinen. Die Zöllner kommen aus ihren Hochsicherheitshäuschen, nehmen uns die Pässe ab und schieben uns zum einzig wahrscheinlichen Schalter. Hinter uns sind die Menschen schon nicht mehr so verständnisvoll, wer kann es ihnen verdenken. Während ich dran bin, fragt Xenia ein Ömchen, wie lange sie schon hier warte. Schon seit dem ganz frühen Morgen ihre Antwort. Hoffentlich lohnt es sich für sie, ein dämlicher Wunsch für einen mit deutschem Pass, grübeln wir. Klonk, der nächste! Wir sind tatsächlich durch. Hinter uns wird gerade eine Familie durchgeschoben, die dankbar scheint, es endlich hinter sich zu haben. Die Kleinste schreit, der Größere kann sich kaum noch auf den Beinen halten. Die Eltern haben hier nicht nur Nerven gelassen. Zusammen watscheln wir über die dicke, weiße Linie in den nächsten Block. Usbekistan hat uns dennoch überrascht, beinahe begeistert. Doch der Blick zurück offenbart nur Grenze und dahinter schwarze Nacht. Kirgistan ist für uns nur noch einen lapidaren Stempel entfernt. Mit dem genervten Zucken seines Zeigefingers diktiert der Zollbeamte die Geschwindigkeit vor dem Schalter, mahnt zur Eile. Die Zustände auf der anderen Seite der Grenze will er unbedingt vermeiden. Ein müder Blick, eine freie Seite im Pass. Es komme wer wolle. Klonk!

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1 Kommentar
Christian Bö
19/10/2017 12:00:57

Hy Leute, hatte jetzt länger keine Zeit euren Blog zu verfolgen und bin nach dem ersten gelesenen Bericht begeitstert! Auf den Spuren von Alexander dem Makedonen, unterwegs auf der Seidenstraße durch romantische, orientalische Orte; hach wie traumhaft!! Wünsch euch weiter viele schöne Erlebnisse und einen besseren Magen für die Zukunft (@Robert ;-) ). Ganz liebe Grüße aus dem langsam winterlich werdenden Tirol

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