somebody somewhere
  • Reise
  • Weg
  • Länder
    • Neuseeland
    • Australien
    • Malaysia & Singapur
    • Thailand
    • Indonesien
    • Laos
    • Kambodscha
    • Vietnam
    • China
    • Nepal
  • Galerie
  • Notizen
  • Über uns
    • Planung
    • Ausstattung
    • Technik
    • Bücher
  • Kontakt

Auf dem Weg um die Welt


​...und zu allem was dazwischen liegt

Durch Höhen und Tiefen in Bolivien...

2/12/2018

0 Kommentare

 
Bild
An der Grenze ist wenig los. So früh am morgen stempelt es sich offenbar schlecht, denn gelangweilt sitzen die uniformierten Herren in ihren Kabinen. Der Schlagbaum ist der einzige Hinweis eines unmittelbaren Grenzübertrittes, das kleine Häuschen zu seiner linken wäre niemandem ein Hindernis. Zweimal müssen wir nachfragen, um auch ja ins richtige zu gehen. Hohe Sicherheitsstandards für die Einreise braucht das Land wohl nicht, zählt es doch zu den ärmsten Ländern des Kontinents. Wer will, soll kommen. So kennen wir das höchstens aus Nepal. Selbst das Gepäck verbleibt unkontrolliert im Bus. Uns soll es recht sein, denn an zeitaufwändigem Aus- und wieder Einpacken all unserer angehäuften Dinge, haben wir wenig Interesse. So steigen wir zurück in den Bus und fahren die wenigen Kilometer ins nahegelegene Städtchen Copacabana. Der Titicacasee liegt ausgebreitet vor uns, das Wasser ist blau wie der Himmel, die Erde so gelb, wie die Sonne die Sonne hell. Es ist traumhaft.
Bild
Copacabana - der Name mag verheißungsvoll klingen, seine hiesige Erscheinung ist es nicht. Der Ort ist traurig und stillos, langweilig und ausschließlich funktional. Darüber können auch bunte Häuser und eine mehr gewollte als gekonnte Promenade nicht hinwegtäuschen. Wir widerstehen dem Impuls, uns ärgern zu wollen, denn die Nacht ist bereits gebucht. So beziehen wir unser Zimmer in einer der günstigeren Unterkünfte, in der gerade kräftig angebaut wird. Über einen Mangel an Touristen kann man sich auch auf der bolivianischen Seite des Sees nicht beschweren. So wächst sie und wächst, wenngleich noch immer überschaubar. Hätten wir um die Schönheit unseres Zieles für den morgigen Tag gewusst, wären wir wohl gleich weitergereist. Denn eigentlich wollen wir zur Isla del Sol, der Sonneninsel. Den blumigen Namen hat sie sich redlich verdient, denn an letzterer mangelt es ihr nicht. Nach einem eher unbefriedigendem Spaziergang an dem vermüllten Festlandufer des Sees, setzen wir am nächsten Morgen mit dem Boot über.
Bild
Bild
Steil sind die Hänge, klein die Unterkünfte. Und doch verlieben wir uns schon nach dem ersten Ausblick. In der Ferne türmen sich die Berge, deren Gipfel bei knapp 4000 Meter Seehöhe schon bald in sattem Weiß erstrahlen. Unser Zimmer hat wenig mehr als ein Bett und eine dicke Decke, die man umgeben von derart viel kaltem Wasser wohl mehr als nötig hat. Doch noch ist es warm, beinahe heiß. So wandern wir auf den nahegelegenen höchsten Punkt der Insel, der auch das einzige Ziel aller Besucher bleibt. Weiter dürfen wir nicht, obwohl noch immer genug Insel zum Erkunden übrig wäre. Doch haben sich die restlichen Dörfer gegen eine Kommerzialisierung ihres Idylls ausgesprochen und auf ein Ausbleiben des Tourismus im östlichen Teil der Insel bestanden. Wer kann es ihnen verdenken. Gerade weil Besucher erheblich mehr Ertrag versprechen, als es ihre Bergbauernexistenz jemals könnte, ist ihr Entscheidung mehr als bewundernswert.
Bild
In einem kleinen Lokal rasten wir und genießen die Sicht. Nur wenige Orte auf unserer bisherigen Reise laden derart zum Verweilen und Innehalten ein. Die Getränke bringt uns ein kleiner Junge, der nicht erst seit gestern einer gewerblichen Tätigkeit nachgeht. Eine Frau, die möglicherweise sogar seine Mutter ist, kocht in der Küche und schaut ab und an nach dem rechten. Gern würden wir ihn für seine Aufmerksamkeit loben, denn was er macht, das macht er besser, als so mancher erwachsener Kollege in unserer Wahlheimat. Doch natürlich fühlen wir uns unbehaglich, im Wissen, dass seine Arbeit mit einem Mangel an Kindsein erkauft ist. Kinderarbeit ist noch immer allgegenwärtig in der Mehrheit aller Länder, doch nur in Bolivien steht sie offiziell auf einer rechtlichen Basis. Zur Durchsetzung der Rechte und Interessen wurde sogar ein eigenes Gesetz erlassen und eine Kindergewerkschaft gegründet, der eine achtzehnjährige Jurastudentin vorsteht. In einem Interview erklärt sie die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes und weswegen sie die Unicef mit ihrer Verweigerungshaltung eher als Gegner betrachtet. Erst mit der Aufklärung über fundamentale Arbeiterrechte, die Kopplung an den Besuch einer Schule und die Staffelung der von Kindern üblicherweise ausgeübten Tätigkeiten an die Härte der Arbeit, hätten Minderjährige erstmals eine Stimme erhalten. Die meisten der Fragen, die sie zu bearbeiten hätte, würden von Kindern gestellt, die arbeiten wollen, um die Familie zu unterstützen - einfach weil das der Lebensrealität im Land entspräche. Auch lernten Kinder nun, welche Arbeiten von ihnen verlangt werden dürften, wieviel Lohn sie dafür mindestens zu erhalten hätten und an wen sie sich in Missbrauchsfällen zu wenden hätten. Nachvollziehbar und doch unvereinbar mit unserer idealverklärten Vorstellung von Kindeswohl.
Bild
Bild
Erst spät fährt unser Bus weiter in die Hauptstadt La Paz. In der wollen wir unter keinen Umständen bleiben, weshalb wir auf die direkte Weiterfahrt bestehen. Es kostet uns einiges an Organisation und doch bekommen wir, was wir wollen. La Paz stellen wir uns als verpestetes Moloch vor, als eine weitere Stadt, die für uns wenig mehr als Enttäuschung und Mitleid bereithalten könnte. All diejenigen, denen der Ruf der Stadt noch immer nicht Grund genug ist, sich ihr zu entsagen, berichten, dass sie zumindest schöner als Lima sei. Na, wenn das nichts heißt. So warten wir auf unseren ersten Bus, der seine obligatorische Stunde zu spät kommt. Die Sonne geht gerade unter, als wir starten. Irgendwo in weiter Ferne, verschwindet die Sonne hinter den Bergen und taucht die Landschaft in ein beinahe hypnotisches Licht. Es bleibt gerade hell genug, um erahnen zu können, welche Aussichten wir bei einer Tagfahrt hätten genießen können. Es ist schon schwarze Nacht, als er vor der Fähre hält. Diese ist nachwievor notwendig, da es keine durchgängige Landverbindung von der bolivianischen West- zur Ostseite gibt. Das Übersetzen im Bus auf wackeligem Holzfloß will man uns nicht zumuten, weswegen wir aussteigen und auf ein etwas sichereres Gefährt ausweichen müssen. Auch der Bus schafft es übers Wasser, so erreichen wir kaum zwei Stunden später die Hauptstadt. Von der Ferne wirkt sie schlicht beeindruckend. Von Abermillionen Glühlampen nur spärlich beschienen, gleicht sie einem Meer aus schummrigen Lichtern. Ich fühle mich spontan an den Besuch der neuseeländischen Glühwürmchenhöhlen erinnert. Die andere Seite des riesigen Kessels verschwindet still im schwarzen Nichts der umliegenden Berge. Wenn wir tagsüber den gleichen Effekt für Herz und Auge zu erwarten hätten, würden wir bleiben.
Bild
Im Terminal ist man auf uns vorbereitet. Die Karten für die Weiterfahrt hatte man uns auf Anruf zurückgelegt, nachdem wir uns partout geweigert hatten im Voraus für einen Bus zu zahlen, von dem wir nicht wissen, ob wir ihn noch bekommen. Jetzt fahren gleich zwei der gleichen Company zur selben Zeit, stehen nebeneinander und niemand weiß, wo er einsteigen soll. Der Verkäufer schreibt das Nummernschild des unsrigen auf die Tickets, was wenig bringt, bei dem Gedränge vor den Bussen. Er ist derartig im Stress, dass er vergisst den mit uns telefonisch vereinbarten Preis abzurufen und uns versehentlich den richtigen nennt. Busfahren in Bolivien sei immer Verhandlungssache hatte uns schon Phil in Peru nahegelegt. Kein Preis auf dem Ticket lasse viel Spielraum für günstige oder eben weniger günstige Fahrten. Natürlich sagen wir nichts und freuen uns über den unerwarteten Rabatt. Wenngleich wir wenig an Komfort erwarten, werden wir überrascht. Der Bus hält echte Betten für uns bereit - wir sind begeistert. Unser Sitznachbar verwickelt uns in ein Gespräch, von dem wir nur wenig behalten. Eigentlich wollen wir gar nicht reden. Das mag engstirnig erscheinen, ist aber sicher angemessen um diese Zeit. Wir bleiben höflich. Er bittet uns, auf sein Gepäck aufzupassen, während er für zwei Minuten auf der Bustoilette verschwindet. Niemand kann so doof sein und gerade jetzt stehlen wollen, während sich der Bus doch gerade erst in Bewegung gesetzt hat. Vielleicht ist sein Gebahren nur die Einleitung für das, was später folgt. Den Tagesrucksack unstehlbar zwischen unseren Sitzen eingeklemmt, schlafen wir ein.
Bild
Cochabamba gibt wenig her, aber jede andere Betrachtung wäre uns eine Überraschung gewesen. Und doch müssen wir schmunzeln, über unseren letzten Taxifahrer in Peru. Der hatte uns die Stadt, mit dem Charme einer landestypischen Industrieanlage, als die schönste Boliviens angepriesen. Ja, richtig gehört. Definitiv sei sie schöner als das doch so überschätzte Sucre, das es stets auf die ersten Seiten eines jeden Reiseplaners schafft. Eigentlich wissen wir es schon, aber wer sich auf das Urteil Einheimischer verlässt, der ist verlassen. Das mag hochnäsig klingen, aber Schönheit im Auge eines Durchschnittsamerikaners, wird dann doch immer einem gewissen Zweck untergeordnet, vermuten wir. Und vielleicht gibt es ja in der Stadt eine Mall oder einen besonders hippen Pizzaschuppen, der derartige Betrachtungen nachvollziehbar erscheinen lässt. Am Jesus kann es jedenfalls auch nicht liegen. Ohne Zweifel hat dieser, in Form einer riesigen Statue auf einem Berg inmitten der Stadt, einen touristischen Wert. Und doch macht er Cochabamba dann doch nicht besser. Dass es uns dennoch gefällt, mag am unerwartet schönen Hostel liegen. Doch zunächst sind wir unterwegs zu eben jenem Jesus. Er ist noch größer, als sein Vetter in Rio, wie Schilder seiner Abmessungen belegen. Und zu erreichen ist er über eine Seilbahn und einen steilen Treppenweg, der für Touristen aber keine ernsthafte Wahl darstellen sollte. Da könne man nur überfallen werden, ist die Botschaft, die nochmals auf Schilder unmittelbar vor den ersten Stufen gedruckt ist. So bleiben wir ein wenig, bis der Tag vergeht, gönnen uns ein Eis und starren in die Weite. Das bisschen Kredit, das die Stadt noch hatte verspielt sie am Abend. Erst treibt uns der Hunger und das Fehlen von echtem Essen in einen jener Pizzaschuppen, die wir wirklich schon nicht mehr sehen können und dann eskaliert die Stimmung völlig, als ich zurück im Hostel die Bilder der vergangenen Wochen auf die Festplatte überspielen will.
Bild
Diese ist nämlich nicht mehr an ihrem Platz. Die kleine Tasche, in der sie sich befinden sollte dagegen schon. Wir sind so geschockt, dass im ersten Moment noch nicht einmal Raum für jene Wut bleibt, die uns die nächsten Tage befällt. Es ist, als sei jemand gestorben, jemand bedeutendes. Xenia weint, bei mir dauerts auch nicht mehr lang. Schon der Versuch, der Rezeptionistin zu erklären, was passiert ist und ob sie in der Buscompany anrufen könne, endet in erstickter Stimme. Natürlich bitten wir sie auch, die eigenen Videoaufzeichnungen zu überprüfen, wohlwissend, dass sicher niemand der überschaubaren Belegschaft in unserem Zimmer war. Erst gestern hatten wir noch mit den Bildern gearbeitet, während wir in Copacabana auf unsere späte Weiterfahrt warteten und natürlich war die Festplatte danach in den Rucksack gewandert, den wir immer am Mann tragen. Jetzt kommt er, der Hass und die Wut über das eigene Versagen, die ein jeder hat, dem die Verrohung in diesem Teil der Welt und das Erwarten einer Schandtat überall zu jeder Zeit noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen ist. Der Langfinger, dem ich in Erwartung von Karma, eine der schlimmsten Krankheiten wünsche, die sich meine gerechtigkeitssüchtige Fantasie erdenken könnte, musste drei Taschen öffnen und schließen, um an die Festplatte zu kommen - dem einzigen Gegenstand von Wert, in seiner Reichweite. Der Rest der Tasche war ja unzugänglich eingeklemmt gewesen. Erst in den nächsten Tagen können wir ermessen, wieviel wir verloren haben. Zu unserem Glück haben wir noch alle jemals bearbeiteten Bilder im System und viele andere unserer Reisebilder. Auch auf der Cloud ist alles, was sich in den letzten drei Monaten unzureichender Übertragungsraten laden ließ. Und die in Peru gemachten Bilder hatte ich ja glücklicherweise noch nicht übertragen. Kolumbien ist größtenteils weg. Noch immer kocht in mir die Wut, wenn ich daran denke, was viele der Menschen hierzulande bereit sind, zu nehmen, zu zerstören, für etwas, das sie maximal für 30 oder 40 Dollar verkaufen können. Sicher hat er unsere Pässe gesucht, Bargeld oder die Kreditkarte und als er keines davon finden konnte, eben die Festplatte genommen. Es mag bittere Ironie sein, dass der Verlust unserer Festplatte seit China schon schwerer gewogen hätte, als der unserer Pässe. Letztere sind, unter großen Aufwand zwar, ersetzbar.
Bild
Bild
Bild
Südamerika – was soll man sagen oder warnen. Wer den Kontinent bereist, sollte bestenfalls gar nichts mitnehmen, außer seinen Kleidern oder seiner Zahnbürste. Bolivien ist abseits der Hauptstadt, trotz allgegenwärtiger Kriminalität, ein im Vergleich zu seinen Nachbarländern eher sicheres Reiseland, heißt es. Und doch ist Diebstahl eben alltäglich. All die Rafinessen und Wege kann sich ein normal geschulter, mitteleuropäischer Geist gar nicht ersinnen. Und was wir nicht alles an Geschichten erlebt oder gehört haben. In Valparaiso, Chile, treffen wir Nina, der in der Nacht der gesamte Rucksack gestohlen wurde. Ein dunkler Geselle hatte sich, unter dem Vorwand sich für eines der Betten zu interessieren, vom lebensgeschulten Personal durch den Gemeinschaftsbereich führen lassen und alle anwesenden Gäste auffällig gegrüßt. Das Bett nahm er nicht. Später in der Nacht, als alle Türen bereits geschlossen waren, kam er erneut und klopfte sich, mit der Entschuldigung seinen Schlüssel verloren zu haben in die Zimmer. Die Betrogenen dachten sich nichts dabei, hatten sie den Typen ja schon zuvor gesehen. Als Nina am nächsten Morgen aufwachte, war alles weg, außer ihrem Pyjama. Ihre Passtasche hatte sie zum Glück unter ihr Kopfkissen gelegt - ein an sich ebenso hohes Risiko. In Puerto Natales unterhalten wir uns mit Stefanie. Ihr wurde die Passtasche gestohlen. Alles weg! Nach einer langen Weile, die sie damit verbrachte in einem bürokratiesüchtigen aber organisationsmüden Land alle Dokumente neu zu besorgen, erhielt sie eine Nachricht von einem schlauen Gesellen, der ihren Pass auf einer einschlägigen Onlineplattform entdeckt hatte. Was für eine Leistung! Als sie die Polizei auf eben jene Plattform aufmerksam machen wollte, wo seltsamerweise neben Pässen auch gebrauchte Handys, Uhren und Kameras, allesamt gebraucht, gehandelt wurden, erklärte diese ihr, dass man da nichts machen könne. Sie unternahm noch nicht einmal den Versuch, mit dem Verkäufer in Kontakt zu treten, denn so einiges hätte der wohl zu gestehen gehabt. Noch mehr Geschichten fielen uns ein, doch sollten derlei Beispiele genügen. Am Ende ist es, so anklagend wie verletzend, eine Kultur- und vielleicht sogar eine Religionsfrage. In Asien sind die Menschen ärmer, vor Diebstahl wird gewarnt, doch selbst in Indien, kam uns nichts zu Ohren. Ein Armutszeugnis, oder gar ein Omen. Südamerika.
Bild
Klar verlängern wir, obwohl wir eigentlich morgen schon weiter wollen. Ein bisschen Hoffnung bleibt ja noch, auch wenn wir uns wehren, uns daran zu klammern. Die Company kann natürlich nichts finden, denn die Kameras waren defekt. Am Ende war es klar. Zwar sind die Tickets personalisiert, wie überall sonst auch, aber was nützt es bei einer Sicherheitsausstattung, die allerhöchstens Zierde ist. Die Rezeptionistin, eine junge Brasilianerin, kann es verstehen. Sie selbst wurde schon drei oder viermal überfallen oder bestohlen, so genau wisse sie es nicht mehr. Dabei ist sie selbst gerade anderthalb Monate in der Stadt. Es wird auch ihr alles zuviel, denn eigentlich will sie weiter. Sie weint, als sie uns davon erzählt. Wir beschließen direkt nach Sucre zu fahren, wo Manon und Thomas abermals auf uns warten. Eigentlich war Samaipata eingeplant, Hippieenklave, Ausgangspunkt für einen Nationalpark und einen Ganztagsbusritt entfernt, aber gerade ist uns eher nach so wenig Bolivien, wie möglich. Wir lernen eine französische Familie kennen, die wie wir mit ihren beiden Kindern auf Weltreise ist. Was für ein Projekt. Auch sie wollen weiter nach Sucre. So viel mehr erhoffen wir uns alle von diesem Ort. Heute allerdings fährt wohl kein Bus, zumindest nicht am Tag, den es ist Feiertag. Da wird nicht gearbeitet und nicht gefahren, per Gesetz. Das Leben steht. Mit Olivier laufen wir zur Busstation um zu fragen, ob denn vielleicht doch etwas fährt, heute abend oder nacht. Im Hostel wusste es keiner. Und zu dritt fühlen wir uns sicherer. Es ist viel los im Zentrum. Auf den Straßen spielt man Fußball, fährt Fahrrad oder Rollschuh, isst Eis, oder schaut einfach nur, wie die andern sich vergnügen. Schon aus der Ferne, sehen wir die Wartenden, die wie wir heute noch weiter wollen und auf den ersten Bus warten. Dicht an dicht sitzen sie an die Zäune gelehnt auf Decken und campieren in der Hitze. Das Terminal selbst bleibt derweil verschlossen, aber irgendetwas wird schon fahren, das wissen wir jetzt. Wir beschließen einfach 19 Uhr wiederzukommen und einfach mal zu schauen.
Als wir wiederkommen landen wir im ganz normalen Wahnsinn. Es ist ein Chaos, in dem wir uns zu Olivier und Karen durchkämpfen. Die beiden haben schon zwei Karten für uns reserviert, die wir nun noch bezahlen müssen. Selbst dafür stehen wir an. Im Wartebereich das gleiche Bild. Wer das Wort Überlastung erklären wollte, könnte es genau hier als Schaubeispiel. Doch wir schaffen es irgendwie, weil wir uns vorsorglich trennen und gegenseitig alarmieren wollen, wenn an anderer Stelle unser Bus ausgerufen wird. Einer bleibt beim abgegebenen Gepäck, denn das findet am ehesten zu seinem bestimmten Ziel, glauben wir. So kommt es auch. Auf engstem Raum rangieren die Doppeldecker und irgendwo dahinten fährt unserer. Durch dichte Abgaswolken hindurch, folgen wir unseren Taschen und sinken zufrieden in die Sitze. So erreichen wir müde am nächsten Morgen unser Ziel.
Bild
Das Taxi ist eine Erfahrung! Eine, die man zu fotografieren vergisst, weil sie so überraschend kommt. Vorn ist es ein Nissan, hinten irgendetwas anderes und innen wurde das Lenkrad versetzt. Ja richtig, ich sitze vor dem Tacho, der vor mir an der rechten Stelle scheint, weil der Fahrer am Angezeigten eh kein Interesse hat. Zumindest weniger, als ich. Darunter ein Loch, das einmal die Lenkstange beherbergte. Und genau da, wo sich auf Beifahrerseite üblicherweise ein Handschuhfach befindet, ragt jenes Lenkrad nun heraus. Der Scherz scheint zu funktionieren, wie so vieles auf dem Kontinent, das auf erste Sicht absurd erscheint. Und zwar hauptsächlich deshalb, weil ich mir in Bolivien erstens kein Gesetz vorstellen kann, das explizit das Lenkrad auf linker Seite vorschreibt und zweitens niemanden, der ein solches dann auch befolgt. Doch lernen auch wir niemals aus. Während wir durch die kopfsteingepflasterten Gassen düsen, erhaschen wir erste Blicke der Stadt, unweigerlich als die schönste des Landes und sogar als eine der schönsten unserer Reise in Erinnerung bleiben wird.
Bild
Auf dem Plaza treffen wir Thomas und Manon, die uns mit Trostschokolade empfangen. Denn neben vielen anderen Sehenswürdigkeiten beherbergt die Stadt ein paar der besten Chocolaterien Südamerikas. Inzwischen ist sie uns zu einem Luxus verkommen, dem wir viel zu selten fröhnen. Doch haben wir uns ebenso geschworen, all das an ausgelassenem Genuss in der Heimat nachzuholen, was wir uns seit Monaten schon verwehren. Drei Tage wollen wir bleiben, die auch zwei Wochen sein könnten um dann nach Tupiza weiterzureisen. Der eigentliche Höhepunkt einer jeden Bolivienreise liegt ja in Form der gewaltigen Salar d'Uyuni noch vor uns. Die beiden überlegen, ob sie davor noch in die berüchtigte Bergarbeiterstadt Potosi reisen sollen, aber die stellt für uns mit ihren zugänglichen Schächten keine ernsthafte Option dar. Höchstens wäre sie eine Bestätigung all jener Dinge, die wir uns für so ein Kaff in so einem Land erwarten. Unwürdige Arbeiten unter unwürdigen Bedingungen. Unter Enge, Schweiß, Lärm und der noch nicht einmal nur  latenten Gefahr heimischer Bergwerke. Die meisten Minen sind ungenehmigt und in sogenannten Kooperativen organisiert. Jeder ist sein eigener Chef, in der Hand allein das eigene Glück. Wer findet, gewinnt. Und doch wird niemand reich. Was wir von Altmann oder an Erfahrungsberichten im Internet lesen, reicht uns also an rein äußerlicher Betrachtung. Geringes Leben, viele Kinder, wenig Perspektive - das ist, was bleibt.
Bild
Bild
Bild
Die Stadt, selbst verfassungsgemäße Hauptstadt Boliviens, dagegen ist uns ein Fest. Eines, das so gar nicht in den Rest des Landes passen will. Denn was an natürlicher Vielfalt, an Schätzen und Wundern vorhanden ist, fehlt zumeist in der Architektur. Wie auch in einer Nation, deren Bevölkerung sich in den letzten 100 Jahren vervielfacht hat. Für das Auge bleibt da wenig. Ziegel, Wellblech und ein paar willkürlich an den Fassaden gezogene Kabel sind die wesentlichen Bestandteile einer jeden Stadt des Landes, glauben wir. Und doch hat Sucre ein regelrechtes Flair, eine Geschichte, die sich nicht mit permanentem Verzicht und Armut befasst. Am zweiten Tag besuchen wir den Nationalpalast, in dem uns eine gerade affektiert englischsprachige Dame durch die Hallen führt. Dort lernen wir, dass Bolivien nicht nur reich an Natur ist. Auch Freiheitskämpfer, allesamt Helden, hat das Land viele. Sogar eine Frau im Rang eines Offizieres ist darunter, erstaunlich in der mit Blut und Testosteron begossenen Geschichte des Kontinents. Einer der strahlendsten ist der Namensgeber: Simon Bolivar. Ob er stolz wäre, sähe er, was aus seinen Errungenschaften geworden ist, frage ich mich. Von Panama bis eben Bolivien befreite er sie alle vom Joch der bösen Besatzer. Tauschte eine Welt der sicheren Verbote gegen die Freiheit der eigenen Fehler. Es ist müßig zu philosophieren, ob es um die Länder unter spanischer Krone besser bestellt wäre. Doch das, was ist, kann hier, in Afrika oder Südasien nur schwerlich als Erfolg begriffen werden.
Bild
Auf den Kreuzungen tanzen die Zebras. Die kostümierten Protagonisten sind Teil einer landesweiten Initiative, die den einheimischen Fahrern, als auch Fußgängern die Funktion dieser weißen Streifen vor den Ampeln näher bringen wollen. Seit Peru sind mir die Autofahrer persönliche Opponenten. Denn wann immer es sich mit meiner Gesundheit und Zweifelsfalle auch Reaktion noch irgendwie vereinbaren lässt, laufe ich einfach so über die Überwege. Xenia versucht mich zu mäßigen und doch versteht sie meinen Zorn. Car is King in Bolivien. Zugegebenermaßen erfüllt es mich mit höchster Zufriedenheit, wenn die Fahrer dann urplötzlich in die Eisen gehen müssen - eher überrascht, als verärgert, dass es jemand wagt ihren Status auf den örtlichen Straßen infrage zu stellen. Dann schauen sie und lernen, genau wie die Einheimischen. Denn mitunter stehen die selbst minutenlang an einem Zebrastreifen, ohne auch nur einen passenden Moment für eine Überquerung zu erkennnen. Und genau da kommen die Verkehrserziehungszebras ins Spiel. Wild gestikulierend hüpfen und tanzen sie über die Gehwege, bieten den Omas ihr Geleit an, eskortieren die Kinder und stellen sich schützend vor die Fahrzeuge. Eine absurde Szene. Natürlich ist das Versuchsfeld noch etwas einfach: eine Ampel. Da müssen die Fahrer ja fast halten, zumindest länger als sonst. Und irgendwann, in ferner Zukunft kommt Phase 2. Dann nämlich, wenn alle Zebrastreifen ohne Ampel die gleiche Bedeutung erfahren, wie die mit. Wird das ein Fest. Wir jedenfalls hoffen, dass die hüpfenden Zebradarsteller dann immer noch hüpfen und winken.
Bild
Bild
Bild
Bild
Daneben ist die Stadt für eine weitere Geschichte bekannt, und zwar die ganz alte. In den Steinbrüchen der Umgebung fand man nicht nur viele Dinosaurierknochen, sondern auch deren über 5000 intakte Fußspuren. Die wollen wir uns anschauen. So wurde oberhalb des Abbaugebietes ein Museum angelegt, als auch ein Weg, über den die Besucher geführt in den Bruch hinabsteigen können. Dass die Spuren in einem Land wie Bolivien noch immer vorhanden sind, gleicht einem Wunder. Denn einerseits sind es gerade große internationale Firmen, die in Steinbrüchen wie diesem Dinosaurierspuren finden, allerdings haben sie auch nur wenig Interesse diese zu erhalten oder gar komplett freizulegen. Eher wären sie an der Vernichtung interessiert, bevor noch irgendeine Organisation oder gar der Staat selbst gewillt ist, diese zu schützen. Und doch haben die Spuren von Sucre überlebt, weil zufällig das Material in der gespurten Schicht zuviel Quartz enthält. Ehemals Teil eines Sumpfes bilden sie nun größte freigelegte Fußabdruckfläche dieser Erde. Unser Führer hat sich seinen Elan behalten. Mit einem Laserpointer markiert er die verschiedenen Laufwege und erklärt uns die dazugehörigen Gattungen. Es war wohl ein buntes Treiben am Wasserloch, genau wie wir es uns aus Afrika vorstellen, denn alle sind sie gekommen, an diesen Ort vor 70 Millionen Jahren. Die Großen wie die Kleinen, Pflanzenfresser als auch Fleischfresser. Gerne würde man nach noch mehr Spuren suchen und noch wichtiger, die gefundenen Abdrücke für die Ewigkeit konservieren, erklärt uns der begeisterte Führer und Paläontologe, aber dafür müsste die Spur zum Welterbe erklärt werden. Denn dem Land fehle das nötige Budget. Doch ab dem kommenden Jahr soll es wohl soweit sein. Wir freuen uns mit ihm.
Bild
Bild
Bild
Thomas und Manon sind doch nicht nach Potosi gereist und haben lieber einen weiteren, schönen Tag in Sucre verbracht. Gemeinsam warten wir am Busbahnhof auf unsere Weiterfahrt. Während wir stehen fallen mir die Plakate ins Auge, willkürlich an die Säulen geklebt mit immergleichem Muster. Ein Foto, ein Name, eine Bitte. Darunter die Nummer der Polizei. Und immer sind es Kinder, von ganz, ganz jung bis fast erwachsen. Es ist nicht das erste Mal, das wir sie sehen, denn sie hängen im ganzen Land. Gibt es eigentlich irgendetwas, von dem dieses Land verschont ist, fragt man sich unweigerlich. Was den so jung Entführten blüht, will man sich besser gar nicht ausmalen. Prostitution in den meisten Fällen in irgendeinem Ekelbunker an einer der namenlosen Fernverkehrsstraßen der Nachbarländer, im schlimmsten Fall die Organentnahme. Einmal über eine der vielen grünen Grenzen im Süden und Osten verbracht, bleiben sie unerreichbar. Nur die wenigsten Fälle werden aufgeklärt, wie sollte es anders sein. Was bleibt, sind die vielen Bilder als Teil einer kollektiven Erinnerung an ein kaum bezwingbares Unheil. Es mag Teil einer traurigen Realität sein, dass die Endstation dieser Kinder viel zu oft jene Orte sind, deren Bewohner selbst kinderreich und bildungsarm sind. Ob sie einen Zusammenhang sehen könnten, fragt Andreas Altmann die Bergarbeiter in seinem Buch, die kaum dass die Zeche ausgezahlt ist, scharenweise die nächstgelegenen Bordelle aufsuchen. Über dreißig seien es allein in Potosi, seinem Beispiel. Der Liebesdienst - kaum drei Euro. Nein, natürlich nicht, so die allgemeine Antwort. Die Arbeit sei hart, das Leben karg, die vielen Mäuler daheim hungrig und die Nächte kalt. Dass man da noch ein wenig Freude empfinden wolle, liege nahe. Eines Tages, so glauben wir, wird unsere Welt genau daran scheitern, an Dummheit, Lust und Fruchtbarkeit. Und der Ignoranz der Bessergestellten, die glauben, eine jede Gesellschaft müsse die selben Prozesse durchlaufen, die immergleichen Fehler machen dürfen, bis sie einst ihr Heil im Kommerz der anderen findet.
Bild
Und weil wir gerade dabei sind, all die Dinge aufzuzählen, die nicht nur in Bolivien, wohl aber auf dem ganzen Kontinent schieflaufen, nenne ich gern eine weitere Beobachtung. Es ist die Egalität von Gewalt, die wir nirgends sonst so wahrgenommen haben, wie hier. Ein Beispiel gefällig? Wie überall seit Mexiko fahren wir mit eher modernen als schlichten Überlandbussen, die allesamt mit durchgängiger Unterhaltung aufwarten. Überhaupt gibt es nur wenige Stunden des Tages, an denen mal nichts auf den Mattscheiben läuft. Der Zuschauerschnitt verläuft quer durch alle Altersgruppen. Und was kommt. Neben sehr seltenen, kotzblöden Kleinstkinderfilmen ausschließlich ausgeartete Gewalt. Geplatzte Schädel zur Mittagszeit, Geschrei und Geballer. Es rumst, es knallt. Gebannt starren die Menschen auf die vor ihren Augen zerstörten Leben, anstatt einfach mal aus dem Fenster. Denn es läuft die gute alte Geschichte von einem, der noch viel härter ist, viel schlimmer und der sein Herz wie seine Waffe stets am rechten Fleck trägt. Doch zuvor müssen wir erst erleben, wie fies die Fiesen sind und dass sie ihr unzweifelhaft folgendes Schicksal auch wirklich verdienen. Wir als auch die kleinen Kinder lernen, dass man Bösem nur mit gutgemeintem Bösen begegnen kann, bis die Bösen nicht mehr ganz so böse sind. Bevor wir es nicht mehr ertragen, kommen wir an.
Bild
Bild
Bild
Tupiza ist ein weiteres Kaff inmitten einer grandiosen Landschaft. Wer es nicht wüsste, würde den Ort, umschlungen von Sand, rotem Fels und dünner, staubiger Luft irgendwo im Wilden Westen vermuten. Und doch ist er Ausgangspunkt für die Salar d'Uyuni, genau wie Uyuni selbst, nur eben für die ambitionierteren Besucher. Manon und Thomas hatten beide darauf bestanden, die Salzwüste von eben hier zu beginnen. Und was sind wir ihnen dankbar. Schon am übernächsten Morgen beginnt unsere Tour. Platz ist für fünf, weshalb sich auch Erik aus Holland zu uns gesellt. Er ist entgegen all den gesprächigen, witzigen Holländern, die wir bisher kennengelernt hatten, ein eher stiller Geselle. Kaum ist das Gepäck auf dem Dach vertaut, legen wir los. Dreieinhalb entbehrungsreiche Tage stehen uns bevor, auf denen wir viel fahren und noch viel mehr sehen. Und immer sind wir auf über 3500 Metern unterwegs. Wenn auch nicht viele andere auf den verlassenen Pfaden an diesem Teil der Welt reisen, so sind wir bei weitem nicht allein. Vielmehr fahren wir in einem lockeren Konvoi, der sich stets am nächsten Haltepunkt wieder vereint. Das erhöhe unser aller Sicherheit, stellen wir zufrieden fest. Wie nötig das ist, erleben wir zwei Tage später, als eines der anderen Autos streikt. Die Höhe und die Wege machen dann nicht nur uns zu schaffen.
Bild
Bild
Bild
Carlo, unser Fahrer, führt Sauerstoffflaschen mit, wie er uns eingangs erklärt. Wann immer wir starken Kopfschmerz bekommen würden, sollten wir uns melden. Seine Erfahrung trügt ihn nicht. Das ständige Auf und Ab schafft jeden, der nicht daran gewohnt ist, allen voran aber jene, die vom flachen Süden des Kontinents angereist sind. So fahren wir über Stunden bis wir pünktlich zum Mittag an einer mondgleichen Landschaft halten. Ein strapazierter Begriff, denn nach Mond sieht von hier bis an die chilenische Küste so vieles aus. Die Felsen wollen nicht so recht in das Landschaftbild passen, denn über die Zeit wurde der Schlamm und Staub durch den Regen verfestigt und über die Hänge gespült. Man stelle sich also eine gigantische Kleckerburg vor, wie man sie als Kind noch am Strand freudig erschuf. Die Formationen werden der Umschreibung freilich nicht gerecht. Mutig stecken wir unsere Köpfe durch einen Spalt im Fels und starren fasziniert durch ein trichterförmiges Loch in den Himmel. Wie einen Vorhang hat das Wasser den Staub gewellt und dahinter alles Überflüssige entfernt. Der Anblick ist kaum zu begreifen.
Bild
Bild
Bild
Weiter fahren wir in die Höhe auf schottrigen Wegen. Ab und an springt aufgeschreckt ein Lama oder Nandu aus dem spärlichen Bewuchs. Da haben sie sich nun das unwirtlichste aller Habitate zum Leben ausgesucht und dennoch müssen sie sich gestört fühlen. Das Licht schwindet bereits. Breite, blaue Lagunen erstrecken sich vor Vulkanen in der Ferne. Abermals steigen wir aus, fotografieren und wollen  innehalten. Einfach nur begreifen, was es alles gibt und das wir so etwas sehen dürfen, doch die einsetzende Kälte treibt uns mit Macht zurück in unser Vehikel. Tiefrot verschwindet die Sonne hinter hohen, schwarzen Silhouetten, deren Schattenkegel das seichte Land bedecken.
Bild
Bild
Bild
Das Hotel bietet wenig und doch alles was wir brauchen. Selten fühlen sich einfache Betten, eng zusammengestellt, so zufriedenstellend an, wenn schon unmittelbar vor der Tür jedes Leben unmöglich scheint. Dennoch verabreden wir, uns kurz vor dem Schlafengehen, noch einmal hinauszuwagen. Der Himmel ist klar und die Aussicht auf die Sterne legendär. Kein Wunder, dass die NASA nur wenige Kilometer von hier, ihre vielen Teleskope platziert hat. Auch ich bin begeistert, obwohl es nicht viele Gebiete gibt, von denen ich so wenig verstehe, wie vom All, den Sternen und der Wissenschaft, die beide zu erklären versucht. Eigentlich ist ein Ort wie dieser ein Abbild dieser unbegreiflichen Welt außerhalb unserer Erde, in der es nichts gibt und gleichzeitig soviel davon.
Bild
Bild
Bild
Am nächsten Morgen trennen wir uns von unserem kleinen Konvoi, denn wir wollen Flamingos sehen, unbedingt. So schlagen wir eine alternative Route ein, die wesentlich mehr Erfolg auf Sichtung verspricht. Doch halten wir zunächst an heißen Quellen. Wir sollten vorsichtig sein, warnt Carlo. Auch wenn das warme Wasser ein Segen sei, so mache es doch manchem unangepassten Körper zu schaffen. 10 Minuten würden in der Regel reichen. Vor einer blauen Lagune genießen wir die Sicht aus dem Dampf. Zwei unerschrockene Vicunjas grasen in Sichtweite. Von Scheu keine Spur. Geradezu lächerlich erscheint uns, welch Zweifel wir hatten, die zotteligen Gesellen vor die Linse zu bekommen, so oft, wie wir sie nun sehen. Wir bräuchten sie nur etwa 20 Meter entfernt, vor einem blauen See und weißen Bergen im Hintergrund, hatten wir gespaßt. Hier bekommen wir, was wir wollen. Applaus.
Bild
Bild
Bild
Bild
Der Aufstieg folgt, bis wir auf beinahe 5000 Metern Höhe auf die versprochenen Geysire treffen. Was wir sehen, ist weniger Geysir mit Wasser und Fontäne, als vielmehr Zeugnis eines vulkanisch hochaktiven Abschnitts der Anden. Es kocht und blubbert, sprudelt und stinkt. Heißer Rauch, der sich durch kleinste Ritzen im Gestein zwängt, roter Schlamm, neongelber Sand. Ein tiefer Bass liegt im Boden, den wir fühlen können, wenn wir einfach nur stehen. Der Ort ist nicht weniger als ein Spielplatz für Erwachsene. Ich nehme große Schlammklumpen und werfe sie in den nächstgelegenen Krater. Der Druck steigt und entlädt sich in dicken Blasen, die sich durch die zähe Masse werfen. Ab und zu spritzt es. Ich freue mich.
Bild
Bild
Bild
Bild
Bild
Bild
Es folgt die rote Lagune, letzter Stopp vor unserer nächsten Rast. Auch sie ist groß und breit und bietet bereits exzellente Ausblicke auf die Flamingos, die nicht weniger rot nach Algen fischen. Eigentlich fressen sie ja kleine Krebse, wissen wir. Deren Pigmente haben einen direkten Einfluss auf die Röte ihres Gefieders. Doch in derartigen Höhen hat das Leben für einen Krebs nicht viel zu bieten. Daher sind unsere, bereits zahlreich angereisten Flamingos Vegetarier. In den nächsten Wochen kämen noch viel mehr, jetzt sind es nur einige Tausend. Langsam, desinteressiert, mit starrem Blick zu allem, nur nicht zu ihnen, schleichen wir uns an sie heran. Wenn sie merken, dass wir schon viel zu nah sind, als ein Flamingo für richtig hält, ist unser Spiel durchschaut. Dann bleibt uns nur erneutes Schleichen an anderer Stelle. Ein paar geduldlose Dumme wollen nicht schleichen und laufen mit eingeschalteter Kamera geradewegs auf sie zu. All unsere Schleicharbeit ist zunichte. Thomas, der mit seiner kleinen Kamera gar nicht nah genug rankommen kann, ist kurz vor der Eskalation. Verbittert warten wir, bis die Dummen von dannen ziehen. Derweil bleibt Erik im Auto, denn ihm ist nicht wohl. Über die Zeit haben wir uns derart an die Höhe gewöhnt, dass wir die Befindlichkeit der Unangepassten oft gar nicht mehr bemerken. Sicher, die Luft ist dünn, aber Kopfschmerz ohne Alkohol ist uns dennoch fremd. Die Nacht wird für ihn noch schlimmer. Er leidet und kann nicht schlafen, erfahren wir am nächsten Morgen. Nach dem Frühstück fragt er nach Sauerstoff, eine unrühmliche Erfahrung für eine lang geplante Tour.
Bild
Bild
Bild
In unserer Herberge für die Nacht hatte sich am späten Abend eine schweizer Reisegruppe eingenistet, die es sich nicht nehmen ließ, zu zehnt ganze sechs Autos, allesamt natürlich große Landcruiser, zu benötigen. Verbrauch im Gelände auf über 4000 Meter pro 100 Kilometer: etwa 30 Liter. Wir mögen sie nicht, denn sie verhalten sich offen großspurig. Ihre Personal mag sie wohl auch nicht. Eine Geschichte macht die Runde. Carlo erzählt uns, dass einer in der Gruppe irgendetwas vergessen hatte, natürlich irgendetwas Belangloses, das ich ob seiner Bedeutungslosigkeit längst verdrängt habe. Also musste ein Auto den ganzen Weg der letzten beiden Tage zurückfahren, holen was geholt werden musste und wiederkommen. Aber das sei eben inklusive, wenn man zahle, was die Gruppe zahlt. Preis der Tour für jeden Schweizer: 400 Euro pro Tag. Wir sind schockiert. Da soll noch einer sagen, dass das Geld die Menschen nicht verändere.
Bild
Bild
Bild
Tags darauf finden wir unsere Flamingos, genau, wie wir uns das vorgestellt hatten. Mit ihren Kollegen in der anderen Lagune haben sie sich nicht abgesprochen, denn wir dürfen ihnen wesentlich näher kommen. Wir knipsen uns in Ekstase, bis wir irgendwann genug Bilder für einen ganzen Bildband hätten. Carlo wartet in der Ferne, kann nicht verstehen, weshalb wir so einen Terz um ein paar Vögel im Wasser machen. Doch eigentlich fahren wir heute bereits unserem Endziel entgegen, der besagten Salzwüste. Sie allein ist größer als Niederbayern, reicht etwa 150 Kilometer von Anfang bis zum Ende. Doch zunächst nächtigen wir im Salzhotel, das beinahe komplett aus zersägten Blöcken des weißen Minerals erschaffen wurde. Früh sollten wir ins Bett gehen, denn der Morgen begänne noch früher für uns, werden wir gewarnt.
Bild
Bild
Bild
Es ist noch Dunkel, als wir ein letztes Mal unser Gefährt besteigen und noch einiges an Weg liegt vor uns. In der Ferne, die nur an wenigen Orten dieser Erde so fern ist, wie hier, zeigt sich das erste Licht. An einer Isla Inkahuasi genannten Insel sammeln sich die Fahrzeuge. Es gilt, den Sonnenaufgang zu erleben. Unerwartet steil ist der Aufstieg und tatsächlich drängt die Zeit. So steigen wir auf gewundenen Pfaden zwischen ikonischen Säulenkakteen hindurch, die jeweils bis zu 1200 Jahre alt sind. Schließlich stehen wir 100 Meter über der sich majestätisch ausbreitenden Ebene, die selbst so flach ist, wie ein Pfannenboden und blicken so weit, wie selten zuvor. Auf dem weißen Untergrund abseits der Insel ziehen sich bereits jene lächerlich langen Schatten, wie sie nur hier entstehen können. Ein zwei Meter großer Mensch, der eben jetzt zu ihren Füßen steht, kann einen 50 Meter langen Schatten werfen. Gerade fallen die ersten Strahlen über die fernen Gipfelgrate. Wo auch immer wir inzwischen diese Sonnenauf- oder untergangsmessen belächeln, so sehr sind sie hier angebracht. Erst jetzt versteht man die unglaubliche Weite dieses Ortes, von dem es ein Wunder scheint, dass es ihn überhaupt gibt. Wir bleiben, so lange wir können, denn dass wir wiederkommen, scheint unwahrscheinlich. Es ist schlicht unglaublich! Jetzt schon können wir behaupten, dass die Uyuni eines der größten Spektakel unserer doch so kleinen Leben ist.
Bild
Bild
Bild
Carlo hat inzwischen Frühstück gemacht. Noch ist es zum Sitzen im Schatten der Insel zu kalt, schon bald ist es zu heiß. Wandert die Sonne erst über einen kritischen Punkt, ist man ihr schutzlos ausgeliefert. Wir fahren in die Mitte der Wüste, um vor dem Hintergrund aus Nichts und Himmel die üblichen lustigen Bilder zu machen. Da jedweder Bezugspunkt fehlt, verschwinden die Relationen. Aus Klein wird groß, aus groß wird klein. Vorab hatten wir uns Anregungen im Netz geholt, die Bierflasche mitgenommen und den obligatorischen Dinosaurier gekauft. Die Möglichkeiten sind schlicht mannigfaltig. Auf Anweisung von Carlo hinter der Kamera, der mit Übung und Zeit einen guten Blick entwickelt hat, verwirklichen wir unsere Ideen, bevor wir von der inzwischen steilen Sonne gegart werden. Zuletzt fahren wir zum alten Salzhotel, einem Sammelpunkt, der eher traurig als einen Besuch wert ist.
Bild
Bild
Bild
Bild
Das Ende der Tour naht, genau wie unser Ende im Land selbst. Ein ehemaliger Verladebahnhof, der heute trister Zugfriedhof ist, markiert unseren Abschied von Carlo. Schön war es gewesen, gut seine Arbeit. Erik verschwindet ins Hotel. Er müsse sich ersteinmal auskurieren bevor er weiterreise, erklärt er. Wir suchen den Ticketschalter in einem Gewirr aus Verkaufsständen. Die Preise sind horrend, doch was wollen wir machen. Ein paar versiffte Hängengebliebene, die wohl irgendwann selbst Touristen waren, versprechen uns eine bessere Agentur und weisen uns dann doch genau den Weg, von dem wir gerade kommen. Wann man eigentlich den Punkt der eigenen Körperhygiene derart verpasst, dass man sie endgültig aufgibt, fragen wir uns, wann immer wir sie sehen. Kein Wunder, dass so viele sie und ihre Motive nicht ernst nehmen, die Hippies, die so einfach Zufriedenen. Doch vermutlich verläuft eben nur eine schmale Grenze zwischen Hippiesein und Hängenbleiben. Schon morgen sind wir in Chile. Auch diese Grenze verläuft unspektakulärer, als man sich für eine Staatsfehde erwarten würde. Dennoch  verlangt Bolivien von seinem küstenreichen Nachbar die Rückgabe der im Salpeterkrieg verlorenen Gebiete. Immerhin bedeutet er für das arme Land den so dringend benötigten Zugang zum Meer. Und gerade erst hat der Internationale Gerichtshof eine abermalige Beschwerde Boliviens abgelehnt. Verloren bleibt verloren. Unser Vorschlag wäre eine Vergemeinschaftung mit Peru, so wie es einst auch Bolivars Intention war. Es ginge dann wohl beiden etwas besser. Das Land jedenfalls bleibt für uns ein zwiespältiges Erlebnis, zwischen viel Licht und sehr viel Schatten. Ob wir es mögen, wissen wir nicht, nun da uns selbst das für uns Schlimmste wiederfahren ist. Und doch eines ist gewiss: allein die Natur und ganz speziell die unbegreifliche Salar d'Uyuni waren den Besuch allemal wert.
Bild
0 Kommentare



Hinterlasse eine Antwort.

    Archiv

    Januar 2019
    Dezember 2018
    November 2018
    Oktober 2018
    August 2018
    Juli 2018
    Juni 2018
    Mai 2018
    April 2018
    März 2018
    Februar 2018
    Januar 2018
    Dezember 2017
    November 2017
    Oktober 2017
    September 2017
    August 2017
    Juli 2017
    Juni 2017
    Mai 2017
    April 2017
    März 2017
    Februar 2017


    Bild


    RSS-Feed


    Datenschutzerklärung

Alles in der Welt ist nur für den da, der die Augen hat es zu sehen.

Community
Datenschutz
  • Reise
  • Weg
  • Länder
    • Neuseeland
    • Australien
    • Malaysia & Singapur
    • Thailand
    • Indonesien
    • Laos
    • Kambodscha
    • Vietnam
    • China
    • Nepal
  • Galerie
  • Notizen
  • Über uns
    • Planung
    • Ausstattung
    • Technik
    • Bücher
  • Kontakt