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Auf dem Weg um die Welt


​...und zu allem was dazwischen liegt

Dem Heiligen auf der Spur - von Amritsar nach Varanasi...

25/12/2017

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So früh am Morgen hängt der Dunst noch über Dalhousie, hat das triste graue Bergstädtchen noch trister, noch grauer gemacht. Es ist kalt, doch wir sitzen schon. Wir wollen weiter und schauen gespannt aus dem Busfenster. Der Kontrolleur lässt mit seinem Bart und Turban die Spannung auf Amritsar steigen, gibt er sich doch selbst unmissverständlich als stolzer Sikh zu erkennen. In aller Ruhe wartet er auf potenzielle Mitfahrende, jeder zusätzliche Rupie scheint sich da zu lohnen. Bis wir fahren, vergeht also noch ein Weilchen. Doch am Ende sagen wir den Bergen Lebewohl und setzen unsere Hoffnung in Rajasthan. Gemeinsam mit Viktoria wollen wir von Amritsar nach Jaisalmer und weiter nach Kajurao reisen. Ein ziemlicher Ritt für die letzten gut zwei Wochen in Indien, doch wohlmöglich das einzige Mittel, um uns aus dieser dauerhaften Enttäuschung zu lösen.
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Die Nacht ist sprichwörtlich zappenduster, eine lange Fahrt liegt hinter uns und ein richtig gutes Essen. Nun warten wir auf Vicki, deren Zug einfach nicht ankommen will. Zwei Stunden später war angepeilt, zwei Stunden später ist aber immer noch nicht spät genug. Unser Rikschafahrer, der uns das Versprechen abgenommen hatte, keinen seiner Kollegen für die Rückfahrt zu buchen, dreht bereits nervös seine Kreise auf dem Bahnhofsvorplatz. Dabei sollte er doch schon wissen, wie es hierzulande läuft. Den Zug selbst sehen wir nicht einfahren, nur die vielen Hundert Passagiere des Zuges, die typisch für den Zuspätgekommenen das Wegkommen kaum noch erwarten können und anschließend dem panischen Herdentrieb erliegen. Wie die Tiere drängen sie aneinander vorbei, stoßen sich mit ihrem Gepäck beiseite und rennen auf die Ausgänge zu. Gut möglich, dass wir in der gleichen Situation genauso aussehen, umso schöner sich nun in der Position des Beobachters zu wiederzufinden. Von Vicki selbst fehlt noch jede Spur, nicht dass sie in einem Parallelzug in einem anderen Amritsar angekommen ist. Gerade als wir zu zweifeln beginnen, taucht sie am Ende der Massen plötzlich auf. Überschwänglich fallen sie sich in die Arme und freuen sich über die frühe Wiedervereinigung so fern von der Heimat. Über die letzten Monate hatten Xenia und Vicki selbstverständlich Kontakt gehalten, sich gegenseitig Bericht erstattet und darüberhinaus den ein oder anderen Tip gesendet. Die gemeinsame Rückfahrt ist von der Freude des zuletzt Erlebten und seiner Berichterstattung geprägt, an die Planung der nächsten Tage und Wochen ist nun kaum zu denken. Das ist auch gut so. Wir fallen in die Betten und verabreden uns für den nächsten Tag.
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Amritsar ist nicht nur die Hauptstadt des Bundesstaates Punjab, sondern ebenso der Nabel der Welt für die knapp 30 Millionen Sikhs dieser Erde. Einst markierte sie eine wichtige Station auf der Great Trunk Road, die noch zu Zeiten Britisch Indiens vom Golf von Bengalen überland bis nach Kabul führte. Ihr heiligstes Gebäude ist der Goldene Tempel, der sich in der Mitte des quadratischen Nektarsees befindet, umgeben von einem weiß marmorierten Ensemble aus Tempel-, Herbergs- und Lehrgebäuden. Nach einem unerwartet guten Frühstück in unserem neuen Stammlokal machen wir uns auf den Weg das berühmte Bauwerk zu finden. Während sich auch Amritsar optisch nicht wesentlich von dem Gros indischer Großstädte unterscheidet, ist der Stadtkern in und um den Goldenen Tempel auffällig sauber gehalten. Dabei ist die Stadt selbst fest in der Hand der Sikhs, die beinahe alle Geschäfte führen und aüßerlich unübersehbar sind. Die Männer fallen dabei nicht nur wegen ihrer Bärte und Turbane auf, vielmehr sind sie um einiges größer und hellhäutiger als der typische Inder. Als wären wir auf Fotosafari, halten wir auf dem Weg zum Tempel fortlaufend Ausschau nach den besten Exemplaren, den buntesten Turbanen, den rauschigsten Bärten. Der Tempel selbst ist dank der beiden großen Kuppeldome schnell gefunden. Wir geben unsere Schuhe ab und dürfen nun endlich ins innere dieses besonderen Ortes.
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Der Sikhismus, wie die Religion offiziell genannt wird ist weniger eine Sekte als vielmehr eine Best of Religion, die sich hauptsächlich aus den drei großen Weltreligionen Asiens nährte. So zB den monotheistischen Ansatz des Islam, den gestalts- und geschlechtslosen Gott und den Respekt vor der Schöpfung. Fleisch darf bei Ihnen keinesfalls rituell geschlachtet werden, da der Schlachtung generell nichts heiliges innewohnt und sie schlicht die Befriedigung eines Bedürfnisses darstellt. So sind Sikhs, sofern sie friedlich sind, Vegetarier, Gastfreunde und Abstinenzler. Und vorallem Nichtraucher! Entschieden lehnen sie den religiösen Aufruf zur Askese ab, den sie schlicht als heuchlerisch empfinden. Viel eher ist ein guter Sikh versucht auch ein guter Bauer, ein guter Händler oder ein guter Beamter zu sein, wie es in einer Glaubensschrift heißt. Uns scheint es bei näherer Betrachtung eine gute Religion zu sein, die niemanden in starre Strukturen zwingt und die doch unter den inzwischen weltweit verstreuten Anhängern außerordentlich beliebt scheint. Vielleicht sind es aber auch schlicht die bunten Turbane...
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Schlicht überwältigt sind wir, als wir durch die Eingangstore ins Innere der Tempelanlage gelangen. Helles Licht wird sowohl vom quadratischen Nektarsee als auch von den umgebenden Gebäuden reflektiert. In seiner Mitte strahlt golden der Harmandir Sahib, auch Goldener Tempel genannt. Es ist Wochenende, weswegen sich umso mehr Gläubige und Reisende eingefunden haben. In bedächtig langsamen Gang umrunden sie den See und werden ihrerseits von den vielen Sitzenden beobachtet. Ob Pilger oder nicht, hier scheint ein jeder seinen Platz zu finden, um die andächtige Stimmung für die stets neu Hinzukommenden zu bereichern. Ein junger Glaubensbruder scheint es mit der Heiligkeit des Tempels ein wenig zu genau zu nehmen und versucht uns mit unbeholfenen Bewegungen in einen der vier Ein- und Ausgänge zu gestikulieren. Kurz bin ich versucht, ihn einfach ins Wasser zu schmeißen, als ein älterer Sikh wiederum ihm zu erklären scheint, dass ein jeder Mensch, ob Sikh oder nicht, an diesem Ort Gast sei. Entschuldigend für den jugendlichen Eifer seines Glaubensbruders schaut uns der Sikh freundlich ins Gesicht, mustert uns wohlwollend während sein Kollege belehrt von dannen zieht. Wir erliegen der Magie des Ortes und schießen uns in fotografische Ekstase. Vielmehr wollen wir noch zweimal wiederkommen, einmal am Abend, einmal am frühesten Morgen, wenn die Besucher der umliegenden Herbergen hoffentlich ihr morgentliches Bad nehmen würden.
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Kaum haben wir den Tempel verlassen, laufen wir in die Arme der unzähligen Marktschreier, welche die  unwissenden Touristen auf die zweite große Attraktion Amritsars aufmerksam machen wollen: die pakistanische Grenze. Ein Spektakel, dass inzwischen weit über die Grenzen Indiens und seines ungeliebten Bruders Bekanntheit erlangt hat. In diversen Dokumentationen und Berichten haben wir uns darüber schon vorab ein Bild machen können und wollen es auf keinen Fall missen. Nun locken sie mit unschlagbaren Angeboten, unterbieten sich, ohne sich jedoch gegenseitig den Sicherheitsabstand zur Gewinnzone zu verletzen. Den ganzen Tag über haben wir schon mehr oder minder im Vorbeigehen die Einstiegspreise abgeklopft und steuern nun auf den Vielversprechendsten zu. Nach dennoch zäher Verhandlung erhalten wir einen Sitz in einem Tuktuk, das uns zur Grenze bringen und wieder abholen soll, ohne dass wir vorab erfahren, wieviele andere Passagiere so ein Multifunktionstuktuk zu tragen im Stande ist. Dankbarerweise erfahren wir noch, dass wir ausschließlich mithilfe unseres Passes, der uns unter all den Indern als Ausländer kennzeichnet, bessere Plätze ergattern könnten. Schließlich stoßen wir zu der restlichen Gruppe Wartender, die inklusive Kleinstkind und Fahrer auf gigantische 14 Personen angewachsen ist. In einem abenteuerlichen Verfahren werden wir irgendwie verstaut und müssen jetzt nur noch die einstündige Fahrt über den Highway überstehen. Noch am Anfang unserer Reise hätte uns die Enge und allgegenwärtige Unsicherheit vermutlich zum Aussteigen bewegt, inzwischen jedoch bestimmt anstatt hinderlicher Vernunft, alternativloses Vertrauen die Maxime unseres Handelns.
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Der Fahrer hält an einem mehrere Fußballfelder großen Haltepunkt, da es für ihn kein Weiterkommen mehr gibt. Die eigentliche Grenze liegt da noch etwa zwei Kilometer entfernt, auf der sich mehrere Warte und Haltepunkte verteilen. Gemacht sind sie hauptsächlich für den Gütervekehr. Auch wenn der Grenzübergang selbst der Mehrheit beider Länder als verzichtbar erscheinen mag, ist sie dennoch für die im Umkreis Lebenden unerlässlich. Dies mag Grund genug sein, weshalb man trotz aller zur Schau gestellten Feindseeligkeit diesen einen Übergang betreibt, während sich an der Line of Control am Hindukusch die Soldaten fortwährend in die Mündungen schauen. Auf teils über 6000 Meter hohen Pässen stehen sie sich in einem lebensfeindlichen Umfeld gegenüber. So heißt es, dass allein die Höhe und Kälte mehr Soldatenleben fordert, als deren Gewehre. Ein offensichtlich vermeidbarer Konflikt, ausgelöst durch eine unvertretbare, durch individuelle Interessen geleitete Grenzziehung nach dem Abrücken der Engländer, die einerseits Muslime von Muslimen trennt und große Teile von ihnen in einem ihr feindlich gesinnten Umfeld beließ. Letztendlich hängen noch immer viele Konflikte, viele Gräueltaten der Region, angefangen vom niemals endenden Kaschmirkrieg bishin zum ersten und zweiten Afghanistankrieg an Fehlentscheidungen der letzten 70 Jahre. Auch wenn das heutige Indien große Teile seines aktuellen Herrschaftsgebietes an Pakistan, Nepal und Bangladesch abtreten müsste, hätten sich die Besatzer im Klaren darüber sein müssen, dass Freiheits- und Territorialkämpfe im Umfeld einer so ungebildeten Gesellschaft nur mit blutigen Konflikten gelöst werden würden. Denn arme Hindus und Muslime lassen sich nicht friedlich einen, schon gar nicht vor 70 Jahren. Und erst recht nicht unter Regierungen, welche strikte Sekularität ablehnen. Inzwischen findet eine Annäherung beider Staaten statt, die aber eher von medialem Interesse geleitet scheint und daher wenig Rückhalt in den großteils intoleranten Gesellschaften genießt. Ein trügerischer Frieden.
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Nach langem Warten auf guten Plätzen beginnt das Spektakel. Auf pakistanischer Seite hüpft schon ein einbeiniger Patriot unter tosendem Applaus in rekordverdächtiger Ausdauer ohne Krücken, während sich auf der indischen Seite der Grenze ganze Schülerscharen zum Tanzen eingefunden haben. Die Kulisse ist ohrenbetäubend. Uns scheint, dass die freudig getanzte, teils unwirkliche Liebe zum Vaterland der einzige einende Faktor einer ansonsten offensichtlich inhomogenen Gesellschaft ist. Nun beziehen gleichzeitig Sicherheitssoldaten die 10 Meter breiten Tore des Übergangs, marschieren ungebremst und halten doch wenige Millimeter vor der Linie. Keiner zu früh, keiner zu langsam. Böse schauen sie sich durch ihre Sonnenbrillen in die Augen, riechen den Atem des jeweils anderen. Vermutlich kontrollieren sie, dass im allgemeinen Tanzgewühl, keiner versehentlich auf die andere Seite tanzt. Derweil werden die letzten Grenzgänger über die Grenze geleitet, ihre Kofferträger zu beiden Seiten stellen das Gepäck auf die Linie, geradeso, dass ihr Gegenpart sie greifen kann. Nun wird die Grenze vorerst geschlossen, der Einbeinige rückt ab, genauso das Schülertanzbatallion auf indischer Seite. Dabei hat jede Seite auch ihr eigenes Gitter, denn der Zugriff darüber darf keiner Partei einseitig gewährt werden. Die Musik verstummt, die Trompeter beziehen Stellung. Ein Stadioneinheizer mahnt die Zuschauer zum kontrollierten Gröhlen, sofern Anlass durch gegeben wird. Man wähnt sich derweil in einem Sportevent.
Nun rücken die wütenden Tanzsoldaten an, rasch und mit geradezu lächerlich hohem Ausfallschritt. Ziel ist es wohl, sich selbst an den auffällig großen Fächer des Baretts zu treten. Dies tun sie natürlich auf beiden Seiten der Grenze absolut synchron. Eine beeindruckende Choreographie, die im Laufe der Jahre beinahe perfektioniert wurde. Wenn ein Tanzsoldat seinen Platz um das Tor bezogen hat, hält er abrupt, stampft wütend auf den Boden, einmal, zweimal und schaut danach andächtig in die Menge, als hätte er gerade eine unbequeme Wahrheit ausgesprochen. Danach richtet er sich das Barett, langsam, stolz. Exakt! Danach schaut er wieder, als sei ihm dies die wichtigste Geste gewesen. Überhaupt erinnert das vorgetragene Verhalten beider Parteien an balzende Hähne. Bis alle Soldaten ihren Platz gefunden haben, vergeht ein Weilchen. Nun werden die Tore wieder geöffent. Die Obertanzsoldaten rücken an. Noch böser und zu allem bereit. So abschätzig muss man sich ersteinmal ansehen können, denken wir. Doch damit nicht genug. Wütend, trotzig, richtig böse, tanzen, marschieren und stampfen sie aneinander vorbei, ohne nur einen Fuß in das Hoheitsgebiet des jeweils anderen zu setzen. Die Mengen gröhlen ekstatisch, zugeteilte Aufpasser mahnen derweil zur Raison. Mit bösem Blick, versteht sich. Wir fühlen uns bestens unterhalten, wie auch die vielen übrigen Reisenden, die das vorgetragene Ritual mit Amusement erfasst. Das Einholen der Flaggen leitet das Ende der Zeremonie ein. Fortwährend ertönt das Clairon der Trompeten, während andächtig und langsam und absolut synchron die Flaggen eingeholt und gefaltet werden. Nur das Wickeln der Schnüre scheint zum Wettstreit unter den beteiligten Komödianten zu werden. Erster, fertig. Ein letzter abfälliger Blick, und Rums fliegen die Tore! Schluss, Aus...
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Die Sonne verschwindet im Dunst, den wir unwissend in der Industrie Lahores und Amritsars verorten. Der vermutete Smog ist so dicht, dass wir uns lieber nicht vorstellen wollen, was wir da  einatmen. Nur riechen wir nichts, vielleicht sind wir auch schon komplett unempfindlich gegenüber den Umweltgiften des Subkontinents geworden. Erst später sollten wir erfahren, dass der Winter in Nordwestindien eben genauso ausschaut. Als wir wieder in Amritsar ankommen ist dunkle Nacht. Wir freuen uns auf eins der besten Restaurants unserer Indienreise, in dem wir bisher jede mögliche Mahlzeit eingenommen haben. Ob wir nocheinmal in den Tempel wollen, überlegen wir während wir genießen. Wir raffen uns auf, zum Glück. Im Schein der tausend Lichter erlangt der Harmandir Sahib erst seine volle Schönheit. Es glitzert und glimmt aus jedem Winkel. Ein amerikanischer Sikh spricht uns an, fragt nach unseren Gefühlen an solch einem Ort. Westlicher Smalltalk, ziellos und dennoch zu unser aller Vergnügen. Er lebe nun schon seit dreißig Jahren in den Staaten, folgte dem Geschäft und seinen Möglichkeiten und kehre nun dennoch so oft es ihm die Zeit erlaube wieder, an diesen Ort. Indien selbst würde von Jahr zu Jahr hässlicher, wenngleich es den Indern selbst wesentlich besser ginge als noch zur Zeit seiner Emigration. Doch der Tempel bestünde, würde ausgebaut und gehegt, wie man es sich von einem solchen Bauwerk erwarte. Doch abseits?! Er schüttelt mit dem Kopf. Nein, leben könne er hier nicht mehr auch wenn es noch viele seiner Verwandten tun. Die Städte wachsen ungelenkt, Geschwüren gleich, schwarz, grau, braun in die Landschaft. Die Armen blieben arm, auch wenn sie nicht mehr hungerten. Aber so sei es halt hierzulande, darüber zu klagen, mache es auch nicht besser.
Fortwährend fallen uns die großen Werbetafeln am Wegesrand auf, die mit der Möglichkeit eines vorgeblichen Auslandsstudiums die Flucht aus Indien anpreisen. England, Kanada, Australien, Japan – vorrangig scheint es nur eine Frage der persönlichen Präferenz zu sein, wohin die Reise gehen soll. Neunzigprozentige Erfolgsquoten werden versprochen. Für uns wie so oft nur ein weiteres indisches Märchen, Luftschlösser, allein gebaut aus der Aussicht auf ein anderes Leben. Persönlich ist uns in Australien und Neuseeland die pure Angst vor den alles überrennenden Indern und ihren angeblichen Fähigkeiten begegnet. Immer geschickter werden dortige Stellenausschreibungen von vornherein so verfasst, dass sich möglichst wenige Inder bewerben. Aussichtslos, wie uns auch Vicki berichtet. Auf eine Ausschreibung auf eine Stelle als Koch melden sich soviele Inder mit ihren ‚Messerfertigkeiten‘ und der Hoffnung auf ein Arbeitsvisum, dass potentielle Stellenangebote nun doch nicht mehr ausgeschrieben werden und die Arbeitgeber eher auf den persönlichen Kontakt vor Ort hoffen. Das Auslandsstudium dient den Ausreisewilligen demnach überhaupt der Möglichkeit, irgendwie in die beworbenen Länder einreisen zu dürfen. Dann gilt es, sich solange mit Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten, bis man sich irgendwann ein Bleiberecht erwirkt. Darüber unterrichten die tausenden Werbetafeln freilich nicht. Generell bezweifeln wir, dass jedes Jahr überhaupt derart viele Indern die Ausreise in eines dieser Länder genehmigt werden. Logisch, bei der Größe der Bevölkerung. Denn auch, wenn diese Option nur den Allerwenigsten zugute kommt, scheint allein die Nachfrage das Angebot weit zu übersteigen. Etwas, das die Wirtschaftsfluchtsindustrie im Land selbstverständlich verschweigt. Bei allem Verständnis für die Lage der Interessenten. Überhaupt scheinen sich nur wenige Inder der frappierenden Überbevölkerung ihres Landes und dem resultierenden Bevölkerungsdruck bewusst zu sein. Heirat heißt den meisten immernoch Kind, möglichst noch im ersten Ehejahr; und deren am liebsten 3 oder 4. Im zweiten Jahr noch kinderlos zu sein, bedeutet allgemein bereits eine familiäre Tragödie, auf die unweigerlich unbequeme Fragen und ungewollte Ratschläge folgen, wie uns ein junges Paar Allgemeinärzte berichtet. Für sie kämen nur zwei Kinder in Frage und Ausreise stellt für beide keine Option dar. Denn sie haben, wie sie erklären, wie viele andere bei einer höheren Ausbildung inzwischen sehr gute Möglichkeiten im Land.
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Wir fahren mit dem Bus nach Bathinda, ein namenloses Nest mit Festung, um die ausgebuchten, umständlich fahrenden Zügen zu vermeiden. Die Fahrt wird mal wieder zur Tortur bei einem Fahrer, der Löcher und Bremshügel als Chance versteht, den alten Bus in einen kurzen Moment der Schwerelosigkeit zu versetzen. Der Aufprall ist dafür umso härter, unsere Lendenwirbel zählen bereits mit. Er scheint uns ein wahrer Optimist zu sein, der uns zeigen will, wozu sein olles Vehikel noch im Stande ist. Die Weiterfahrt im Bummelzug am nächsten Morgen, der sich trotz zwei Stunden Verspätung auch noch konsequent bis nach Bikaner durchbummelt, gerät dagegen um einiges bequemer. Die Stadt selbst war eigentlich auch nur als Zwischenstation auf dem Weg nach Jodhpur eingeplant, ist dafür aber überraschend schön. Ursprünglich eine alte Karawanenstadt auf dem Weg durch die Wüste Thar, heute eher bekannt durch die Kamelregimenter der indischen Armee samt eigener Züchtung und den nahegelegenen Rattentempel.
Wir nächtigen im Wohnhaus des einstigen Premierministers der Herrscherfamilie, der sein zentrales Anwesen fortan unter seinen Söhnen weitervererbte und besichtigen tags darauf das Junagarh Fort, eines der vielen Forts in und um Rajasthan. Es ist auffällig gut gepflegt und zeigt neben den Besitztümern des Maharadschas auch die extrem aufwendig gestalteten Privatgemächer seines Harems. Es bietet nach dem Amber Fort in Jaipur wenig Neues und ist doch nicht minder beeindruckend. So durchlaufen wir die engen Gänge und warten die vielen kleinen Touristengruppen ab, die sich völlig überraschend soweit abseits der Haupttouristenroute eingefunden haben. Die einstigen Rüstkammern seiner Armeen ließ der Maharadscha nach seiner Abdankung mit seinen vielen Habseligkeiten auffüllen. Darunter findet sich ein altes Flugzeug der britischen Besatzer, viel Klimbim und ein reich gefüllter Trophäenraum. Wie so viele andere Herrscher ihrer Zeit trug der Maharadscha sein Bestes dazu bei, die indische Großtierwelt nachhaltig zu dezimieren und auf beschämende Bestandszahlen herunterzuschießen.
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Unerwartet verlängern wir in Bikaner, beim freundlichen Enkel des Premier-ministers und seiner nicht minder freundlichen Frau. In den Erfolg geboren, sich eine höhere Ausbildung leisten zu können, erscheinen sie uns aufgrund ihrer Welt- und Alltagsbildung, ihrer Westlichkeit, als angenehme Gastgeber und Gesprächspartner. So buchen wir schon in Bikaner die Kamelsafari, die wir uns ursprünglich für Jaisalmer vorgemerkt hatten. Ein wenig günstiger sei sie hier, traditioneller, und die Wüste schöner. Wir erliegen den Versprechungen und wandern auf den Rücken der Kamele halbtags durch die Wüste. Diese selbst ist trocken genug um Wüste zu sein und entspricht dennoch nicht dem Bild einer solchen. Karge Bäume und und ewig trockene Gräser soweit unsere Blicke reichen wachsen sprichwörtlich auf feinstem Sand, bieten Nahrung für Antilopen, Gazellen, Wildesel, ursprünglich auch Hyänen, Geparden und Löwen. Und weil in diesem Zaubersand etwas wächst, ist auch einfachste Landwirtschaft allgegenwärtig. Hauptsächlich werden Erdnüsse angebaut, die man uns spontan im Vorbeiritt anbietet. Auf dem Weg in ein Dorf, welches uns für ein Mittagessen beherbergen soll, finden wir noch immer nicht aus den Feldern. Nicht gerade das, was wir uns für eine Wüstensafari vorgestellt hatten. Dem Anschein nach sind unsere Kamelführer genauso froh die Ruhe ihres Heimes gefunden haben wie wir und unsere Hinterteile, denn sie verschwinden umgehend. Die zwei Stunden Ritt müssen ihnen genauso lang vorgekommen sein, wie uns selbst. Doch das ist uns mehr als recht. Wir essen fantastisch und scharf und schlafen danach auf ausgelegten Decken. Ob wir durch das Dorf stromern sollen, wissen wir nicht. So richtig fängt sie uns nicht, die Stimmung. Sei’s drum. So ruhen wir und warten, reiten wieder  und eilen dem Sonnenuntergang auf einer ausgewählten Böschung entgegen, dem unspektakulären Abschluss eines unspektakulären Tages. Zumindest sehen wir noch einmal die Wüste, ohne Kartoffeln und Erdnüsse, samtene Gräser in der hauchlosen Hitze des aufgewärmten Sandes und ab und an ein Baum.
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Weiter fahren wir dem Zug nach Jaisalmer. Wir warten am vermutlich saubersten Bahnhof Indiens auf unseren Nachtzug, schwatzen entspannt mit anderen Wartenden. Der Zug selbst kommt pünktlich. Dem Anschein nach laufen die Uhren Bikaners anders, uns kommt es regelrecht unwirklich vor. Schilder, die zur Ordnung mahnen – und befolgt werden. Regelmäßig platzierte und geleerte Mülleimer. Saubere Toiletten. Und nun noch dieser pünktliche Zug. Wie immer versuchen wir schnellstmöglich unser Schlafabteil zu finden, unsere Betten. Schnell hinlegen und das allgemeine Rascheln, Packen auf engstem Raum zu vermeiden. Die Aussicht auf gut 6 Stunden Schlaf mahnt zur Eile. Den wir dennoch nicht finden, denn das Schicksal selbst macht uns einen dicken, fetten Strich durch die Rechnung und platziert den übelsten Schnarcher direkt unter uns. Selbst dick, fett und gewohnheitsmäßiger Rückenschläfer. Trotz Oropax mache ich kein Auge zu und steigere mich in den Hass. Wir als auch Vorbeigehende rütteln an den Stangen seines Bettes, wecken den Störenfried. Der selbst ist aber zu dick, zu müde, als dass es ihn länger als zwei Minuten wach hält. So sind wir bei Ankunft noch müder, dazu übelgelaunt und schlafbedürftig. Es ist gefühlt noch immer mitten in der Nacht, als wir von einem Taxijeep, so günstig, dass wir misstrauisch sind, in die Nähe unserer gebuchten Unterkunft gefahren werden. Die Gassen seien zu eng, das müssten wir verstehen. Tun wir, denn sie sind wirklich eng. Es wären ja nur noch Hundert Meter. Wie oft man sich auf einhundert Metern verirren kann, beweist die nächste dreiviertel Stunde, das Fluchen und unablässige Abgleichen mit dem Handy unter der inneren Unruhe des Endlich-Ankommen-Wollens. Im Hostel selbst, ein Eingang unter einem bunten Schild und einer sandfarbene Fassade, die um halb 5 alle gleich auszusehen scheinen, ist offensichtlich niemand da. Klopfen, Warten. Noch einmal lauter. Ein verschlafener Geselle, der tagsüber seinem eigenen Redeschwall erliegt, weist uns geistesabwesend die Räume zu, während wir ebenso verschlafen in unsere Betten torkeln. Das war es bis Mittag, mindestens.
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Dennoch bringt der nächste Tag doch noch ein paar Ausblicke in das Salim Singh Haveli, das Wohnhaus des hiesigen Premierministers, der sich ein ausgesprochen kunstvolles Wohnhaus leisten konnte. Es steht mitten im Zentrum der einstigen Oasenstadt, eingepfercht inmitten der engen, schattigen Gassen. Um sich dennoch ein gutes Bild von seinen Schäfchen machen zu können und um im Ernstfall früh gewappnet zu sein, baute der Minister hoch. Das Arbeitszimmer im höchsten Turm, ausgestattet mit allerlei Spiegeln, die Sicht in jeden Winkel der umliegenden Gassen boten. Seinen Frauen baute er einen eigenen Turm, offensichtlich konnte er also zwischen Arbeit und Vergnügen unterscheiden. Ein Kommunikationsfenster ermöglichte dennoch den Zugriff der Frauen, während der Arbeit. Oder umgekehrt. Bis zur Festung schaffen wir es auch noch, nicht umsonst ein Welterbe. In vielen kleinen Gässchen in ihrem Inneren reihen sich die Läden und Gasthäuser, aufwendig ausgeschürfter Sandstein an den Fassaden. Gravuren und Skulpturen, wohin das Auge reicht. Wir staunen ohne uns überwältigen zu lassen, hadern einmal mehr mit diesem Ort, der so unglaubliches Potential bietet und dennoch wieder einmal verbaut, versaut wird. Der Müll, der Lärm, diese inkonsequente Unordnung. Der Motorradverkehr, der sich mit jenem beeindruckenden Selbstverständnis durch die Sträßchen schlängelt, wie er nur für Indien selbstverständlich sein kann, nervt die Besucher und hemmt den Alltag. Ist halt Indien, könnte man meinen, schon wieder. Doch sind genau die Besucher die Haupteinnahmequelle dieses Beinahedorfes. Wir fühlen uns augenblicklich an Dubrovnik erinnert, das ins Gegenteil verkehrte Pendant, welches dennoch Vorbild sein sollte, wie man einem solchen Ensemble gerecht wird. Den Einwohner ginge es sicher besser. Einen weiteren Tag sollten wir durch die Gassen schleichen, uns über die findigen Verkäufer amüsieren, die uns mit witzigen Geschichten über ihr Klientel ehrlich zum Lachen bringen. Wir wühlen uns durch deren Geschäfte, ohne zu neuen Erkenntnissen, neuem Besitz zu kommen. Der Sonnenuntergang am See, bringt Ruhe und ist auch nur einer von vielen. Es geht zu Ende, das Erlebnis  Indien, zu oft sprechen wir schon von Nepal. Im Hostel kommen wir ins Gespräch mit anderen Reisenden, Deutschen. Am Vorabend hatte ich mich in Rage geredet, wie so oft, obwohl ich mir doch eigentlich ein differenzierteres Bild vom Land erhofft hatte. Gesessen hatten sie, schweigend, freundlich in der anderen Ecke. Zugehört, während ich mir schon selbst nicht mehr zuhören konnte. Doch auch sie teilen die Erfahrungen, wie sie mir sagen, ruhig, ohne Frust. Gelandet in Delhi, genau wie wir. Eine Fehlentscheidung, wie wir nun wissen, die eine neutrale Beurteilung von vornherein unmöglich macht. Eigentlich wollten sie nach drei Tagen schon wieder weg, oder zumindest nicht allzulange bleiben. Jetzt versuchen sie es doch noch ein Weilchen, bleiben noch ein paar Wochen und hoffen auf den Süden. Wie wir selbst auch...
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So muss die Weiterreise auch nicht länger warten als nötig. Mit dem Bus fahren wir nach Jodhpur. Eigentlich gar nicht so weit weg und doch wieder eine Tagesreise. Wir fahren in die Altstadt, blaue Stadt genannt, finden ein schönes Quartier und nutzen die Zeit. Doch Jodhpur bringt uns wenig, ist dann doch mehr Zwischenstation als Attraktion. Wir sortieren die Gedanken, schmieden Pläne und schielen mit dem anderen Auge schon auf die Weiterfahrt. Einst waren allein die blauen, engen Gassen der Altstadt ein Grund Jodhpur zu bereisen, die Kamera im Anschlag, den Finger am Auslöser. Davon scheint heute nicht mehr viel übrig geblieben zu sein. Sicher finden wir noch so einige hellblau gestrichene Häuser, angeblich hilfreich bei der Bekämpfung von Mücken, doch stehen sie zu vereinzelt, als dass sie noch jene Magie versprühen könnten, von der wir uns in unseren Gedanken haben leiten lassen. Als unser Vorbild dienten dabei die Bildbände Steve Mc Curry’s, jenes weltberühmten Fotografen, der mit seinem Bild des afghanischen Flüchtlingsmädchens, ihren anklagenden malachitgrünen Augen, weltweite Bekanntheit erlangte und der vor etwa 30 Jahren auch Jodhpur bereiste. Seitdem hat sich viel verändert. Der Verpackungsmüll ist allgegenwärtig und versaut uns die Kulisse, alte blaue Häuser wurden durch neue, verschiedenfarbige Häuser ersetzt und die Touristen, die im Jodhpur der Gegenwart eine selbstverständlich untergeordnete Rolle spielen, suchen vergangene Motive. Dagegen steht nachwievor der Umad Bhavan Palast, die einstige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme des Maharadschas in Zeiten des Hungers. Welch großzügige Geste. Herrschaftlich prangt seine Silhouette über der Stadt. Noch immer wohnt der Nachfahre des einstigen Erbauers in seinem mondänen Domizil von der Größe des Reichstagsgebäudes und empfängt seine Gäste für etwa 1000 Dollar die Nacht. Ob es gefüllt ist, fragen wir uns, während wir betrachtend vor dem Prunkbau stehen. Es hat ja zweifelsohne so einige Zimmer. In gebührendem Abstand werden die Touristengruppen am Haupteingang vorbeigeleitet, der ausschließlich für die zahlende Kundschaft reserviert ist. Sie verschwinden in dem Palastmuseum, welches allein mit diversen Habseligkeiten seiner Majestät aufwartet und den Blick in den eigentlichen Palast verwehrt. Wir lassen vom Pförtner anrufen, ob wir mit dem Hintergrund unserer Ausbildung einmal einen Blick in das Innere werfen dürften. Einen Kaffee trinken, wenn nötig. Fragen kostet nichts, schauen schon, so die freundliche Antwort. Für ein Mittagessen würden wir gern in die heiligen Hallen gelassen, 70 Euro pro Person vorausgesetzt.
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Stattdessen fahren wir auf einen Hügel vor der Stadt zum Jaswant Thada, Geheimtipp von dem netten Paar aus Jaisalmer. Weißmarmoriert versprüht es ein wenig Taj Mahal Charme, wenngleich es in seinen Dimensionen um einiges kleiner erscheint. Vorallem aber finden wir Ruhe, wir rasten und vergessen die Zeit. Die gepflegten Gärten laden zum Sitzen ein, zum Sinnieren, wie schön dieses Land wäre, sähe es überall so aus. Die unmittelbare Umgebung wirkt einfach homogen und natürlich - in der Heimat verschwenden wir ja auch eher wenige Gedanken an die Sauberkeit unseres Umfeldes, eben weil es selbstverständlich erscheint. Schon eine kaputte Bushaltestelle, ein ungeräumter Gehweg, eine schmutzige Unterführung treibt dem Deutschen die Zornesfalten auf die Stirn. Je länger wir reisen, desto klarer wird, dass der deutsche Maßstab weiter von der Gegenwart dieser Welt entfernt scheint, als der indische. Das andere Extrem. All den Nörglern aus der Heimat, zu denen ich mich selbst bei Betrachtung auswärtiger Realitäten zweifelsfrei zählen kann, möchte man zurufen: ‚Seid still, seid zufrieden und schaut euch hier einmal um. Hört auf euer Glück als Selbstverständnis zu betrachten. Nicht bei acht Milliarden Menschen auf dieser Erde...‘ In Zeiten, in denen sich Nachbarn aufgrund übermäßigen Kuhglockenläutens oder dem kaum auszuhaltenden Brötchen-geruch am frühen Morgen Unter-lassungsklagen anstoßen, plädiere ich zunehmend für einen Austausch. Ein Nörgler für einen Inder, das wäre ja mal was.
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Beim Abendessen unterhalten wir uns mit einem indischen Emigrantenpaar aus Neuseeland. Beinahe jedes Jahr kämen sie und hätten dennoch nur einen Bruchteil ihres Heimatlandes gesehen. Doch versichern sie uns, dass auch wenn sich die Gesellschaft in keinem zufriedenstellendem Zustand befände, die Veränderungen der letzten Jahre dennoch immens seien. Viel Aufklärung fände darüber über die neuen Medien statt, das thematisch unersättliche Bollywoodkino und ihre westlich geprägten Schauspieler und Produzenten. Es sei nuneinmal hart, diese indische Gesellschaft aufzubrechen und ihr Verhalten dem globalen Trend anzupassen. Es sei schon erstaunlich, wie präsent tausendjährige Religionen in unserer heutigen Zeit noch sind. Doch immerhin haben viele dieser, für uns unverständliche Regeln über Jahrhunderte, Jahrtausende funktioniert und die Menschen noch vor den Gesetzen und der Nation zum Zusammenleben gezwungen. Dem jetzt auf einmal mit Logik und Verhältnismäßigkeit begegnen zu wollen, sei für den Großteil der Inder nachwievor schwer und unverständlich. Doch würden Themen wie Kastenwesen, Kinderehe, Menschenhandel, Zwangsheirat, Mitgiftmorde und sexuelle Gewalt fortwährend von Bollywood aufgegriffen und trügen die Debatten von den Wohnzimmern in die Öffentlichkeit. Auch konservative Familien könnten sich nur schwer der Suche nach Unterhaltung entziehen, weswegen die überspitzten, kitschigen, karikativen Tanzfilme letztendlich immer geschaut würden. Wir staunen.
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Wir sprechen über den meistdiskutierten Film der Gegenwart, ‚Ohne Toilette keine Heirat‘. Da der überwiegende Teil der auf dem Land lebenden Familien noch immer über keine eigene Toilette im Haus verfügt, werden jeden Tag Frauen auf dem Weg zur Notdurft vergewaltigt. Die absolute Elite Bollywoods nahm sich dem Thema an und hat damit eine weitere landesweite Debatte über sexuelle Gewalt, Verklärung und die Rolle der Frau in der indischen Gesellschaft ausgelöst. Etwas, das Politik selbst nicht zu leisten im Stande ist, da sie die Mehrheit nicht erreicht.
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Weiter geht es nach Udaipur. So langsam befinden wir uns auf dem Endspurt. Nepal ruft. Wir rechnen nicht mehr mit viel, sind für Überraschungen offen. Varanasi vielleicht noch, die große Unbekannte. In jedem Fall jedoch liegt der Ablauf unseres Visums nur noch gut eine Woche entfernt. Als Zwischenziel auf dem weiten Weg bis Varanasi und der nahegelegenen nepalesischen Grenze muss uns Khajuraho genügen, immerhin ein weiteres Welterbe. Doch jetzt gerade sind wir in Udaipur, ein wenig Venedig inmitten Indiens. Zwischen zwei gar nicht so kleinen Seen liegt die weiße Altstadt Udaipurs, die auch schon Kulisse für den Bond Octopussy mit Roger Moore diente, wie zahllose Hinweisschilder beweisen.
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Das Glück ist auf unserer Seite, als wir ein geräumiges Zimmer in einem Hotel am Wasser, weit außerhalb unseres üblichen Budgets, finden. Wir fühlen uns willkommen, im Hotel, in der Stadt, vielleicht sogar gerade in Indien. Denn es ist schön hier, vielleicht sogar das angenehmste Umfeld unserer bisherigen Reise im Land. Da haben sich die Tipps gelohnt und die Vorfreude ausgezahlt. Der Lonely Planet dagegen hätte uns diesen Ort vorenthalten - kaum zu glauben, ein Lonely Planet Moment eben. In der allgemeinen Ruhe des Vormittags stört es uns noch nicht einmal eine gute Stunde auf's Frühstück zu warten. Auf den vielen Dachterassen mit Aussicht scheint jegliche unbegründete Hektik verboten. So verdingen wir uns bei Gesprächen über das hier und jetzt oder die Tagesplanung, die auch Xenias Nasenring beeinhaltet. Lange hatte sie ein weiteres Schmuckstück, verbunden mit einem Loch im Nasenflügel ins Auge gefasst, nun scheinen ihr die vielen Silbergeschäfte mit Lochstechen als sicheres Zeichen. Sie preisen sich und ihre Fähigkeiten, das Loch mit dem Schmuckstück selbst schmerzlos durch die Nase stechen zu können. Zwei Geschäfte und drei Beratungen später ist das Loch in der Nase, nicht ganz so schmerzlos, und Xenia wunschlos glücklich.
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Der Abend beschert uns noch eine kulturelle Darbietung. Wärmstens wurden uns der Tanzabend im Lal Ghat empfohlen, wärmstens empfehlen wir ihn weiter. Er besteht aus diversen Tänzen Rajasthans, die gewöhnlich von Frauen in ihren bunten Saris vorgetragen werden. Das Spiel der Instrumente ist dagegen den Männern vorbehalten. Als Highlight erweist sich der Tanz einer 70 Jährigen, die den traditionellen Vasentanz vollführt. Der Reihe nach werden mehr und mehr Gefäße auf dem Kopf der Tänzerin platziert, bis sie letztendlich etwa 40 Kilogrammn auf ihrem Kopf balanciert.
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Wir verlängern unseren gedanklichen Reiseplan um einen weiteren Tag, der uns in Varanasi fehlen wird, eine weise Entscheidung. Der Spaziergang um einen der Seen, führt uns in einen der Gärten eines weiteren Maharadschas, der seinen Harem im stilvollen Ambiente kunstvoll angelegter Seen gebadet wissen wollte. Während wir in den Gärten spazieren, beobachten wir amüsiert die heimischen Touristengruppen, die jeden Winkel der Anlage fotografisch festzuhalten versuchen, stets mit dem eigenen Gesicht zum Beweis versehen. Schnell noch teilen, zwei Klicks, ab in die Welt, das vermeintliche Momentanglück der Instagramer. Und weil es so schön war und die Weiterfahrt am Abend noch fern ist, schaffen wir es auch noch in den Palast. Palastfestung trifft es eher. Der Maharadscha lebte nicht nur reich, sondern wahrlich schön, wie es die Aussichten aus seinen vielen Fenstern beweisen. Doch ähnlich der Moscheen im Iran, die jede für sich ein Wunder ihrer Zeit bedeuten, sind wir auch an Palästen übersättigt, würden uns gern noch einmal so unverfälscht freuen können, wie die begeisterten Schülergruppen, die zur Ruhe gemahnt werden müssen. Wir danken dem Aufseher, der mit einem selbstbewussten Ordnungsschrei den Lärm abrupt beendet, böser Blick eingeschlossen. Er schaut zurück, zwinkert: gern geschehen, Bruder!
Nun also Varanasi, davor noch Kajuhrao. Tausend Kilometer, mindestens. Im Bummelindien eine Weltreise. Schon der Zug in Udaipur kommt planmäßig zwei Stunden zu spät. Normal. Selbst für einen Zug, der in Udaipur startet. Wir erreichen Kajuhrao, an sich ein Nest, in der nächsten Nacht, knapp 700 Kilometer später. Der Tuk-Tuk Fahrer kennt seinen Weg in der Dunkelheit unbeleuchteter Dorfstraßen. Der Gastwirt ist ein netter Zeitgenosse, der uns kurz vor elf noch bekocht. Der Abend scheint gerettet. Die Unterkunft ist überraschend schön, beinahe überragend.
Unseren Gastgeber lernen wir am Morgen kennen, praktisch ein Exildeutscher. Gerade als wir uns auf die so typisch freundliche, gespielt interessierte Städtekenntnis unserer indischen Gesprächspartner einstellen, Berlin, Hamburg, haha, überrascht er uns mit Rostock, Magdeburg, Krefeld?!Er stammt aus einer armen, ländlichen Familie und hat es wie auch immer für längere Zeit nach Deutschland geschafft. Lauscha. Danach Ruhrpott. Resigniert erzählt er uns davon, wie er in Lauscha, der mitteldeutschen Provinz dahingerafft wurde, neutralisiert. Er erzählt ruhig, deutsch, beinahe resigniert, von einem Kampf. Wir schmunzeln. Von seinem Kampf gegen das Gefühl Niemanden-zu-kennen, hochgeklappte Bordsteine, Arbeit, Alltag, die Vorurteilsgesellschaft. Nein, die Arbeit war gut, aber er musste weg. Ruhrpott, da war es besser, wenn auch nicht perfekt. Regeln, Gesetze, Fahrkarten. Er war schlicht überfordert, sagt er. Doch lobt er die deutsche Ordnung, die sei schon vorbildlich, wenn man sie benötige. Ja, Deutschland sei ein tolles Land und die Deutschen so freundlich, wenn man sie einmal kenne. Na wenigstens etwas. Sein Bruder lebe noch immer in Europa, Brüssel, führe ein europäisches Leben. Er sei nun hier, auch gut.
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Er erklärt uns noch den Weg zu den Tempeln, die wir nach einem Spaziergang durch die ländliche Peripherie erreichen. Das gepflegte Areal besticht mit seinen gut erhaltenen, über eintausend Jahre alten Tempeln und deren teils sehr anzüglichen Bildnisse. Kamasutra Tempel nennen sie die Einheimischen, als ob allein die Reduzierung auf ihre erotischen Darstellungen dem Besucher ein Bild übermitteln und ihre Wertschätzung fordern würden. Doch sind sie mehr als das. Über die Jahrhunderte eines vergangenen Königreiches wurden sie von der Vegetation verschlungen, versteckt und konserviert und mussten erst von den Engländern wiederentdeckt werden. Verschiedene Archäologengruppen legten die Anlage frei, richteten Umgefallenes wieder auf und machten sie der Allgemeinheit zugänglich. Nun stromern neben den Touristen die Anleger durch den Ort, denn die Möglichkeiten des Ortes sind ganz offensichtlich noch nicht ausgeschöpft. Das erkennen sogar wir, wenngleich der Wandel, wie so oft, schneller kommen dürfte, als es der Region gut tut. Der Flughafen jedenfalls ist schon gebaut, ein paar Bettenburgen stehen auch schon und mit der Arbeit kommen die Menschen.
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Mein Feuerzeug scheint dem Aufseher zu gefährlich, ich solle es zurücklassen. Der Sicherheit fügen wir uns gern, so betreten wir die Anlage. Diese besteht aus etwa 4 erwähnenswerten, größeren Tempeln. Unser Gastgeber erklärte sie uns wie folgt: der äußere Bereich stellt die Ablenkungen des Lebens dar, denen man sich nicht verleugnen sollte. Die Libido zähle da zweifelsfrei dazu, aber auch Tanz und Amusement. Im Inneren der Tempel nehme die Reinheit zu, die Ablenkung schwinde und die Darstellungen seien gemäßigter. In den Innenräumen stünden weitere kleine Tempel, deren Innerstes, dunkel und kaum sichtbar die absolute Reinheit, das ewige Nichts symbolisierten. Seine Ausführungen erscheinen plausibel, wenngleich sich die inneren und äußeren Darstellungen nicht so wesentlich unterscheiden, wie er uns beschreibt. Überhaupt sind die erotischen Skulpturen, gut erhalten und erkennbar, weit weniger drastisch, als sichtlich amüsierte Straßenhändler uns vorab glauben machen wollen. Von sage und schreibe 84 Stellungen war die Rede, doch wir suchen vergeblich und bleiben unerleuchtet.
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Dennoch gefallen sie uns, die Tempel. Sie erinnern mit ihrer Detailversessenheit an die noch großartigeren Tempel Ankhor Wats mit ihren stilistisch ähnlichen Skulpturen. Eine Schar Jugendlicher überfällt uns, und wie so oft, wollen sie alle ein Foto. Einmal mit jedem, einzeln, in der Gruppe, ein Foto, noch eins, warte, und noch eins... Inzwischen haben wir uns angewöhnt, vorab die finale Anzahl festzulegen, um das Prozedere zeitlich zu begrenzen. Bisher mit Erfolg, nicht aber heute. Die Dreisten kommen, positionieren sich, uns, bis wir freundlich weitergehen, weil es einfach reicht. Warum wir einfach gehen, fragen sie sichtlich erregt. Weil wir keine Zirkustiere sind, erwidern wir unwissend, ob ein solcher Vergleich überhaupt Verständnis oder gar Empathie hervorrufen kann bei einem halbstarken Inder. Vielleicht fiele uns selbst das Verständnis leichter, wüssten wir, wofür sie derart viele Bilder mit sich selbst und einem Weißen brauchen. Denn das sind wir, einfach nur hellhäutig. Demnach ist das Beweisfoto einfach nur verschwendete Zeit. Wir wissen es, sie sollten es lernen. Anstand ist, wenn auch eine Frage des Blickwinkels, vorallem aber Erziehungssache. Darüber hinaus glauben wir, dass genau hier, auf dem Bild mit einer Weißen die Geschichten entstehen, von dem Inder, aus dem Nichts kommend, aber ein netter Typ von nebenan, der ein weißes Mädchen kennenlernt, die sich natürlich in ihn verliebt und ihn in seine neue Heimat Europa nimmt, wie sie ein jeder Unterdreißigjähriger hierzulande aus seinem nächsten Umfeld stolz zu berichten weiß. Indien ist ein Kontinent der Märchen, für all jene, die ihr Glück finden, indem sie es mit der Wahrheit nicht allzu genau nehmen. Kein Wunder, dass wir da skeptisch bleiben, auch wenn wir jetzt mindestens zwei Inder kennen, die in Europa, wenn schon nicht glücklich, zumindest heimisch geworden sind.
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Beim Verlassen des Areals werden wir angesprochen, ob wir nicht noch eine Safari durch den nahegelegenen Panna Nationalpark machen wollen. Ein schwieriges Thema, da ein Nationalpark in Indien eher einem Erlebnispark gleichzusetzen ist. Die Tiere genießen in diesen Naturschutzgebieten weniger den verdienten Rückzugsraum als den Ruhm zumeist zu den letzten ihrer Art zu gehören. Wo sonst ließen sich heute noch Tiger, Leoparden, Nashörner oder Elefanten in ihrem einst natürlichen Lebensraum beobachten. Auf der anderen Seite stellen sie gerade aufgrund ihres kommerziellen Interesses die einzige, die letzte Möglichkeit dar, die so unendlich vielfältige Tierwelt vor dem Menschen zu schützen. Sofern sie denn zusammenarbeiten. Zuletzt las ich einen Bericht, dass alle Unternehmungen überzählige Löwen, deren Bestände im winzigen Girwald erfreulicherweise derart angewachsen sind, dass man sie in ein anderes Reservat umsiedeln könnte, am Unwillen der Lokalregierung scheitern, die auch zukünftig exklusiv Asiatische Löwen in freier Wildbahn zeigen will. Naturschutz in Indien. Dennoch entschließe ich mich für eine Safari, ergebnislos, denn alle zulässigen Jeeps sind ausgebucht. Busse gebe es dankbarerweise noch nicht im Gegensatz zu anderen Reservaten. Dafür mein vollstes Verständnis, dennoch ärgerlich, angesichts der tollen Bilder anderer werbender Touristen, Tiger aus nächster Nähe inklusive.
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Wieder Bahnhof, wieder Nebel. Wieder zwei Stunden warten. Und weil der Zug gerade so am bummeln ist, noch eine weitere. Über den Buschfunk erfahren wir nachts halb vier, wo wir einsteigen müssen, im Zug, der auch noch woanders steht, als er stehen sollte. Aber bald ist es geschafft. Varanasi, die heilige Stadt am Ganges. Zwei flotte Tage bleiben, aber das muss reichen. Wir erhoffen uns nicht zuviel. Wenn Indien selbst schon so indisch ist, wie indisch ist dann Varanasi. Schließlich wähnt man sich im Herzen des Indischseins, des Hinduismus. Doch es wird weniger schlimm als erwartet. Der Schmutz der Straßen übersteigt nicht das gängige Maß und die Menschen selbst sind um einiges zurückhaltender als der Durchschnitt der Gesellschaft. Es hat sich eine ruhige, beinahe normaldeutsche, andächtige Stimmung über die Stadt gelegt. Sie erklärt sich mit der rituellen Verbrennung der Toten an den Ufern des Ganges, Mutter Ganga, dem für einen Inder vorstellbar heiligsten Ort für eine Bestattung. Demzufolge ist die Stadt fortwährend, seit mindestens 4000 Jahren gefüllt mit Trauernden, die ihren Liebsten den letzten Wunsch erfüllen und sie hier als Asche dem Wasser zu übergeben. Die Orte der Verbrennungen sind die Ghats, steil in die Ufer geschlagene Felsentreppen, die sich entlang des Ganges reihen und die nach Kasten getrennt sind. Ihre Feuer brennen in der Nacht, durchschlagen den Dunst, der unaufhörlich über dem Fluss liegt und das gegenüberliegende Ufer verschluckt. Kleine Lichter, die wir uns am kommenden Morgen näher anschauen wollen.
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In den Gassen bewahrheiten sich dagegen alle Vorurteile, die sind nämlich wirklich eng. Es ist kaum möglich, sich dem immerwährenden Strom an Menschen zu entziehen, die von Tempel zu Tempel, Ghat zu Gaht mäandern. Sie schleppen das Holz oder die Toten. Die meisten sind freilich keine Touristen im klassischen Sinne. Sie sind Beteiligte, Gespielen im ewig währenden Kreislauf, der sich tagein, tagaus sich immer wiederholenden Ordnung Varanasis. Denn dieser Ort ist eine Beerdigungsfabrik, die nur durch das festgelegte Tun ihrer Mitspieler zu funktionieren im Stande ist. Die Frauen haben ihren Platz, die Männer den ihren. Ghat um Ghat, Kaste für Kaste. Dirigiert wird das Zeremoniell von den ständigen Bewohnern der Stadt, welche die peripheren Berufszweige betreiben. Sie handeln teure Hölzer für die Verbrennung, tragen diese durch die Gassen zu den Ufern oder verbrennen die Toten. Die Barbiere scheren den Hinterbliebenen Männern die Haare, die Goldschürfer suchen im trüben Wasser unter den Ghats nach Verwertbarem.
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Ein kleiner Gauner führt uns gottesfürchtig durch den Burning Ghat, vorbei am ewigen Feuer, welches seit Anbeginn der Zeit brenne. Für die Hindus sind das immerhin 5000 Jahre. Dafür ist es aber mächtig klein, denken wir im Vorbeigehen, immer noch erstaunt darüber, als Unbeteiligte so nah heran zu dürfen. Alle Scheiterhaufen dieses Ghats würden mit seinem Feuer erleuchtet, erklärt er. Da kommt schon der nächste Feuerholende, faltet das in großen Ballen liegende Stroh zu einem kleinen Ballen, wie auch bittend seine die Hände und erhält die Glut für den nächsten Gang. Zweieinhalb Stunden dauert die Verbrennung eines Menschen, niemals aber länger als drei. Was danach noch von den vormals etwa 200 Kilogramm schwere Holzhaufen übrig sei, würde mit allem Rest ins Wasser gekehrt. Bei Männern wäre das gern mal die Brust, bei den Frauen das Becken. Das Resultat einer starken Seele oder Fruchtbarkeit, wie man glaubt. Auch wenn man uns dringlich mit auf den Weg gibt, nicht den Frieden der Familie durch dreistes Fotografieren zu stören, scheinen wir niemanden zu belästigen. Kein böser Blick der Betroffenen überführt uns des Gaffens, apathisch leiden sie still im Kreis der Familie, während sich das Feuer den Körper der Dahingeschiedenen nimmt. Ganz offensichtlich sind wir hier genausowenig obsolet, wie alle anderen, an diesem Ort der gemeinschaftlichen Andacht. Doch wir wollen weiter, sind Forscher, Reisende, aber keine Voyeuristen. Nun könnten wir doch spenden, für die Alten. Denn wie wir bereits wissen, können sich viele Alleinstehende ihre eigene Bestattung nicht leisten. In Heimen, direkt vor den Ghats warten sie auf den eigenen Tod in der Hoffnung auf genügend Holz, bis zu ihrem Ableben. Doch er nehme keine Spenden, nein, wir müssten schon das Holz selbst bereitstellen. Ab etwa 2000 Rupien pro Kilogramm, knapp 30 Euro. Wie viele Kilogramm wollten wir kaufen, fragt er und verweist dabei auf unser gutes Karma. Es stiege mit jedem Kilo. Was das für Holz sei, fragen wir zurück, gedanklich schon am Gehen. Was man halt so brauche, erwiedert der Gottesfürchtige. Mango- oder Sandelholz natürlich. Wir schmunzeln ob soviel Dreistigkeit, so bleibt es beim Gehen. Mitunter fragen wir uns, ob am Ende nicht doch so mancher zahlt, herzerweicht von der Güte der so unerbittlich werbendenden Bescheißer.
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Doch gern werden wir wiederkommen nach Varanasi, das im Kern so indisch und doch so faszinierend ist. Selbst die segnenden Zeremonien allabendlich zu den Ufern des Ganges abgehalten, lautes Getöse im heiligen Kerzenschein, wären andernorts purer Kitsch. Hier fühlen sie sich richtig an, beinahe sinnvoll. Wir wohnen ihr bei auf einem Holzschiff, dass wie Hunderte andere vor den Ghats ankert. Kurz vor den Zeremonien, die sich mittlerweile auf die ganze Uferlinie ausgeweitet haben, füllen sie sich bis auf den letzten Platz. Wir sollten unseren europäischen Sitznachbarn nicht unseren Preis verraten, den wir nach langem Feilschen für unsere Plätze errungen hatten, bittet der Platzanweiser. Sie zahlten das Vierfache...
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Ein letztes Mal Bahn, ein letztes Abenteuer. Vorab ließen wir in unserem Hotel Tickets reservieren für die Bahn nach Gorakhpur. Die nepalesische Grenze ab da schon in Busweite. Kein Problem, sagt der Hotelier, die Tickets wären bereits hinterlegt. Doch am Abend unserer Abfahrt scheint die Sache weniger klar: zwei Tickets in zwei Abteilen für drei Menschen. Kein Problem, laut unserem Hotelier. Wir sind da skeptischer, brauchen aber genau diesen Zug. Er sagt, er hätte extra von dreimal dritter Klasse auf je einmal zweite und erste Klasse umbuchen müssen, um unserem Reisewunsch gerecht zu werden. Ein Verlustgeschäft für ihn, doch sei ein Versprechen ein Versprechen. Alles Ehrensache! Aber in der ersten Klasse seien die Betten groß genug für zwei, also alles kein Problem... Und ob das ein Problem ist, wenden wir ein. Allerdings brauchen wir genau diesen Zug und teilen daher seine Einschätzung, dass man uns so früh schon nicht aus dem Zug werfen würde. Im Zug selbst dauert es keine 10 Minuten, bis auffällt das 3 Menschen für 2 Tickets reisen. War ja klar! Indien halt, denken wir inzwischen routiniert. Es folgt ein unter uns abgesprochenes Gezeter, bei dem wir ganz nach Plan die naiven Touristen mimen, die sich unwissend und betrogen fühlen, ob der korrupten Verkäufer. Es endet mit dem Verweis, dass der Kontrolleur den Sachverhalt klären müsse, nachts um 2. Derweil verschwinden Xenia und Vicki unbehelligt bis zum kommenden Morgen zu zweit im Abteil der ersten Klasse...
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Der Grenzübergang selbst kann nicht als solcher bezeichnet werden, geöffnete Tore ohne Kontrolle. Wir sind mehr als überrascht, dass wir uns selbst auf indischer Seite in einem unauffälligen Häuschen zum Ausstempeln melden müssen und das gleiche auf nepalesischer Seite zur Registrierung wiederholen. Was für ein Ende, was für eine Erfahrung. Wie schnell die letzten zwei Monate rückblickend vergingen, ist uns selbst schon unheimlich. Bis zum nächsten Mal, könnte man meinen. Wir sind uns beinahe sicher, dass wir wiederkommen werden, um im Süden Indiens eine Version des Landes zu finden, die besser zu uns passt. Von einer Mentalität lassen wir uns nicht in die Knie zwingen, und sei sie auch wie diese so nachvollziehbar verabscheuungswürdig. So eindringlich, so unnachgiebig, so verletzend und dennoch irgendwie faszinierend. Schließlich verstehen wir die Abneigung mehr als den Gefallen am Land, glauben vielmehr an eine verzerrte Wahrnehmung indisch verklärter Romantik vieler Touristen. Sie schaffen sich ein Bild, dass man unserer Meinung nach längst nicht mehr findet. Als man den Zauber des Orients zwischen dem Leid noch erkennen konnte. Oder haben wir nur falsch geschaut?! Jedenfalls sind wir gespannt auf alles Kommende und doch suchen wir vorerst die verdiente Ruhe Nepals, die wir uns für's erste mehr als verdient haben...
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