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Auf dem Weg um die Welt


​...und zu allem was dazwischen liegt

Ein Lebenstraum - unsere Reise auf das Dach der Welt...

5/6/2018

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Endlich sind wir da, Tibet das Traumland! Jahre schon sinnieren wir von einer Reise auf das Dach der Welt. Die vergangenen Wochen und das unablässige Näherkommen haben unseren Wunsch nicht gerade geschmälert. Nun, da wir erstmals unsere Füße auf tibetischen Boden setzen, können wir kaum glauben, dass sich unsere Reisplanung genauso verwirklicht, wie wir es uns noch viele Monate zuvor, den Blick auf Bücher und Karten gerichtet, erhofft hatten. Eher im erwartungsfrohen Unglauben als im Überschwang laufen wir durch das Terminal. Vor diesem steht bereits Chötak mit weißen Schals, die stramm im Wind wehen. Unablässig winkt er uns zu, als könnten wir ihn jetzt noch verfehlen. Dabei sind wir wohl gerade die einzigen Ausländer, die gerade aus dem Inlandsflug steigen. Wir lächeln uns ihm entgegen, während wir uns behäbig im Strom der Angekommen durch die Sicherheitszone schleichen. Er wirkt mindestens so beruhigt wie wir, als er erkennt, dass auch wir ihn als unsere Kontaktperson erkannt haben. Das freundliche Händeschütteln als auch das Umhängen der Schals ist uns allen mehr Prozedur als Geste und doch gleichermaßen mit einer Nostalgie bedacht, die mit dem Lhasa ihres Ursprungs nur noch wenig gemein hat.
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Das Zentrum der Stadt, die neuerdings Millionenstadt ist, erreichen wir über eine wohl recht neue Autobahn. Langen Tentakeln gleich strecken sich moderne Straßen in die weiten Täler des Umlandes, in denen auch der Flughafen seine Heimat gefunden hat. Mit lahmen 90 Kilometern in der Stunde, die angesichts der Fahrbahnbreite recht ermüdend wirken, schleichen wir unserer Unterkunft entgegen. Es ist bewölkt, grau, keine Sonne, der Blick aus dem Fenster bietet wenig Weite. Es ist zu früh zur Sorge, doch selbstverständlich wünschen wir uns bestes Wetter. Genau einen teuren Versuch haben wir. Mein Aberglaube zwingt mich das heikle Thema gar nicht erst anzusprechen. Xenia ist da schon pragmatischer. Wenn wir hier in Lhasa schlechtes Wetter hätten, sei das schon in Ordnung, stellt sie fest. Hauptsache der Everest liege frei. Was denn Chötak darüber denke, fragt sie. Passiv blicke ich aus dem Fenster. Karmaalarm, Stufe drei. Nur nicht drüber sprechen. Die Wolken hängen eh schon tief genug zwischen den gar nicht so hohen Hügeln. Hoffentlich ist es Smog! Nein, sagt Chötak. Er glaube ja, es würde aufklaren. Mit dem Wetter verhalte es sich folgendermaßen. Das würde gut, wenn es schlecht sei und schlecht, wenn es gut sei. Ich hebe meinen Blick. Und noch seien es ja fünf Tage, zudem sei der Everest ja noch weit weg, fährt er fort. Nun denn... Hinter einem monströsen Kontrollposten beginnt urplötzlich die Stadt. Wie in jeder chinesischen Großstadt dieser Tage empfangen uns zuallererst zweckmäßig moderne Gebäude in Vierkantoptik und modernem Grau aus denen einzig das überdimensionierte Bahnhofsgebäude herausragt. Wenn sich auch überraschend viele Tempel im Inneren Lhasas erhalten haben, so wurde jede Romantik inzwischen verbaut.
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In der Lobby herrscht bereits ein geschäftiges Treiben, wie wir es aus unseren Hotels kennen und wie es den chinesischen Gasthäusern eigentlich fremd ist. Vermutlich ist dieser Umstand aber auch unserer bisherigen Reiseplanung geschuldet, die uns eher selten in große, teure Hotels einquartiert. Auch wenn wir lieber nicht nach den Preisen fragen, nehmen wir uns vor die Zeit im Zimmer einfach zu genießen. Eigentlich ist es ja lächerlich, sich ein teures Zimmer zu buchen, wenn man nicht vorhat, den ganzen Tag darin zu verbringen. Hier hatten wir keine Wahl. Überhaupt sind beinahe alle Ausländer in Reisegruppen zusammengefasst, die sich wiederum auf drei, vier größere Hotels im Zentrum verteilen. Diese Tatsache generiert ein Zugehörigkeitsgefühl, das uns schon in den ersten Minuten unserer Ankunft erfasst. Während wir einchecken, versammeln sich andere und verlassen den sicheren Hafen, um wohin auch immer aufzubrechen. Denn von drei Tagen bis zu drei Wochen, beginnt oder endet jede gebuchte Tour in Lhasa. Meistens beides. Hauptsächlich, um die Angekommenen an die Höhe der auf 3700 Metern gelegenen Hauptstadt zu gewöhnen, bevor die vielen über 5000 Meter hohen Pässe der Autonomen Region bewältigt und verkraftet werden können.
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Bevor sich Chötak verabschiedet, nimmt er uns das Versprechen ab, es heute ruhig angehen zu lassen und gegebenenfalls im Zimmer zu bleiben. Dabei ist es gerade Mittag. Wir erklären, dass wir bereits akklimatisiert seien, doch das scheint ihn nur wenig zu beruhigen. Jedenfalls haben wir nicht vor, uns nur die Straßen vor dem Hotel anzuschauen, auch wenn es das Zimmer hergeben würde. So laufen wir die geschäftige Hauptstraße entlang, die den Vorplatz des Potala mit dem alten Barkhor Handel- und Geschäftsviertel verbindet. Hier ist, egal um welche Zeit, immer genug los, um einfaches, zielloses Schlendern auf den Gehwegen zumindest zu behindern. So streckt sich auch der Weg zum Potala länger, als er eigentlich ist. Zuvor treibt uns der Hunger in eine amerikanische Burgerbude, deren semigesunde Produkte uns wie fremdländische Genüsse erscheinen, nach all dem chinesischen Essen der letzten Wochen. Hier, auf den uniform designten Tischen und Stühlen, bunten Wänden und Plakaten, vergisst man inzwischen, an einem Ort zu sein, der sich so grundlegend von der Heimat, dem Westen, unterscheidet. Auch dann nicht, wenn die Gäste junge Tibeter und deren Eltern oder Großeltern sind, die sich selbstverständlich traditionell kleiden. Es wird wohl auch nicht mehr besser mit der Zeit. Der Blick aus den großen Fenstern der Filiale gleicht dem einer Taucherglocke, wo neuen Gebäuden noch das alte Leben der Straßen Lhasas gegenübersteht. In seichten Pfützen spiegeln sich die bunten Farben tibetischer Kleider. Alte Karren zwischen typisch chinesischen Taxis und den nicht weniger typischen Lastendreirädern des Reiches. Es regnet derweil, wenn auch nur ein bisschen.
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Vor dem Potala versammeln sich die Schlangen. Wie wir später erfahren, gibt es genau zwei Einlasszeiten. Je eine am Morgen oder frühen Nachmittag. Über vorab gebuchte Tickets reguliert die Regierung den Zustrom. Nur einmal pro Halbjahr darf man hinein, sofern man sich den üblicherweise exorbitanten Eintritt leisten kann. Genau deswegen sind wir da. Der ist nämlich, welch ein Glück, für den Rest des Monats kostenlos. Genauso wie viele andere der Top Sehenswürdigkeiten der Region. Das macht für uns in etwa 100 Euro pro Person, die wir gern vom Inklusivpreis der Tour subtrahieren würden. Dazu brauchen wir aber unbezweifelbare Gewissheit, da das Gerücht umhergeht, die einmalige Rabattaktion betreffe nur Chinesen. Die Auskunft des Potala Palastes ist eher eine Ordnungskraft und kann uns daher wenig helfen. Wir werden an die Polizeistation verwiesen, die sich praktischerweise unmittelbar neben dem Gebäude befindet. Wie wir uns so unwissend und hilfsbedürftig über den Innenhof bewegen, dauert es nicht lang, bis man uns zu helfen versucht. Nein, da müssten wir schon zur Touristeninformation gehen. Die läge irgendwo in Richtung des Norbulingka Palastes. Noch bevor wir versuchen herauszufinden, wo genau dieser liegt, bietet man an, uns zu fahren. Auf der Rückbank eines Polizeiwagens ohne Blaulicht erreichen wir das Gebäude, das wir ohne die freundliche Mithilfe der Staatsmacht kaum gefunden hätten.
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Im Inneren empfängt uns Dolma, die uns auf Nachfrage ihre Deutschkenntnisse offenbart. Wir sind mehr als überrascht. Sie habe in einem Jahr Auslandsstudium in München genug Sprachkenntnisse erwerben können, um sich in unserer Landessprache unterhalten zu können. Es kostet sie gerade einen Anruf, uns die Rabatte für alle Besucher Tibets bestätigen zu können. Juhu! Zur Feier des Tages schlendern wir daher noch durch die Gärten des Norbulingka, der seiner Heiligkeit als Sommerpalast diente und daher sein hauptsächlicher Aufenthaltsort war. Ohne unseren aufpassenden Guide müssen wir uns damit begnügen, nur die äußeren Mauern abzuwandern und ab und an durch die Barrieren ins Innere zu schielen. Es bleibt bei einem kurzen Exkurs in dem größtenteils von Chinesen bevölkerten Park, da schon nach gut einer Stunde die Tore schließen.
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So entgeht uns natürlich auch der historische Kontext der Anlage, der ein Symbol der Flucht des 14. Dalai Lamas darstellt. Als im Jahre 1959 das Gerücht umher ging, das immer noch recht junge geistliche Oberhaupt der Tibeter stünde kurz vor der Inhaftierung, wurden die Mauern von etwa 30.000 Tibetern als menschliches Schutzschild umstellt. Für die chinesische Armee unerkenntlich wurde dabei bereits die Leibgarde des Dalai Lamas so postiert, um ihm die Flucht in die Berge zu ermöglichen. Keine zwei Tage hatten sie Stellung bezogen, als am 17. März zwei Mörsergranaten auf den Palast abgefeuert wurden. Damit hatten die chinesischen Besatzer ihre Position unmissverständlich klargemacht. Noch in der gleichen Nacht floh der letzte Dalai Lama in der Tracht eines einfachen Bauern aus der Anlage und emigrierte nach Indien, wo er bis zum heutigen Tag in Dharamsala lebt. Sei es aus Rache oder Gleichgültigkeit, wurde 5 Tage später die gesamte Anlage, nachwievor umstellt, zusammengeschossen. Der Palast brannte nieder, Abertausende starben.
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Wenn auch die chinesische Armee der heutigen Tage, als auch ihre Führung, nicht mehr viel mit der aus ungebildeten, fanatisierten Bauern rekrutierten und kulturverachtenden, bewaffneten Meute zu tun hat, so sind die Besatzer geblieben. Je nach Blickwinkel haben sie dem Land des Schnees wohl mehr genutzt, als geschadet, wenngleich sie die Tibeter in eine Moderne führten und führen, die sie im Grunde ihres Wesens eigentlich ablehnen. In unserer romantisierten Darstellung, beschränkt die chinesische Regierung nachwievor die Tibeter in der Ausübung eines friedvollen Glaubens. Davon ist, abseits der absolut unverhältnismäßigen Polizeipräsenz, eigentlich wenig zu sehen. Man sollte daher verstehen, dass die Chinesen den Tibetern im Grunde nichts angetan haben, das sie sich nicht selbst auch angetan haben. Die Negierung jeden Glaubens, jeder alten Kultur und die rücksichtslose Umsetzung einer von Idealen geleiteten Politik nach Listen und Jahresplänen kostete wohl zwei Millionen Tibeter das Leben. Und zwischen 30 bis 100 Millionen Chinesen. Schauen wir heute in das Leben der jungen Tibeter, so glauben wir nicht, dass sie ihre Autos und Handys wieder gegen Karren und Gebetsmühlen tauschen wollten. Die Vorzüge von Technologie und Transport sind in dieser unwirklichen Bergregion dagegen allzu offensichtlich. Daher würde wohl eine heutige, unbeeinflusste tibetische Regierung von allein den wirtschaftlichen Anschluss an die Volksrepublik suchen und eng mit ihr kooperieren, wie sie es bereits bis zum Fall der letzten Kaiserdynastie im Jahr 1911 tat. Dies sieht der Dalai Lama, trotz aller Vergehen, wohl ganz ähnlich. Spannend bleibt, ob er angesichts seines inzwischen hohen Alters, noch einmal seine Heimat bereist, da er es heute gefahrlos könnte. Die chinesische Regierung, die trotz ihrer Allmachtsposition, nach moralischer Anerkennung sucht, Tempel baut und Glauben erhält, würde ihm auch die Rückreise ins Exil bedenkenlos ermöglichen.
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Am nächsten Morgen besuchen wir mit Chötak den Ramoche Tempel. Er liegt nur wenige Blocks von unserem Hotel entfernt in den geschäftigen Gassen der Altstadt. Weiße, eckige Wohngebäude und kleine Fenster in großen, schwarzen Holzrahmen bestimmen das Bild. Hier fänden sich die teuersten Wohnungen der Stadt, erklärt uns Chötak. Das sei wohl aber mehr eine Frage von Prestige als von Komfort. Dichter Rauch zieht durch die Gassen. Er riecht nach Wacholder und Myrrhe. Langsam nähern wir uns seinem Ursprung. Vor dem Ramoche Tempel qualmen die Öfen, die unablässig von den Gläubigen gespeist werden. Ihre Opfergaben finden sie in den kleinen Verkaufsständen davor, die ihre Räucherdüfte preisen und in großen Säcken an den Mann bringen. Ein kleines Häuschen kontrolliert uns und unseren Begleiter, denn ohne finden wir hier, wie auch schon im Norbulingka, keinen Einlass. Die erste Regel ist uns die unliebigste. Keine Fotos. Keine Ausnahmen. Verärgert akzeptieren wir die Bedingung, die im Charakter des Tempels begründet liegt. Noch immer ist er hauptsächlich seinen Gläubigen ein Glaubenshaus und unterliegt damit ihren Gesetzen. Wäre er Museum, könnte man angesichts des normalerweise üblichen Eintrittspreises einen Einwand erheben, ist doch die Reise für uns mit erheblichem Aufwand verbunden. Und natürlich wollen wir das ein wenig verewigen. Vom Verbot ausgenommen scheinen Handys, mit denen Tibeter selbst so ziemlich alles festhalten. Die nächste Stufe definiert der Chinese, der mit eingeschalteter Videokamera den gesamten Tempel durchläuft.
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Der Ramoche Tempel unterscheidet sich kaum von anderen Tempeln, bis auf die besonders kunstvollen Malereien, die in kleinen, handtellergroßen Bildnissen zu Tausenden bunt und akkurat die Wände zieren. Über die letzten Jahre wurden sie stetig erneuert, da sie allein durch Atemfeuchte der, über das gesamte Jahr verteilten Millionen, Pilger verblassen. Die bereits gezogenen, ungezählten Umrisse kommender kleiner Abbilder ziehen sich bis in die Eingangshallen. Da der Tempel hochgradig heilig ist, wird er und die mittig platzierte Statue fortwährend umrundet. Wie viele andere Tempel der Stadt wurde der Ramoche während der Kulturrevolution stark beschädigt, wenn nicht gar zerstört. Den unteren Teil der Statue fand man Jahre später im Schrott und den oberen in einem Museum in Peking. Dies erscheint umso erstaunlicher, da sich der zehn Jahre andauernde Exzess nicht für den Erhalt kulturhistorischer Güter rühmen lässt. Während wir dem Trott folgen, der im Uhrzeigersinn um die zentrale Gebetshalle zieht und keinen Halt zulässt, werden wir von leisem Gemurmel und Gebetsgesängen erfasst. Einer Fahrt auf einem Jahrmarkt gleich, verlieren wir uns im Gefühl, ohne seine Dauer beeinflussen zu können. Erst als wir einige Minuten später wieder zurück zum Anfang gespült werden, bleibt Zeit für Erläuterungen. Diese beginnen immer mit einem hohen Lama, der zu Ehren einer Gottheit einen Tempel errichten ließ, der sich nun an eine bestimmte Zielgruppe richtet.
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Mehr darüber erfahren wir am um die Ecke gelegenen Tshemönling Tempel, der den Alten und Schwangeren gewidmet ist. Versteckt liegt er zwischen engen Gassen, die nur der betritt, der weiß, was er sucht. Und obwohl keiner von uns alt oder schwanger ist, betreten wir ihn trotzdem. Chötak begnügt sich dabei, uns das Obergeschoss zeigen zu wollen, von dem wir einen guten Überblick über die Stadt und die auf Bänken wartende Glaubensgemeinschaft erhalten. Die Umrundung erschiene ihm dann wohl doch unangebracht. Wir könnten ihn dennoch umrunden, antwortet er auf Xenias Frage. Sofern wir eines Tages gesunde Kinder wollten, könne dies sicher nicht schaden. Allein wandeln wir noch ein wenig durch den Barkhor. Das ehemalige Geschäftsviertel erwacht erst gegen Mittag zum Leben, wenn die Menschen nach dem morgentlichen Gebet Zeit für Arbeit und Erledigungen finden. In riesigen Säcken oder ganzen Ziegenleibern lagert die universell gebräuchliche Yakbutter, die auch den Gassen und Tempeln ihren arttypischen Geruch verleiht. In der allgemeinen Geschäftigkeit, vergessen auch wir schnell, als Touristen gekommen zu sein und vergehen in der Masse bunter Leiber. Einen ebenso typischen Anblick ergeben die beinahe von allen Frauen getragenen Gesichtsmasken, die jedoch nicht die Lungen vor Luftschmutz schützen sollen, sondern lediglich das Gesicht vor der Sonne.
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Der Nachmittag bringt uns das Sera Kloster, welches nur wenige Kilometer vor der Stadt eine der größten Glaubensschulen Lhasas beeinhaltet. Für die unzähligen Reisegruppen ist es ein Pflichtbesuch, da es, neben den typischen Klostergebäuden, den Touristen hauptsächlich die Natur des Debattierens erklärt. Für diese hat es sogar das tägliche Debattieren in einen hübschen Garten und in den frühen Nachmittag verlegt. Selbstverständlich sind auch hier Fotos untersagt, ein Umstand, der uns angesichts der Erlebnisse der letzten Wochen, weit weniger schmerzt, als die übrigen Zuschauer. Zurecht verleiht es der Veranstaltung den Charakter einer Zirkusvorführung, wenn wir auch den bösen Kommentaren, die wir vorab bei der Recherche im Netz vernommen hatten, entgegen halten müssen, dass sie für die allermeisten Tibetreisenden die einzige Möglichkeit bleibt, mit der eigenwilligen Tradition in Berührung zu kommen. Daher können wir auch nur bedingt die Bedenken nachvollziehen, dass die Mönche vielleicht gar kein Interesse an den Vorführungen haben und daher wahrscheinlich von der Lokalregierung zur Exposition ihrer Traditionen genötigt werden. Denn den Tibetern nützt der internationale Diskurs und das Verständnis ihrer Kultur wesentlich mehr, als den möglichen Entscheidungsträgern.
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Auf dem Rückweg begegnen wir einem alten Zausel, den Xenia höflich um ein Foto bittet. Ein Wunsch, der ihr beinahe nie ausgeschlagen wird. Von Männern erfahrungsgemäß schon gar nicht, da diese sich üblicherweise wesentlich weniger Gedanken über ihr Äußeres machen, als so manche Frau. Vielmehr scheint ihn zu interessieren, was uns an ihm interessiert. Zusammen verlassen wir die Mauern des Klosters. Unvermittelt herrscht er  im Vorbeihumpeln die jungen, unverkennbar chinesischen Polizisten an, die wohl wenig Ahnung vom Kontext ihrer Allgegenwärtigkeit haben und daher schelmig über die Tiraden des alten Mannes schmunzeln. Unbewusst gewinnen wir alle, auch Chötak, ein wenig Abstand, um keinerlei Verbindung oder gar Sympathie erkennen zu lassen. Wir erinnern uns an die Gespräche mit ..., die als eine aufgeklärte, sympathische Akademikerin in hoher Position beinahe gar nichts wusste über die westliche Sicht des Tibet Konfliktes oder eine generell problematische Vergangenheit. Vielmehr glauben wohl so einige Chinesen, dass es in Tibet Wilde mit einer eigenen Kultur gebe, mit denen es sich zu verbrüdern gilt. Die Polizisten scheinen der gleichen Prägung zu unterliegen. Sie lassen ihn ziehen, den Wilden und seine Worte, den Chötak später im Verständnis des Gesagten, als mutigen Mann betitelt. Ein freundlicher Euphemismus und eine Szene, die belegt, dass der Hass, die Abneigung und das Unverständnis nachwievor auf beiden Seiten zu finden ist.
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Dabei gibt es noch ein anderes Tibet, das historische. Jenes findet seit der chinesischen Besatzung in der westlichen Wahrnehmung kaum noch Erwähnung. Über das Tibet vor dem 7. Jahrhundert ist recht wenig bekannt. Erst danach wurde es erstmals unter einem König geeint. Eng verknüpft ist die Etablierung des Buddhismus mit dem König Tsongtsen Gambo, der sich in selbstloser Bescheidenheit nur zwei Frauen nahm. Die eine war Nepalesin, die andere, Prinzessin Wenchen, Chinesin. Und beide waren Buddhisten. Ironischerweise beginnt der chinesische Herrschaftsanspruch genau mit der Heirat eines tibetischen Königs mit einer chinesischen Prinzessin. Der König ließ sich vom Glauben seiner Frauen leiten und machte den Buddhismus zur Staatsreilgion. Auf Drängen seiner Frauen gründete er zudem den Jokhang Tempel in Lhasa. In den folgenden Jahrhunderten löste so der Buddhismus die animistische Religion der Bön ab. Jedoch erhielten sich viele Elemente dieser alten Religion, vermengten sich mit den buddhistischen Glaubenssatz und bildeten so die Sonderform des tibetischen Buddhismus. Mit der Zeit entstanden zudem viele unterschiedliche Glaubensschulen und -richtungen, von denen sich einige bis heute erhielten. Die zentralste aller Schulen ist dabei die der Gelugpa und deren Gründung durch den Mönch Tsongkapa markiert einen weiteren Schlüsselmoment. Der oberste Mönch der Gelugpas heißt Dalai Lama, Ozean der Weisheit. Das damalige Königreich Tibet war alles andere als friedliebend. Vielmehr befanden sich die einzelnen Fürsten und Regenten fortwährend im Krieg. Es hatte sich eine feudale Gesellschaft geprägt, die einzelnen Fürsten und Klöstern beinahe unbegrenzte Macht über ihr Land und den dort Ansässigen zugestanden. Mitte des 13. Jahrhunderts wurde Tibet von den Mongolen erobert. Ein Umstand, der es ausgerechnet einem Mongolenfürsten 200 Jahre später zugestand, den ersten Dalai Lama zu inthronisieren. Die Ernennung eines zentralen Regenten, der zudem geistiges Oberhaupt einer pazifistischen Religion war, bedeute zum ersten Mal langanhaltenden Frieden für die Tibeter. Dementsprechend blumig wird uns das Ereignis dargestellt. Da ein Großteil der Tibeter kein sesshaftes Volk war, sondern Nomaden, die sich wiederum aus allen Teilen Zentralasiens zusammensetzen, war der Herrschaftsbereich des Dalai Lamas jedoch schon immer begrenzt und Tibet bei weitem kein sicheres Land. So reicht der politische Arm der Gelugpas vielleicht über das zentrale Bergland, kurz Ü, aber kaum bis an die Grenzen des gesamten, von Tibet beanspruchten Landes. Auch mag daher die chinesische Behauptung stimmen, dass die Ostprovinzen durch Handel, Austausch und Einfluss schon immer näher an China gelegen hätten, als an Lhasa. Dem Westen blieb es dagegen noch lange fremd und unbereisbar. Schon die ersten Europäer, die ab dem späten 18. Jahrhundert nach Handelsverbindungen mit den Tibetern suchten, unterstellten dem Hochland Kulturlosigkeit und Gefährlichkeit. Prinzipiell blieben die Lamas Ausländern gegenüber reserviert, um nicht zu sagen ablehnend. Überhaupt war Tibet bis 1940 wohl das ausländerfeindlichste Land der Welt. So waren es die englischen Besatzer Indiens, die als vermummte Pilger und mithilfe von Gebetsketten heimlich das Land hinter den Bergen vermaßen und erste Berichte aus dem Verborgenen an die Öffentlichkeit trugen. Erste, zögerliche Handelsverbindungen wurden geschlossen. Gleichzeitig verhandelten die Kolonialmächte untereinander über Interessensgebiete und Einflussbereiche.
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Dies war Mao letztlich auch Vorwand genug, 1950 seinen Anspruch auf Tibet geltend zu machen und dieses schrittweise zu besetzen. Das Land hatte sich in den 40 Jahren nach dem Sturz der letzten Kaiserdynastie de facto selbst regiert und war daher auch nach Ansicht der meisten westlichen Historiker autonom und souverän. Selbstverständlich kann das Leid der Tibeter über die folgenden 40 Jahre kaum in Worten gebührend beschrieben werden, wenn es auch dem Kontext seiner Zeit unterliegt. Das chinesische Reich unterwarf sich eine Kolonie, wie es andere Reiche vor ihm taten, gerade als England, Frankreich, Spanien und Portugal ihre Kolonien schrittweise aufgaben. Nur in diesem Zusammenhang liegt wohl die Tragik Tibets begründet. Wenn das Land unter dem Einfluss chinesischer Uniformität nicht gerade schöner geworden ist, so hat sich das Leben seiner Bewohner zweifellos erheblich gebessert. Auch können die Tibeter, entgegen weitläufiger Berichte, ihren Glauben wesentlich freier leben, als sie es in der feudalen Gesellschaft bis Mitte des letzten Jahrhunderts je konnten. Ansichtssache bleibt, was Freiheit im Glauben bedeutet. Für die Chinesen mag es generelle Zugänglichkeit und das Recht sein, sich dem Glauben und seiner Verbindlichkeiten zu wiedersetzen. Für viele Tibeter jedoch ist es noch immer die Freiheit des Einzelnen und seiner Kultur. Daher ist die Herabwürdigung der Tibeter vielmehr ein Resultat der Ungleichheit gegenüber den Chinesen, welche vielfach gezielt gefördert, bezuschusst und angesiedelt werden, um unliebige Mehrheiten zu unterwandern.
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Doch genug Geschichte. Am nächsten Morgen stehen wir vor dem Jokhang Tempel an, dem heiligsten Bauwerk der heiligsten Stadt. Die vielen Tibeter, die ihn unablässig umrunden und nicht gerade aus der Stadt stammen, kommen größtenteils seinetwegen. Einige nehmen es besonders ernst und umrunden das Tempelareal per Niederwerfung. Das bedeutet drei Schritte gehen und sich dann auf gesamter Körperlänge flach auf den Boden zu legen. Die noch exakteren legen dabei in voller Streckung eine Gebetskette auf den Boden, bis zu der sie dann aufgestanden gehen. Keinesfalls wollen sie sich oder ihr Karma bescheißen und etwa eintausend Niederwerfungen braucht es schon, für eine Umrundung. Da, je größer die Anstrengung ist, auch die Vorzüge in diesem oder im nächsten Leben umso größer ausfallen, legt so mancher die gesamte Strecke von seiner Heimat bis nach Lhasa per Niederwerfung zurück, was im Zweifelsfall Jahre beansprucht. Die religiöse Hingabe der Tibeter lässt sich also mit der Frage nach dem Sinn des Tuns schlicht nicht erklären sondern letztlich eben nur mit dem reinen Glauben.
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Wir könnten uns nicht vorstellen jemals etwas Unbelegbares derart zu glauben, als dass wir zu solchen Handlungen fähig wären, erklären wir Lobsang, während wir stehen und warten. Auch er scheint nicht dazu imstande, wenngleich er die Existenz Buddhas und des Karmas wohl niemals anzweifeln würde. Doch gehört er, nicht nur aufgrund seiner Berufswahl, die unweigerlich mit dem Vergleich fremder Ansichten einhergeht, zur Generation der jungen Tibeter, die für ihre Kinder lieber eine gute Schulbildung, als tiefe Religiösität vorsieht. Er ist unser neuer, unser echter Guide, wie wir gestern erst erfahren hatten. Eigentlich sollten wir ja eine Viererbande werden, aber unser Mitreisepaar hat es nicht an den Sicherheitsbeamten vorbei in den Zug nach Lhasa geschafft. Wie wir wollten sie vom chinesischen Festland kommend per Zug einreisen, nur war das Flugzeug rückblickend wohl die bessere Wahl gewesen. Doch wir sollten uns keine Sorgen machen, nun erhielten wir quasi eine Exklusivtour zum Preis einer Gruppenreise. Wir teilen seine Freude nur bedingt. Ein wenig traurig wären wir ja schon, erklären wir. Denn nach all dem Alleinreisen hätte uns der Kontakt zu anderen Menschen in unserem Interessensbereich sicher gut getan. Aber ja, wir wollten nicht den Eindruck von Niezufriedenmenschen erwecken, daher wäre es schon in Ordnung. Und mit Lobsang würden wir warm werden, da sind wir uns sicher.
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Nach zwei Stunden nähern wir uns endlich unserem Ziel, dem Eingang zum Tempel. Lobsang warnt uns vor. Wie wir es aus dem Ramoche Tempel kannten, würden wir gleich von einem Strom Gläubiger erfasst, der uns einmal durch das Gebäude spült. Erst wenn wir im Obergeschoss angelangt wären, hätten wir Zeit für Erklärungen und die Erlaubnis für Bilder. Schon in der weiten Vorhalle verengt sich der Strom zu einem zähen Fluss an Menschen, die lieber stehen und staunen würden, als sich gegen ihren Willen von Raum zu Raum treiben zu lassen. So unerklärt bleiben uns die spezifischen Heiligkeiten der Kammern schlicht verborgen, denn wie sich jede  alte Kirche gleicht, so gleichen sich auch die Tempel mit der Zeit. Vor einer hohen Statue findet man den Platz, der auserwählten Mönchen Raum für ihre Gebete bietet. Im Rücken der Statuen finden sich Bildnisse für jede Art von religiösem Bedürfnis und Buttermandalas. Letztere werden in tagelanger Arbeit kunstvoll und farbig erstellt, zeigen Götter, Blumen und Szenen der heiligen Schrift, bis man sie schließlich in die Sonne stellt. Dort erinnern sie schmelzend die Gläubigen an die Vergänglichkeit allen Seins.
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Nach kurzer Zeit und ungezählten Räumen mit Figuren hinter Glas und Holz erreichen wir die Treppe zum Obergeschoss, die den nicht wenigen Touristen reserviert scheint. Hier finden sich auch die ehemaligen Privatgemächer seiner Heiligkeit, die er für seine jährlichen Audienzen nutzte. Wir sehen das wunderschöne Dharmarad, einem Symbol des Buddhismus, Hinduismus und des ewigen Kreises, das in der tibetischen Variante von zwei Gazellen flankiert wird. Vor wenigen Wochen soll es hier noch heftig gebrannt haben, erfahren wir später, doch davon ist nichts mehr zu sehen. Golden glänzen die kunstvollen Dächer in der Sonne. Vielleicht liegen in irgendeiner Halle schon Wechseldächer auf Vorrat, wie sonst hätte man so schnell reparieren können, was so klar brannte. Außer bedenklichen Bildern erfahren wir wenig in den Medien. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass der Tempel so stark beschädigt worden wäre. Bei der Annexion Tibets achtete die Volksbefreiungsarmee oder ihre schlauesten Vertreter noch sehr genau darauf, dass das Heiligtum keinerlei Schaden nehmen würde. Was sich 1959 noch verhindern ließ, wurde dann während der Kulturrevolution nachgeholt, als der Tempel letztlich doch geplündert und stark beschädigt wurde. Er wurde zum Hauptquartier der Roten Garden umfunktioniert, als auch als Gasthaus und Kino genutzt. Schon recht schnell nach dem Tod Maos wurde dem Spuk ein Ende bereitet, der Tempel restauriert und als einer der ersten Gebäude in die Liste der nationalen Heiligtümer aufgenommen.
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Am Nachmittag stehen wir schon wieder an, entgegen den bisherigen Erfahrungen, gehört das wohl einfach zur Stadt. Diesmal ist es der Potala Palast. Wobei Lobsangs Beziehungen das Warten für uns auf ein Mindestmaß reduzieren. Der kennt nämlich die heute zugeteilten Ordnungskräfte als auch die tibetischen Tourguides der riesigen Chinesengruppen. So kommt es, dass wir vor den Augen der vordersten Ordnungskraft und noch vor der ersten Chinesengruppe in die Schlange einscheren und uns zwei Drittel der Schlange erspart bleiben. Am Einlass werden wir kontrolliert wie am Flughafen, wenn nicht gar schlimmer. Die übertriebene Prozedur ist Lobsang wohlbekannt, so beschwichtigt er uns, wie das Kind vor dem Arztbesuch. Über ewige Stufen, die einst nur steile Wege waren, erreichen wir schon leicht ermattet den oberen Vorplatz, der bereits 130 Meter über der sonst recht flachen Stadt liegt. Zeit sich noch einmal auszuruhen, denn nun hätten wir, wie uns Lobsang erklärt, nur exakt eine Stunde um den Palast zu erkunden. Kontrolliert würde dies über eine Stechuhr, die wir starteten, sobald wir die erste Kammer betreten.
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Für ein so großes Gebäude sind die einzelnen Zimmer recht klein geraten, aber was will man erwarten, angesichts der 999 Räume. Überhaupt sehen wir nur einige davon, was wenig überrascht in der begrenzten Zeit. Die größten, sich über mehrere Stockwerke erstreckenden Kammern beinhalten die Gräber der vorangegangen Dalai Lamas, die alle, bis auf einen, hier beigesetzt wurden. Dies sei doch aber untibetisch, wenden wir ein. Denn immerhin müsse doch nach eigener Überzeugung ein jeder Tibeter von Geiern verspeist werden. Nein, erklärt Lobsang. Von hohen Lamas würde erwartet, dass sie zumindest Teile ihres Körpers dem Feuer spenden, damit Chörten oder Stupas mit ihrer Asche die nötige Heiligkeit erlangten. Schon zu Lebzeiten würden die überschüssigen Abwürfe aller Lamas wie Haare und Zähne an Gläubige gespendet, die sich damit behängen oder irgendetwas weihen.
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Im Akkord laufen wir durch die ungezählten Kammern. Hastig betrachten wir die an uns vorüberziehenden Gottheiten, zu denen sich auch Lobsang aufgrund des Zeitmangels seine sonst so ausladenden Erklärungen erspart. Uns soll es recht sein. Für unseren Guide sicher unverständlich sind wir schlicht überfordert mit der Fülle sich in Ähnlichkeit erschöpfender Informationen, die uns übersättigt wie ein Vierstundenblock im Hauptfach Geschichte. Noch sind wir zu freundlich es ihm zu sagen. Lieber sehnen wir uns daher in die vielen übrigen Zimmer, die allein in ihrer Gestaltung nicht weniger interessant sind. Von Regent zu Regent unterschieden sich dabei die Privatgemächer, folglich wurden sie nicht vom jeweils nächsten übernommen. Allen gemein ist natürlich die Schlichtheit und die dennoch bunte Bemalung, die sich wie schon bei den Gebetsflaggen an den fünf Elementen orientiert. Genau wie beim Film 'Sieben Jahre in Tibet', den wir uns in aller Heimlichkeit zur gedanklichen Auffrischung des nachts im Hotelzimmer anschauen und den wir an dieser Stelle noch einmal jedem interessierten Cineasten empfehlen wollen, besaß der heutige 14. Dalai Lama ein kleines Kämmerchen mit Aussicht auf die Stadt. Er würde das heutige Lhasa wohl in keinem Blick wiedererkennen. Diesen Fakt kann man je nach Blickwinkel interpretieren. Bei seiner Flucht gab es weder Strom noch fließend Wasser. Und gerne erinnern wir uns dabei an die Worte unsere Reiseführers, der die Erfahrungen der ersten Ausländer schildert, die um die Jahrhundertwende heimlich die Stadt betraten. Ihren Schilderungen zufolge, konnte man nur dann die Stadt als einen magischen und mystischen Ort in der eigenen Erinnerung behalten, sofern man den Potala aus der Ferne betrachtend noch vor den Stadtmauern kehrt machte. Andernfalls hätte man in den engen Gassen der Stadt unter dem Einfluss undefinierbarer Gerüche die ekligsten Abscheulichkeiten gesehen, den Schmutz und Unrat der Tiere und Menschen, die sich gleichermaßen die Häuser teilten. Wer jetzt auf besonders unreine Tibeter schließt, liegt sicher falsch. Vielmehr hat die Abgeschiedenheit des Landes auch zu Zeiten der Industrialisierung und aufkommender Hygiene ein Stück Mittelalter hinter den Bergen bewahrt.
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Wir stehen auf dem Dach des einst größten zusammenhängenden Gebäudes der Welt - ein weiterer magischer Moment, der nur durch das moderne Stadtbild geschmälert wird. Unser Blick schweift über die dünn von Schnee bedeckten Gipfel der umliegenden Ketten. In der Ferne glänzen die Wasser des Brahmaputra, der wie alle großen Ströme Süd- und Ostasiens seinen Ursprung im Hochland nimmt. Unweigerlich müssen wir erneut an den Film denken, in denen der junge Dalai Lama, seinen eigenen Schilderungen zufolge, die Menschen und das Umland durch sein stativgestütztes Fernglas beobachtete und sich so manche Rüge seiner Erzieher abholte. Hier oben muss folglich auch Heinrich Harrer gestanden haben, der mit seinem Buch den Film und die authentischen Berichte über diese außergewöhnliche Freundschaft eines ehemals überzeugten Nazis zum jungen Glaubensoberhapt begründete. Aus seiner Lesart resultiert ein nicht geringer Teil der westlichen Wahrnehmung über die frühen Jahre der chinesischen Besatzung. Auch wenn sich die Kenntnis der meisten genau in dieser Begegnung erschöpft, so war Harrer auch nach seinem Abschied aus Tibet 1951 ein vielbeschäftigter Mann. Über 20 Bücher dokumentieren zu dieser Zeit doch recht waghalsige Expeditionen zu den letzten unbeschriebenen Flecken der damaligen Welt. Nicht weniger interessant ist das Leben des im Film ebenso beschriebenen Fluchtkumpanen Peter Aufschnaiter, der als diplomierter Landwirt und Bergsteiger die damalige Expedition anführte. Er gilt noch heute als der erste Entwicklungshelfer Tibets, der mit seinem Hintergrund die Infrastruktur der Stadt verbesserte. Seine Züchtungen resistenteren Saatgutes, die maßgeblich die Lebensbedingungen beeinflussten, lassen sich noch heute nachweisen. Auch stammen die einzigen Karten des vorchinesischen Lhasas dem Schaffen der beiden.
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Wie zu erwarten war, sind wir schon recht schnell wieder aus dem riesigen Areal. Wir behalten uns drei wichtige Daten. Die Gründung des Palastes auf dem roten Berg vor 1400 Jahren, der Ausbau zur heutigen Größe und die Ernennung zum hauptsächlichen Regierungssitz vor 350 Jahren und die Fertigstellung 1922. Den Abend über bleiben wir vor dem Palast. Auf dem riesigen Platz, den die Zentralregierung der Befreiung der unterjochten Tibeter von den Klerikern gewidmet hat, füllt sich bereits mit Touristen. Eine pompöse Wasser- und Lichtschau ist für den Einbruch der Nacht angekündigt. Auch wenn die versammelte Mehrheit dem Reiz erliegt, sich vor bunten Lichtern und Wasserfontänen im Kreise ihrer Mitreisenden zu fotografieren, so warten nicht wenige auf das Ende der Show. Erst dann lässt sich der nun hell bestrahlte Palast und seine weißen, hohen Flanken mitsamt ihrer Spiegelung auf dem Platz ablichten. Er ist uns eines der schönsten Motive der letzten Wochen und dies nicht nur wegen seiner Bedeutung. Noch lange sitzen wir, rauchen, schauen und lassen seine Gestalt und Größe auf uns wirken. Sicher werden wir ihm und seiner Anmut hinterhertrauern, auch wenn es nicht unser letzter Tag in der Stadt sein wird. Unser letzter Abend vor unserer Weiterreise ist es dennoch.
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Schon am nächsten Morgen verlassen wir die Stadt. Ein wenig dekadent kommen wir uns schon vor, denn auf der breiten Rückbank unseres Kleintransporters sitzen wir mehr als bequem. Die Sitzreihe hinter uns bleibt unbesetzt und beherbergt nun unser Handgepäck. So richtig passt dieses neue Platzangebot gar nicht zu unseren bisherigen Reiseerfahrung. Lobsang muss lachen, als wir es ihm erklären. Er übersetzt es unserem Fahrer Demcho, ein stiller, aber nicht weniger lustiger Geselle. Wir sollten uns einmal entspannen. Wir könnten ja nichts für die Abstinenz des anderen Paares. Zudem müssten die Wagen für die Touristen termingerecht von der chinesischen Regierung angemietet werden, die ganze Flotten der gleichen Ford Transporter betreibt. Offiziell, um einen einheitlichen touristengerechten Sicherheits- und Wartungsstand zu gewährleisten, was angesichts der Pässe und Gefälle durchaus nachvollziehbar erscheint. Andererseits aus Überwachungsgründen. Denn tatsächlich besitzt jedes Fahrzeug drei Kameras. Eine für den Fahrer, eine für die Fahrbahn und eine für uns. Lobsang traut ihnen nicht und mahnt uns, politisch bedenkliche Gespräche doch bitte außerhalb des Fahrzeuges zu führen. Kaum können wir uns vorstellen, dass sich wirklich jemand die Mühe macht, unsere Gespräche abzuhören und zu übersetzen. Doch nehmen wir seine Bedenken trotz unser Zweifel ernst, was unserem Glauben nach, genau dem Sinn dieser Überwachung entspricht.
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Lange fahren wir an den breiten Ufern des Brahmaputra entlang, der sich noch ungezähmt ein riesiges und breites Bett gönnt. Seine sich windenden Schleifen tragen noch immer unvorstellbare Mengen Gestein ab, während sich  der Fluss  an anderer Stelle immer wieder teilt und vereint. Kleine Auen zeigen das Alter ihres Bestandes an und beweisen, dass noch vor wenigen Jahren der Fluss einen völlig anderen Verlauf genommen haben muss. Nach etwa zwei Stunden nehmen wir unseren ersten Pass, der noch nah genug an der Hauptstadt liegt, um ihr als Tagesausflugsziel zu dienen. Die Nomaden in den Haltebuchten sind dabei mehr als nur Erkennungsmerkmal. Auf kleinen Podesten oder neben jeder Bank warten sie mit ihren für sie typischen Yaks, Ziegen oder den tibetischen Mastiffs. Letztere sind die riesigen Hütehunde, die es sicher mit jedweder Bedrohung der Hochweiden aufnehmen würden. Also Wölfe, Bären, Leoparden, Yetis und Chinesen. Wirklich bedrohlich wirken sie ja nicht mehr, viel eher genügt es ihnen groß und zottelig zu sein. Ein Foto, wenn auch gestellt, lassen wir uns natürlich nicht entgehen. 10 Yuan sind dabei noch Sonderangebot. Mit einem einzelnen Hund ließe sich gut 200 Euro am Tag verdienen, erklärt Lobsang. Klar, dass die Nomaden dabei in Konkurrenz zueinander stünden. Auch den Chinesen gilt die Rasse inzwischen als Prestigeobjekt. Einzelne Hunde würden derweil sechsstellig gehandelt.
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Am Jandrok See rasten wir. Er ist ein zwischen den Bergen weit verzweigtes Gewässer und selbstverständlich tiefblau. Erst jetzt und auf der Höhe des Passes erkennen wir in der Ferne die ersten immerweißen Gipfel. Auch nehmen ab hier die Touristengruppen ab, denen es genügt, soweit ins Umland zu fahren. Wir bitten Lobsang in der Wahl der Gasthäuser so lokal wie möglich zu bleiben. Dem westlichen Standard hätten wir schon seit einer Weile entsagt, allein der Preise wegen. Überhaupt sei einer der größten Vorteile Chinas, dass man hier noch für kleines Geld recht vernünftig, sogar frisch und gesund, essen könne, erklären wir. Mit der Abgeschiedenheit steigen die Preise. Doch findet Lobsang etwas nach unserem Geschmack. Ein kleines Gasthaus am Wegesrand verkauft kleine Curries zu vernünftigen Preisen. Im zweiten Stock  sitzen die Einheimischen auf kleinen Bänken und Schemeln, schwatzend und schmatzend.
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Wir kommen auf die Regierung zu sprechen, in diesem Umfeld fühlt sich Lobsang sicher genug. Doch hätte er wohl wenig zu befürchten, denn er lobt seinen Präsidenten, wie zuvor alle Chinesen, die wir bisher kennenlernen durften. Der wäre hier so populär, weil man sich auf sein Wort verlassen könne. Das von ihm groß angekündigte Projekt der Entwicklung ländlicher Gebiete und die Investitionen in Bildung seien hier schon innerhalb weniger Jahre spürbar. Wir behaupten, dass auch gemessen an chinesischen Verhältnissen, die meisten Europäer keine Vorstellung davon haben, wie ländlich noch immer ländliche Gebiete im Riesenreich sind. Rein optisch entsprechen sie allzu oft noch unserem Bild des Chinas aus der Zeit der Kulturrevolution und des großen Steuermanns. Die Öffnung des Landes unter Deng Xiaoping führte zu allererst zur Entwicklung der industriellen Infrastruktur und der Städte. Noch immer assoziiert ein Großteil der Bevölkerung das Stadtleben mit der Vereinfachung der Lebensumstände. Die gewaltige Urbanisierung entwickelte sich folglich zu einem ebenso gewaltigen gesellschaftlichen Problem, welches überfüllte Ballungsräume und verwaiste Landstriche zum Ergebnis hat - ganz besonders im Kontext der Ein-Kind-Politik. Unrentable Gebiete wie die Berglandschaften betrifft das umso mehr, wenn auch nur wenige Tibeter, die sich aufgrund ihrer zweifelhaften Reputation nur selten ins Kernland wagen. Jedenfalls, erklärt Lobsang, seien die Schulen und Kindergärten, die mit typischem Nachdruck gebaut würden, oft genug die modernsten Gebäude der jeweiligen Dörfer. Erst seit wenigen Jahren könne so jedem Kind ein Schulplatz garantiert werden. Zudem sei die Verpflegung der Kinder kostenlos und gut. Seine Tochter, führt er aus, esse inzwischen lieber in der Schule als daheim.
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Nach einer Weile erreichen wir Gyantse. Lobsang verabschiedet sich, um uns bei der lokalen Behörde für die Everest Sonderzone einzuschreiben. Weil die Kollegen gerade unterbesetzt sind und sich die Vertreter zweier vollbesetzter Reisegruppen vor ihm in der Schlange befinden, schickt er uns allein zum Kloster. Das Gyantse Gompa ist dabei für seine siebenstöckige, begehbare Stupa berühmt. Es ist bereits kurz vor 5 und so genießen wir die Stunde Auslauf. Wie es sich für eine Stupa gehört, umrunden wir sie - auf jedem Stock. Ganze 100 Kammern gilt es zudem zu besichtigen. Wir begnügen uns mit einem kurzen Blick, wenn wir auch rückblickend keinen auslassen. Langsam senkt sich die Sonne bereits und wirft den großen Schatten des Gebäudes auf die nahestehenden Mauern des Haupttempels. Nur noch wenige Touristen befinden sich in der Anlage. Wann die wohl gestartet sein müssen, fragen wir uns. Immerhin fahren wir schon seit gut neun Stunden. Wir beenden den Rundgang nach einer weiteren. Lobsang hat es derweil fast zurück zum Bus geschafft. Da hätten wir uns aber mächtig Zeit gelassen, schmunzelt er. Er sich wohl auch. Jedenfalls würde er normalerweise nur das oberste Stockwerk umrunden, die Kammern sähen doch alle gleich aus.
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Es ist beinahe Abend, als wir Shigatse erreichen und unser buntes Zimmer beziehen. Schon während der Fahrt hatten wir davon erfahren und sollten uns gebührend darauf freuen. Tatsächlich sind die Wände aller Räume, sogar die Hotelflure, handbemalt. Ganze vier Jahre hätte dies gedauert. Wir sind schlicht beeindruckt. Der Investor muss ein geduldiger Mann sein, spekulieren wir. Den Geschäftsführer lernen wir am nächsten Morgen kennen. Die Bekanntschaft mit Lobsang führt ihn an unseren Tisch. So kommen wir ins schwatzen. Auch wir kämen aus der Hotellerie, erzählen wir, als wir nach dem Hintergrund unserer Reise gefragt werden. Freundlich nickt er. Ja, ein wenig westlichen Einfluss könne er hier auch gebrauchen. Immerhin stamme ein wesentlicher Teil seiner Gäste aus westlichen Ländern und Kulturen. Und nur schwer ließen sich deren Standards, die sie selbstverständlich für diese Zimmerpreise erwarten dürften beim hiesigen Personal durchsetzen. Das finge schon damit an, dass ein jeder Gast immer gegrüßt werde. Derlei Anweisungen funktionierten genau einen Tag und müssten daraufhin schon am nächsten wieder implementiert werden. Mühsam sei das, zumal er hier hauptsächlich für die Finanzen eingestellt wäre. Der wesentliche Anspruch an einen Arbeiter im Lande sei noch immer die Erwartung unbedingter Verfügbarkeit und die Bereitschaft zur Dauerarbeit. Das Empfinden, dass ein Lohn auch an Qualifikation, Eigeninitiative und einheitliche Standards gebunden ist, sei gerade in den niedrigeren Positionen bislang noch nicht vorhanden. Ein beinahe gesamtasiatisches Problem. Ob wir uns vorstellen könnten, hier zu arbeiten, werden wir ohne Konkretisierung gefragt. Ohne ihm in Gewissheit zu antworten, überlegen wir noch lange, wie es wohl wäre. Interessant ganz sicher. Psychisch belastend wohl auch, selbst bei westlicher Bezahlung und Arbeitszeit.
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Vor der ersten Toilette des Tages sammeln sich die Busse. Öffentliche Örtchen, so spartanisch sie auch sein mögen, sind ein rares Gut auf dem Hochplateau. So wartet es sich im wahrsten Sinne des Wortes wie vor'm Wasserloch - nur ohne Wasser. Unsere Mitwartenden sind eine bunte Reisegruppe aus dem englisch-sprachigen Raum. Der typische Smalltalk führt uns zu ihrem Reiseleiter Jamien, der, wie man uns erklärt, auch eine fantastische Website betreibe. Sie sei wohl die beste, die es in englischer Sprache gäbe. Landofsnows.org ihr Name, ob wir die denn kannten. Ich kann es kaum glauben. Immerhin hatte ich Losang, so sein Name in meiner Erinnerung angeschrieben, um ihn abseits von allen Tourveranstaltern, ein wenig über die Organisation unserer Reise auszufragen. Schon tags darauf erhielt ich Antwort. Wo ich den denn finden könnte, frage ich freudig erregt. Lucia, mein Gegenüber, verweist auf einen Westler, der gerade aus dem Bus steigt. Man stellt mich vor, auch Jamien kann sich sofort an mich erinnern. Ja, Losang wäre sein tibetischer Name, dem ihm die Einheimischen gaben, da er nunmehr schon seit 13 Jahren in Tibet wohne. Unverkennbar ist er Amerikaner geblieben, lustig, jovial, gesprächig. Auch unseren Guide kennt er gut und verständigt sich auf ein baldiges Treffen. Ganz Profi, hält er sich dennoch nur kurz mit uns, seinen Fans, auf und kehrt zurück zu seiner zahlenden Reisegruppe. Eine witzige Begegnung bleibt es dennoch.
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Wieder fahren wir Pass um Pass, halten am Karola Gletscher, der in den letzten Jahren bereits ein Drittel seines Volumens verloren hat. Noch ist er weit entfernt vom mitunter traurigen Bild der Alpengletscher oder denen der Südhalbkugel. Kahle, helle Stellen indizieren seinen Schwund. So steil, wie er am Hang liegt, scheint es ein Wunder, dass sich hier überhaupt Millionen Tonnen Eis am kargen Fels halten können. Und doch ist es wohl bizarrerweise gerade seine Vergänglichkeit, die hier die Besucher aus ihren warmen Autos lockt. Schwere Worte der Gruppenleitungen und neu aufgestellte Tafeln verlangen den Betrachtern ihre Anteilnahme ab. Auch wenn es unsereins schwer vorstellbar erscheint, so mag es ja noch immer Menschen geben, die nicht an den Klimawandel glauben. Da kann Aufklärung nur helfen. Keiner der Anwesenden wird selbst etwas an dem Phänomen ändern können, so staunen wir über die noch immer gewaltigen Eismassen und hoffen auf eine einsichtige und globale Politik, die hier in jedem Falle zu spät kommen wird.
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Endlich erreichen wir das Tor zum Everest. Es ist nicht mehr als eine schmale Straße, hinter einem kleinen Checkpoint, eine halbe Stunde hinter einem großen. Dem Unwissenden wäre der Abzweig vielleicht sogar entgangen. Die Riesen des Himalaya liegen noch immer hinter gelben Hügeln, einem gewaltigen Geröllfeld und dem neu gebauten Pass, der beide überwindet. Die Straße war uns als mittleres Spektakel angekündigt und hält Wort. Etwas Vergleichbares ist uns auf all unseren Wegen noch nicht begegnet, gerade vor dem Hintergrund unserer inzwischen inflationären Lobpreisungen chinesischer Straßenbaukunst. Noch vor zwei Jahren musste ein abenteuerlicher Schotterweg überwunden werden. Allein die Anfahrt ab dem Checkpoint zum Everest hätte eine Tagesreise bedeutet. Wir staunen mit jeder der zahlreichen Kurven beim Blick aus dem Fenster. Nach einer halben Stunde ist die höchste Stelle erklommen, noch einmal Durchatmen und Augen zu, mahnt Lobsang. Erst wolle er selber für uns schauen, ob sich das Hoffen für uns gelohnt hätte. Wow! Doch, wir könnten sie öffnen! Und plötzlich, wie aus dem Nichts liegen sie vor uns, die höchsten Gipfel dieser Erde. Fünf Spitzen, weiß und mächtig. In ihrer Mitte thront einem Podest gleich der Everest, oder Chomulungma, wie er diesseits genannt wird. Der Lhotse, der 8500 Meter hohe Nachbarberg ist in seinem Schatten nur mit Fantasie zu erkennen. Der Makalu versteckt sich ganz hinter Wolken, glücklicherweise als einziger an diesem so klaren Tag. Nicht weniger beeindruckend offenbart sich der Cho Oyu, der wegen seiner umfassenden Vergletscherung in besonderem Maße angestrahlt wird und sich des Abends in ein tiefes Rot legt. Göttin des Türkis, so sein Name bei den Einheimischen. In weiter Ferne erspähen wir den letzten der Achttausender, Shishapangma, dem wir auf nepalesischer Seite schon sehr nah gekommen waren, ohne ihn zu sehen.
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Aufgeregt steigen wir aus und genießen diese einzigartige Szene in dünner Luft. Auch Lobsang folgt uns. An seiner Reaktion erkennen wir unser Glück. Denn immerhin hatte er die gesamte Anfahrt über unsere Erwartungen an den jetzigen Augenblick gedämpft, ohne uns dabei die Vorfreude zu nehmen. Heute stünde der Gipfel besonders frei, sagt er und fotografiert mit seinem Handy. Immerhin sei er hier schon fünfzig mal gewesen, antwortet er auf Nachfrage. Der andere Losang gesellt sich zu uns. Ob es uns gefalle, fragt er lakonisch. Er werde sich nie an diesen Anblick gewöhnen können, führt er ohne Pathos aus. Hier oben fühle man sich doch noch immer wie die ersten Reisenden oder der erste Mensch, der seine eigene Kleinheit begreift. Als wir uns vorerst satt gesehen haben, steigen wir wieder ein, denn noch sind es gut anderthalb Stunden bis zum richtigen Everest.
Und, obwohl uns der letzte Anblick schon groß genug erschien, fahren wir weitere 80 Kilometer an den Fuß des Giganten. Schnell werfen wir unser Gepäck in das uns zugeteilte Mehrfamilienzelt und laufen die letzten zwei Kilometer zum Rombuk Kloster vor dem Berg. Langsam senkt sich die Sonne hinter den Gipfeln und offenbart uns den frappanten Unterschied zwischen Sonne und Schatten in diesen Höhen. Im Licht neigt man noch zur geöffneten Jacke, während schon nach wenigen Minuten im Dunkel die Kälte ihren Weg durch unsere Kleider findet und ins in die Beine kriecht. In der Eile vergesse ich mir lange Unterhosen anzuziehen. Ein Fehler, den ich die nächste Stunde aushalten muss. In der Dämmerung besichtigen wir das kleine Kloster. In dessen noch kleineren Stube hockt ein Mönch vor dem Feuer und mit ihm auch schon andere Reisende. Die Wärme ist mir mehr als willkommen. Wann immer es die Beine erlauben, wage ich mich nach draußen, um mir jeden weiteren Ausblick auf den Berg zu ermöglichen. Xenia ist derweil verschwunden. Hinter den kleinen Häuschen um das Kloster sucht sie nach immer besseren Aussichten. Nur kurz gewährt uns der Everest noch sein schönstes Rot, als das schmale Tal selbst schon im Schwarz der Bergnacht verschwindet. Ungewöhnlich, meint Lobsang. Der Berg sei eigentlich kein Garant für dramatische Abgänge. Wir versinken in Rührung bei soviel Glück, sogar eine Träne drückt, ohne den Ausgang zu finden.
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Die Nacht ist erwartungsgemäß recht kalt. Wir überstehen sie in unseren Schlafsäcken unter dicken Decken. Kaum wollen wir uns vorstellen, wie es sich allein unter den Decken geschlafen hätte. Gegenüber liegt eine chinesische Familie, die gemeinsam mit ihrem Sohn und dem neuen Auto von Chengdu angereist ist. Eine Woche hin, eine zurück, Chinesen halt. Am frühen Morgen weckt uns der Betreiber des Zeltes. Wir sollten uns bitte ein wenig beeilen, lässt er von Lobsang übersetzen. Eine Reisegruppe käme gleich zum Frühstück. Es sei die von unserem Freund Losang, den wir tags zuvor getroffen hätten. Wir packen hastig. Nur wenige Minuten später betritt die Truppe das Zelt, wobei sich Lucia neben uns wiederfindet. Entgegen ihrem Namen ist sie Engländerin, wenn auch mit italienischen Wurzeln und wahrlich bergbegeistert. Zudem verehrt sie Messner. Unser Signal. Wir finden unseren Gesprächseinstieg mit der Geschichte, wie wir Messner die Hand schüttelten und schwatzen uns ohne Unterbrechung durchs Frühstück. Mallory, Hillary, Messner, sie alle finden Erwähnung.
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Ersterer findet vorallem in der Geschichtsschreibung für seinen riskanten Versuch Erwähnung, unter den damaligen Bedingungen, die hauptsächlich vom Material limitiert wurden, die erste ernsthafte Gipfelbesteigung versucht zu haben. Tollkühn antwortete er auf eine Frage während einer Lesung, warum er den Everest denn unbedingt besteigen müsse: weil er da ist! Es wäre 1924, nur 17 Jahre nach der Erstbesteigung eines Siebentausenders, überhaupt die auch erste Besteigung eines Achttausenders gewesen. Die Geschichte lehrt uns sein Scheitern, weshalb auch seine dennoch großartige Leistung, es überhaupt soweit geschafft zu haben, ein wenig in den Hintergrund rückt. Seine Leiche wurde auf 8150 Metern gefunden und es gilt als gesichert, dass er sich auf dem Rückweg befand. Schon zwei Jahre zuvor war er auf eine Höhe von 8300 Metern gestiegen, was allein schon als Meisterleistung anerkannt wird. Und doch hat es Mallory trotz aller damit verbundener Romantik wohl nie bis zum Gipfel geschafft. Allein schon, weil ohne die für den Aufbruch in völliger Dunkelheit nötigen Stirnlampen, das Zeitfenster für einen Aufstieg zu kurz sei. Für zwei Kletterstufen unterhalb des Gipfels ist zudem zusätzliches Material nötig, das nur derjenige dabei hat, der weiß, wofür.
Dieses Wissen hatte Hillary, der gemeinsam mit Tenzin Norgay 29 Jahre später den Berg erklomm. Die Besteigung des dritten Pols, die für die Engländer inzwischen zu einer Ehrensache geworden war, kam einem Wettlauf gleich. Das Königreich Nepal, das sich nur langsam dem Westen gegenüber öffnete, stellte genau eine Erlaubnis pro Jahr aus. Für die Jahre 1952 und 54 hatten sich Schweizer Expeditionen ihre bereits gesichert. 1953 sollte also der letzte Versuch der der Engländer werden. Tenzin Norgay war bereits Mitglied der 52ger Expedition und dort schon eher ein vollwertiges Mitglied der Bergsteigergemeinschaft, als eines der  Trägerschaft, die sich ausschließlich aus Sherpas zusammensetzte. Zusammen stellten sie einen neuen Höhenrekord auf, erreichten den Gipfel aber nicht. Ein Jahr später, war es also Hillarys Glück, auf die Erfahrungen Norgays zurückgreifen zu können. Gemeinsam erreichten sie am 26. Mai den Gipfel. Für den bescheidenen Imker aus Neuseeland bedeutete es den Ritterschlag und nie endende Anerkennung in seinem Heimatland. Ob es das für Norgay war, bleibt bis heute ungewiss. In der Debatte, ob nun er oder Hillary der wirklich erste war, wurde er ein Spielball falschen Stolzes. Zu wichtig war es den nach Anerkennung suchenden Nepalesen, dass auch der Erstbesteiger einer der ihren war. Man ließ ihn sogar als Analphabeten ein Dokument unterzeichnen, dass diese Behauptung stützen sollte. Jahre später revidierte er seine erzwungene Behauptung der Erstbesteigung und wurde dafür von seinem eigenen Volk als Verräter geächtet. Hillary ließ sich nie dazu hinreißen, allein den Ruhm zu beanspruchen, da er die Leistung als die zweier Freunde, die es niemals allein ohne den jeweils anderen geschafft hätten, zusammenfasste.
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Bis heute ist der Berg, so oft er auch bestiegen ist und noch wird, zu einem Spielplatz, einem Prestigeobjekt, derer geworden, die es sich leisten können, sich den Berg zu erkaufen. Wenn wir auch glauben wollen, dass vermutlich die allermeisten Gipfelstürmer, trainierte und erfahrene Bergsteiger sind, so wurde der Berg schon von Kindern, Rentnern, Beinamputierten und Blinden bestiegen. Ab 50.000 Dollar lässt sich der Erfolg erkaufen, für 100.000 gern auch mit beheiztem Zelt und eigenem Koch. Was dabei an kaum rücktransportablen Müll produziert wird, ist heute schon legendär. Genauso, wie die etwa 300 Toten am Berg, die im ewigen Eis nicht verrotten und allein durch Frost und Sturm abgetragen werden. Sarkastisch sind sie nach Standort, Liegeposition oder Kleidung benannt und markieren sogar Schlüsselstellen. Ab und an findet auch noch ein echter Bergsteiger in kleinen Seilschaften, die sich über Jahre kennen, auf den Berg. Ihnen allen hat Reinhold Messner mit seiner Alleinbesteigung ohne künstlichen Sauerstoff vor beinahe 40 Jahren und noch vor dem Ausverkauf gezeigt, wie die einzige Form eines ehrlich errungenen Gipfeltriumphs in heutiger Zeit aussieht und was die wenigen dazu Fähigen von den Erlebniskäufern unterscheidet.
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Ungern verabschieden wir uns vom Everest, diesem doch so kurzen Vergnügen. Doch ist der Weg nicht weniger kurz, als am Vortag. Erneut erreichen wir Shigatse am Abend, legen uns schlafen, denn die Höhe steckt uns genauso in den Knochen, wie die kurze Nacht. Einen Höhepunkt gönnen wir uns noch mit der Besichtigung des Tashilunpo Klosters in der Stadt. Noch immer ist es Amtssitz des Panchen Lamas, des weltlichen Regenten Tibets. Den Tempel selbst umrunden wir am frühen Morgen. In Begleitung der vielen Hunde, die sich friedlich genau da versammelt haben, wo sie sich in Begleitung von spendablen Gläubigen am ehesten ein Auskommen versprechen, schleichen wir mit den vielen Betenden um die Kora. Den Samdruptse Tsong, eine alte Festungsanlage, dem Potala gar nicht so unähnlich, wollen wir im besten Licht erwischen. In unserem Ehrgeiz und dem Hintergrund genau eines Versuches, sind wir ein wenig zu früh dran. Deutsch halt, der eine nennt es Tugend, der andere Pedanz. So warten wir an einer unbeachteten Stelle am Hang auf das beste Licht, während uns die Pilger in ihrem Singsang passieren und uns nur dann bemerken, wenn wir sie lassen. An einem magischen Stein halten die Alten und reiben ihren Rücken. Er hat wohl schon vielen geholfen, so blank poliert ist seine Oberfläche. Derweil geht die Sonne so langsam auf, dass wir sie im stetig heller werdenden Licht kaum bemerken. Als sie sich über die Berge wagt und uns urplötzlich frech in die Gesichter scheint, ist die Festung bereits hell erleuchtet. Doch was wir an Moment verpassen, danken uns die Bilder - mit denen sind wir hochzufrieden. Ein wenig versnobbt fahren wir zwischenzeitlich zum Frühstück und kehren zurück um das eigentliche Klosterareal zu besichtigen, aber anders ließe es sich wohl nicht bewerkstelligen.
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Das während der Kulturrevolution schwer beschädigte Kloster ist heute eines der schönsten Klöster Tibets, Chinas, ach was - der Welt. So kurz vor dem Ende ist die Besichtigung des Tashilunpo noch einmal, trotz der so vielen anderen Klöster, ein besonderer Moment, der soviel mehr ist, als nur einer von vielen. Vor dem Kloster aufgestellte Bronzefiguren erinnern die Besucher an das immaterielle Kulturgut des Chamtanzes, den wir leider nicht zu sehen bekommen. Für ihn ikonisch sind die langsam schwebenden Bewegungen und die wehenden Jackenärmel der sich im Kreis drehenden Tänzer. Als Sitz des Panchen Lamas hat das Kloster mächtig Geschichte und auch in heutigen Tagen noch mächtig Bedeutung. Das Kloster wurde einst im 15. Jahrhundert von einem Schüler Tsongkapas gegründet, mit dessen Name wir schon seit Lhasa fortwährend gepeinigt werden. Zum Dank seiner be-deutungsschweren Tat, wurde der Schüler und Erbauer rückwirkend zum ersten Dalai Lama ernannt. Bald darauf wurde dessen Sitz nach Lhasa verlegt und so wurde 150 Jahre später der Abt des Klosters zum Panchen Lama ernannt und übernahm die Regulierung ganz weltlicher Aufgaben. Wie schon erwähnt, wurde das Kloster in den Wirren der Kulturrevolution, die vorzugsweise die ganz großen Monumente Tibets zum Ziel hatten, schwer beschädigt. Tausende Mönche wurden ermordet, die Grabkammern geschändet. Schon wenige Jahre nach dem Tod Maos im China der 80ger, die noch immer eher trist und grau als Wirtschaftswunder waren, wurden große Mengen an Geld und Gold zusammengetragen, um das Kloster wieder aufzubauen. Es erblühte wohl schöner, als es je zuvor war und kommt damit dem chinesischen Verständnis von Abbitte gleich. Die Goldene Maitreya Sta-tue, dem Buddha der Zukunft, ist mit 26 Metern Höhe die zweitgrößte ihrer Art, ganz sicher aber die schönste. Und natürlich dürfen wir sie nicht foto-grafieren. In aller Ruhe durchlaufen wir die Kammern, die seltsam interessant erscheinen. Oft bleiben wir stehen oder sitzen einfach nur zwischen den Menschen, die nicht selten Jahre warten mussten, einmal an einem solchen Ort zu weilen. Auch dadurch wirkt das Kloster geradezu künstlich friedlich. Die Sicherheitsvorkehrungen erscheinen keinesfalls so übertrieben, wie noch in der Hauptstadt. Vielleicht auch nur, weil der Panchen Lama heute wohl nicht zugegen ist.
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Eine kleine Sache war da ja noch. Nämlich die des entführten Kindes. Der aktuelle Panchen Lama ist quasi der von den chinesischen Autoritäten genehmigte. Der nach dem Tod des letzten echten Panchen Lamas bestimmte Nachfolger wurde 1995 kurz nach seiner Ernennung entführt und lange Zeit als der jüngste politische Gefangene der Welt tituliert. Der Regierung schien das Auswahlverfahren wohl nicht genehm. Vielmehr bestand sie auf die Ziehung aus der goldenen Urne, die ebenfalls eine gewisse Tradition in der Bestimmung der Wiedergeburten hoher Buddhas hat. Kaum kann es prinzipiell an der Ernennung eines für ihre Zwecke ungeeigneten Kindes gelegen haben, da an seiner Stelle dennoch ein gleichaltriges Kind ernannt wurde. Auf Nachfrage von Menschenrechtsorganisationen, ob man mit dem Jungen in Kontakt treten könne, um sein Wohlbefinden zu bestätigen, ließ sich die Regierung 2007 zu folgendem Statement herab: dem Jungen ginge es gut genauso wie seiner Familie, die sich im Staatsdienst befände. Er erfreue sich bester Gesundheit, wachse stetig und lerne fleißig. Eine Behauptung, die der aktuelle Dalai Lama erst in diesem Jahr aus der Kenntnis verlässlicher Quellen heraus bestätigte.
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Am Abend erreichen wir erneut Lhasa. Da wir uns großzügig einen extra Tag gekauft haben, wird es nicht unsere letzte Nacht. Die langen Fahrten haben an uns gezehrt. So tun wir nur das Nötigste und verschwinden im Bett. Am nächsten Morgen treffen wir noch einmal Lobsang zur Klosterbesichtigung, diesmal ist es das Drepung. Was soll nach dem Tashilunpo noch groß folgen, fragen wir uns, und doch umgibt dieses Treffen nach gemeinsamen sechs Tagen schon beinahe etwas Nostalgisches. Das Drepung Kloster liegt als größtes aller Klöster nur wenige Kilometer vor der Stadt. Es ist wie alle anderen zuvor besichtigten Klöster eine für die Tibeter außergewöhnlich bedeutende Lehreinrichtung, für uns aber allein für das Riesenthangka interessant. Einmal im Jahr tragen Hunderte Mönche ein etwa 40 mal 40 Meter großes Stoffgemälde in allergrößter Anstrengung den steilen Berg hinter dem Kloster hinauf, um es dort zu entfalten. Ein vielbesuchtes Ereignis und für den neutralen Besucher schlicht ein Spektakel. Als 2008 die Proteste in einem Gefühl des Gesinnungsfrühlings neu aufflammten und nur blutig unterbunden werden konnten, wurde das Kloster und seine hohen Lamas als Ursache ausgemacht und anschließend geschlossen. Fünf, für chinesische Verhältnisse, kurze Jahre blieb es das auch.
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Noch einmal wandern wir um den Barkhor und durch die vielen Verkaufsstände. Wir besorgen Karten, Statuen, Kräuter, Kleider, Masken - schlicht alles, was man braucht, um uns auch in vielen Jahren gedanklich in diese Wunderwelt zurück-zuversetzen. Der Abschied der beiden, die wir in kurzer Zeit recht lieb gewonnen haben, geht mit einer gewissen Melancholie einher. Nachdem wir noch einmal im morgentlichen Licht vor dem Potala gestanden und das einfallende Licht in der zu dieser Zeit doch recht ruhigen Stadt auf uns wirken lassen haben, fahren wir müde unserem Lebewohl entgegen. Als hätten wir eine Schlacht geschlagen, stehen wir vor dem Bahnhofsgebäude, rauchen und grinsen. Beide, Demcho und Lobsang, werden wir noch lang in Erinnerung behalten. Als wir schon durch die recht weit entfernte Sicherheitsschleuse ins Gebäude laufen, stehen die beiden noch immer am Rand der Straße und schauen uns nach. Schon eine Kurve später sind sie verschwunden. Sie werden ihre freien Tage genießen und schon in wenigen wei-teren Tagen, neue Gäste erwarten, die sie ebenso verabschieden. In wenigen Jah-ren will Lobsang seine eigene Reiseagentur leiten, mehr hallo und weniger tschüss.
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Derweil schleicht unser Zug in 14 endlosen Stunden unserem Zwischenziel Golmud entgegen. In Anbetracht des Terrains ist es rasen und doch kommt uns die Landschaft, so schön sie auch sein mag, immer gleich vor. Hohe Berge, blaue Seen, vorallem aber eine unvorstellbare Weite. Ein wenig überdeckt die oberflächliche Eintönigkeit den hohen Aufwand, mit der die Bahn vor knapp 15 Jahren gebaut wurde. Mehrere über 5000 Meter hohe Pässe werden überwunden, welche man ohne Streckenkenntnis jedoch kaum bemerkt. Zum einen, da das gesamte Umland mit durchschnittlich 4500 Metern sehr hoch ist und zum anderen, weil der Luftdruck in den Kabinen ähnlich einem Flugzeug reguliert wird. Ein wesentlicher Teil der Bahn wurde auf Permafrostboden gebaut, was mit dem nur oberflächlichen Abtauen der winterlichen Eisschicht ein arges Problem darstellt. Über ammoniakgekühlte Rohrsysteme wird die Strecke auch im Sommer kühl genug gehalten, um ein Überfluten oder Einsinken des Gleisbetts zu verhindern. Man kann sich daher auch die immensen Baukosten vorstellen, die bösen Zungen zufolge alle Summen überschreiten, die China seit der Besetzung überhaupt in das Hochland investiert hätte. Fortwährend wird sie nun erweitert und soll eines Tages auch Indien von China aus erreichbar machen. Unser Blick schweift derweil wieder aus dem Fenster. Im Licht des frühen Abends stehen wilde Esel auf den Feldern als wollten sie sich verabschieden. Kiangs - genau wie Yaks und Chirus sind sie Ikonen des Hochlands, die nur dahin ziehen, wohin allein ihr Wille sie treibt. Ungebändigt, ungezähmt, genau wie das Volk, das sie besingt. In Wehmut schauen wir zurück. Ruhig gleitet der Zug in die Nacht, hinein in ein anderes Abenteuer.
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