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Auf dem Weg um die Welt


​...und zu allem was dazwischen liegt

Chile - oder 4000 Kilometer von der Wüste ins Eis

21/12/2018

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Staubig und warm ist es in San Pedro de Atacama, vielleicht sogar heiß. Erst nachts können wir uns wieder daran erinnern, noch immer recht weit oben zu sein. Die Berge, die ganz hohen, liegen vorerst hinter uns, in Gedanken spüren wir schon das Meer. Wir sind in Chile, jenem langgestreckten Ungetüm, das sich da so dreist über tausende Kilometer am Meer entlangstreckt. Wer hier oben die Hitze spürt, kann sich nur schwerlich vorstellen, wie weit er reisen könnte oder müsste, per Straße und per See, um sich schlussendlich noch immer in Chile zu befinden. Bis nach Feuerland, jenem vielbesungenen Ende aller Welten werden wir es nicht schaffen. Wohl aber bis kurz davor, um auf dem Absatz zu drehen und wieder gen Norden zu reisen, nach Buenos Aires, unserer letzten Station auf fremdem Kontinent.
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Wer das Land nicht kennt, käme kaum auf den Gedanken, dass die Küste noch immer gute 400 Kilometer entfernt liegt. Denn obwohl es so lang ist, ist es zumeist auch unerwartet breit. Die Chilenen haben sich quasi das Filet der Anden in das eigene Staatsgebiet verlegt und sogar noch frech den Bolivianern das letzte Zipfelchen See geraubt. So überrascht es nicht, dass Chile das auch mit Abstand wohlhabendste aller südamerikanischen Länder ist. Eine einerseits eher zurückhaltende Kinderplanung und zahllose bisweilen unerschlossene Bodenschätze nähren den Staatshaushalt. Allen voran Kupfer, Silizium und Lithium, die Metalle unserer Zeit. Und zum ersten Mal seit langer Zeit fühlen wir uns mit unserer Herkunft nicht wesentlich privilegierter, als wir es noch einige Grenzen zuvor unzweifelhaft gewesen waren. Richtig teuer ist es hier! Unser Bett im Schlafsaal verschlingt satte 14 Euro, aber auch nur, weil der Besitzer, in der Erscheinung eines militanten Mannschaftsgrades samt olivgrünem Shirt, einen guten Tag hat. Mehr gebettelt als gefeilscht, hatten wir rund 1,30 Euro Rabatt erhalten. Was muss, das muss.
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Was uns an Preis nachgelassen wurde, das ersetzen nun zusätzliche Regeln. Der Ort, ein sogenanntes Eco Camp, wirkt sauber und straff organisiert. Zusammen mit der Ansprache des Feldwebels mutiert er zum Truppenstützpunkt. Da wir uns hier noch immer in einer Wüste befänden, muss Wasser gespart werden, genau wie Strom und vermeidbare Reinigungsarbeiten verschlängen beides. Müllvermeidung bedeute Streitvermeidung. Bettruhe ist um 10, und Ruhe ist ruhig. Grillenzirpen – wenn man das hören könne, sei es ruhig genug. Freilich können wir die Regeln aller Art verstehen, denn der allgemeine Hostelbetreiber entwickelt, sofern er es ernst meint, eine gewisse Hassliebe zu seinem Klientel. Der schmale Geldbeutel zwingt die Jugend in die gemischten Schlafsäle, mit all ihren jugendlichen Marotten. Unter den mannigfaltigen Frechheiten sind 'laut' und 'schmutzig' dabei die populärsten. Wir würgen ihn ab und erklären dem Major, dass auch wir hostelerfahren sind - und zwar von seiner Seite betrachtet. Der Zustand der Anlage läge uns demnach beinahe genauso am Herzen, wie ihm. So schließen wir Frieden, der General und wir.
Obwohl wir uns seit Wochen nur noch auf Achse befinden, kann von verdienter Rast keine Rede sein. Wir wollen uns einen Campervan mieten um damit in Richtung Santiago zu reisen. Allein bis dahin sind es etwa 1800 Kilometer. In zwei Tagen könne man das schaffen, erfahren wir vom General. Chilenen sind Vielfahrer. Über Whatsapp haben wir Sebastian kontaktiert. Der betreibt einen von drei landesweiten Vermietungen von Campervans und eines seiner Fahrzeuge stände noch in San Pedro. Ja, das könnten wir zurückführen und damit einen satten Rabatt erhalten. Wir unterrichten Manon und Thomas, die ebenso überlegen, wie sie nach Süden kommen, ohne dabei zuviel auszulassen. Also beschließen wir gemeinsam zu reisen, die beiden im mitgeführten Zelt, wir im kleinen Camper. Zwar ist das Auto offiziell nur für 3 Personen zugelassen, da sich im Rückraum kein vollwertiger Sitz befindet, doch hoffen wir, ausnahmsweise damit durchzukommen.
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Blöderweise sind die nächsten drei Tage landesweit arbeitsfrei, weshalb wir keine zusätzliche Versicherung samt originaler Police auf das Auto abschließen können. Diese bräuchten wir, sofern wir mit dem Mietwagen die Grenze zu Argentinien passieren wollten. Doch Sebastian will sein Glück probieren, hat er doch einen guten Draht zu seinem Versicherungsmenschen. Ja, schreibt er. Die Police könne zwar heute noch ausgestellt werden, allerdings könne die Post keinesfalls noch fristgerecht zustellen. Ganze fünf Tage dauerte dies insgesamt und länger wollen wir nicht warten. Der Hostelgeneral bringt einen von zwei Notaren ins Spiel, die wiederum eine gefaxte Police verifizieren könnten. Eine großartige Idee, allerdings befinden die sich schon im Feiertag. Ach, sagt der General, eigentlich sollten wir es darauf ankommen lassen. Immerhin sei das Fahrzeug ja versichert und die Frage ja nur, ob man es uns anhand einer Kopie glaubte. Wir sollten es riskieren und einfach über die Grenze fahren. Gäbe es Probleme, sollten wir die einfach aussitzen, das helfe. Er schiebt es auf die pingeligen Argentinier, die wiederum auf die noch pingeligeren Chilenen. Wir bleiben die gesamte Reise unbehelligt.
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Nachdem wir uns ausreichend eingedeckt haben, fahren wir hinaus in die Wildnis. Die Straße ist schrecklich und die Nacht derweil lichtlos und schwarz. An einem Wasserlauf beziehen wir Quartier. Dass es ein offenbar schönes ist, können wir nicht ahnen. Schon recht früh werden wir von anlandenden Touristengruppen geweckt, die allesamt in den Bach zur Erkundung einsteigen. Gähnend steigen wir aus und klopfen unsere Kleidung. Der Sand ist so fein, dass er in jede kleinste Öffnung einzudringen vermag, sogar unser Atem schmeckt staubig. Unser erstes Tagesziel, die ‚El Tatio‘ Geysire, geben wir nach einer mehrstündigen Irrfahrt auf. Denn was schon ab San Pedro als schlechte Straße begann, wird auch die folgenden Kilometer nicht besser. Es ist unser erster Tag, es rumst und scheppert, Asphalt ist schon lange keiner mehr da und das Auto winselt bereits um Gnade. Kaum 20 Kilometer pro Stunde schaffen wir und noch sind es über 50. Wir geben auf. Die Landschaft verzeiht uns den Übermut und entschädigt mit Ferne und Aussicht. Ein Vulkan türmt sich vor uns, einer von vielen. Auch wenn die Straßen unpassierbar bleiben, läge Bolivien gerade um die Ecke. Irgendein Trampelpfad würde sich schon bieten, all jenen zumindest, die sich vom Gelände und der Höhe nicht abschrecken ließen.
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Nach erneuter Nacht irgendwo im Staub, nehmen wir es mit der Hauptattraktion der Kleinstadt auf: dem Valle de la Luna. Tal des Mondes – diesen Namen verdient es sich. Denn wenn überhaupt eine Landschaft jener nahekommt, die wir mit der Oberfläche unseres einzigen Trabanten assoziieren, dann ja wohl diese. Von oben betrachtet wäre die Erde an dieser Stelle eine einzige Wunde, so grob aufgefalten liegt sie da. Der Weg auf einen der Kämme ist anstrengend, der feingemahlene Sand macht uns das Laufen schwer. Doch lohnt sich der Aufwand. Etwas Vergleichbares habe ich noch nicht gesehen, staune ich über meine eigene Erkenntnis. Denn nach soviel Wüste, soviel Kargheit, soviel von Allem in den letzten Jahren überrascht das Unerwartete dann um so mehr. Noch zwei, drei Haltepunkte finden wir, um in die Landschaft einzutauchen, sich satt zu sehen und in ihr aufzugehen. Zum Glück sind wir dann doch recht früh in den eigens für Touristen abgesperrten Bereich eingefahren und umgehen so sämtliche Sonnenuntergangsbestauner. Die kommen pünktlich ab fünf in allem, was irgendwie über die ungeteerten Wege navigiert werden kann. Ein kleiner Seitenweg abseits der Straße bleibt dagegen größtenteils unbelästigt. Wir sitzen, ohne das letzte Licht abwarten zu wollen, denn der Pass ruft bereits.
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Die argentinische Grenze ist von San Pedro aus bequem zu erreichen, nur die Entfernung trübt die Überfährt. Ganze 600 Kilometer Bergland wollen bewältigt werden, bevor wir auf anderer Seite abermals eine richtige Stadt zu sehen bekommen. Also entschließen wir uns, auf dem Pass zu schlafen, abhängig davon, wie weit wir kommen. Das Vehikel scheint für derartige Höhen nicht gemacht, denn nur widerwillig quält es sich auf über viereinhalb Tausend Meter. Als die Sonne schließlich ganz verschwindet, parken wir das Auto in einer Bucht und blicken in die Sterne. Die Temperaturen, die schon zuvor alles andere als einladend gewesen waren, fallen rapide, so dass wir jedes Verlassen des Fahrzeuges zuvor taktisch besprechen. Denn immerhin müssen vier Erwachsene auf knappen Raum auskommen, das Abendessen zubereiten, sich umziehen, ohne sich gegenseitig die Lust am Abenteuer zu nehmen. Zudem beschließen wir, heute kein Zelt aufzubauen und alle im Fahrzeug zu nächtigen. Draußen sind es sicher schon minus zwanzig Grad, so wäre jede anderweitige Entscheidung schlicht unvernünftig. Die folgende Nacht wird hart - härter, als wir es uns jemals hätten erdenken können, und auch die Spätfolgen tragen wir noch wochenlang mit uns herum. Zitternd überstehen wir Stunde um Stunde und trotz Schlafsäcken, Decken und Enge findet niemand in den Schlaf. Am nächsten Morgen ist der Innenraum komplett gefroren. Was für eine Tortur!
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Bis zur Grenze ist es nicht mehr weit. Lediglich eine Ansammlung loser Gebäude verweist auf den Staatsübertritt. Wer hier arbeitet, führt ein einsames Leben, als einzige Freunde die Nachbargrenzer und der Tankstellenpächter. Erstere teilen sich das Gebäude. Vor der Schranke stehen die Zollbeamten beider Länder dicht beieinander und sind zu Scherzen aufgelegt. Aber eben nur, bis wir zu unserem Proviant befragt werden, denn genau da endet der Spaß. Vielleicht wäre es im Nachhinein schlauer gewesen, komplett ohne zu kommen, denn spätestens als sie mit uns fertig sind, haben wir alles verloren, was nicht Reis oder Pasta ist. Landesfremde Frischwaren aller Art, allen voran Obst, Gemüse, Eier gelten als hochgradig gefährlich und werden behandelt, als wären sie Drogen oder Waffen. Hastig essen wir, was unsere müden Mägen vertragen, bevor wir zur Weiterfahrt aufgefordert werden. Verärgert ziehen wir von dannen.
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Hier oben bleibt nicht viel Raum für Entgegenkommen und Vernunft. Auch der Tankwart, der sich sicher sein kann, dass ein jeder, der hier durchkommt, bei ihm einkehrt, hat die Gesetze des Kapitalismus verstanden und ist zudem ein eher unfreundlicher Geselle. Denn natürlich haben wir noch keine argentinischen Pesos am Mann, woher auch. Ja, natürlich könnten wir auch mit Chilenos bezahlen. Zur Zeit sind sie die wesentlich stärkere Währung. Doch natürlich rechnet er uns einen Kurs vor, der vielleicht vor 20 Jahren aktuell war. Wir sind außer uns, wissen nicht, wie wir ihm Herr werden sollen. Erst eine vorbeikommende Bikergruppe bringt uns auf den entscheidenden Gedanken. Wann immer wir können, sollen wir mit Karte zahlen, um derlei Bescheißereien von vornherein vorzubeugen. Das mag banal klingen, doch haben wir die Kartenzahlung nach nun schon über anderthalb Jahren quasi vergessen. Und doch sind ein paar Prozent Provision recht wenig, angesichts der hiesigen Umrechnungsmentalität.
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Xenia fährt uns zurück in die Zivilisation. Das dauert, denn hier oben gibt es außer kargen, weiten Landstrichen recht wenig. Das Gelände fällt gemächlich, die Straßen bleiben überraschend gerade. Nur alle paar Minuten kommt uns ein einsamer LKW entgegen. Wir sind sicher, dass sie auch halten würden, käme es zum Schlimmsten. Erst langsam gewinnen wir Vertrauen in unser holpriges Gefährt, das sicher für alles andere gebaut wurde, als für diese Straßen, diese Höhe und diese Einsamkeit. Seltsamerweise nagt der Kater an mir und Thomas. Die eine geteilte Flasche Rotwein war gestern zuviel gewesen. Auf knapp 5000 Metern, wirkt sie wie drei. So vegetieren wir gemeinsam auf der Rückbank, bis wir nach Stunden in der ersten größeren Stadt Jujuy einfahren. Wir werden gestoppt. Polizeikontrolle. Ein wenig mulmig ist uns ja schon, wissend, dass dem Genossen auffallen könnte, dass sich da vier Menschen in einem für drei Fahrgäste zugelassenem Vehikel befinden. In Deutschland wäre das ein Problem. In den korrupten Nachbarländern gewiss auch. Doch es genügt ihm einzig unsere Bewegungsrichtung abzufragen und oberflächlich in unseren Taschen zu wühlen. Freundlich lässt er uns gewähren - eine Prozedur, die wir im Land bei Einfahrt jeder kleineren Stadt erleben.
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Wir sind zurück im Leben! Was auf der anderen Seite der Anden an Vegetation gefehlt hat, findet hier zuhauf. Hohe grüne Bäume dominieren die Landschaft, Papageien und Zikaden vertonen den Anblick. Auf dem schönen Campingplatz, der wann auch immer für einen wesentlich größeren Andrang eröffnet wurde, sind wir beinahe die einzigen. Erst als es bereits dunkel ist, gesellt sich ein anderes Pärchen zu uns. Ruhe ist also garantiert. Ob wir auch die bunten Berge bewundert hätten, fragen sie. Welche bunten Berge? Na die, mit den angeblich sieben Farben, die man an ihren Flanken sehen könnte. Ach die, ja natürlich. Noch immer sind wir uns nicht sicher, was sie meint. Erst später erkennen wir, während unserer Rückfahrt, versehentlich eine der größten Attraktionen der Region ausgelassen zu haben. Na ja, stellen wir fest und verkneifen uns den Ärger. Immerhin haben wir schon viel gesehen... Auch der Preis des Platzes ist der Hit, denn gerade einmal einen Euro müssen wir pro Person für unseren Stellplatz zahlen. Abends kommt die Polizei zum Duschen. Zwei Wagen halten, alle raus, alle nass, alle sauber und zurück. Wir vermuten zu kleine Sanitäranlagen in der Wache und staunen über soviel Pragmatismus.
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In Salta müssen wir uns fürchten, das einzige Mal im ganzen Land. Der städtische Campingplatz liegt in einer der zwielichtigsten Gegenden der Großstadt und ist Teil eines verlassenen Freibades. Ein surrealer Ort, der zweifellos als Kulisse eines realen Horrorschinkens dienen könnte. Dabei war das Freibad wohl einst wahrlich ein Ort des Vergnügens und des Verdrusses, das gleichzeitig vielen hundert Menschen Kühle und Erfrischung bot. Wann das noch so war, können wir nur vermuten. Die Anlage wirkt einsam, das Gestänge des trockengelegten Beckens ist verrostet. Vielleicht ist die aktuelle Wirtschaftskrise an seiner erbärmlichen Erscheinung schuld, vielleicht aber auch nicht. Wie will man wirtschafliche Täler überhaupt einordnen und datieren, in einem Land, das sich in der Wahrnehmung seiner Bewohner schon immer in der ein oder anderen Krise befand. Wenigstens beweisen die Gauchos Humor, wenn man sie auf die Krise oder den aktuellen Währungsverfall anspricht. Einem Tief, so bekräftigen sie aus ebenso tiefer Überzeugung, sei doch bisher immer ein zufriedenstellendes Hoch gefolgt.
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Wir sind unterwegs auf der Ruta 40, jener Straße aller Hoffnung, die sich vom Norden des Landes bis in den fernen Süden zieht. Über 4000 Kilometer ist sie lang – was nach Tagen des Fahrens im eisigen Wind der Pampa endet, nimmt seinen Anfang in den kargen roten Felsen der Provinz Jujuy. Hier blüht es einzig an den wenigen Flussläufen. Satt und grün halten sich die Büsche und bilden einen geradezu obskuren Kontrast zum rostroten Fels. Im Nichts stehen die Fahrzeuge an einer Haltebucht. Wir sind am Garganto del Diablo angekommen, dem Teufelsrachen. Ein wenig martialisch wirkt der Name angesichts der doch so ausgezehrten, erlebnisarmen Landschaft, und doch genügt er seiner Beschreibung. Zwischen ewig hohen Felswänden liegt ein Riss, eine Wunde im Gestein, der sich in die Höhe zieht. Wenige Meter breit ist er und viele Hundert Meter tief. Ausgewaschen sind die marmorierten Wände. Wenn es die Urkräfte dieser Erde benötigt, um einen Fels wie diesen zu zerreißen, dann waren sie hier am Werke. Und zwar alle gleichzeitig. Folgt man der Spur in die Höhe wäre wohl Wasser die Erklärung - woher es kommen soll, entzieht sich unserer Fantasie. Ein Schild warnt uns. Weiter hinauf dürften wir nicht, sofern wir es denn wollten. Die Aussicht wirkt verführerisch, ein wenig weiter hinauf, könnte kaum schaden. Nur erahnen können wir, was sich dort erblicken ließe, außer Weite und Kühle. Ein paar Indigenas verkaufen Schmuck und Klimbim, man fragt sich wie sie hierher kommen.
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Endlich erreichen wir Cafayate, einem der wenigen bewohnten Höhepunkte Nordargentiniens. Den Einheimischen und Weinkennern ist es ob seiner guten Weißen ein Begriff und zudem ein wahrlich schönes Fleckchen. Kleine bunte Flachbauten versprühen einen Hauch von Wildwest, kleine Märkte und der viele gute Wein locken die Besucher. Doch an denen fehlt es gerade. Das mag an der Saison liegen oder wiedereinmal an der Krise. Die Gastronomen schielen auf die Gehwege, wünschen sich uns an ihre Tische. Einem geben wir nach und trinken doch ein kühles Blondes - zumeist die bessere Wahl an heißen Tagen.
An den Hängen gedeihen die Reben. Oder werden gedeihen, denn vom Wein der kommenden Saison ist man noch weit entfernt. Weshalb gerade die Trockenheit des argentinischen Westens so geeignet ist für den Weinanbau, erklärt uns ein vinophiler Franzose. Sofern genügend Wasser verfügbar sei, könne der Weinbauer die eben erforderliche Menge in die ansonsten wasserlose Erde zuführen und so am ehesten Einfluss auf die Qualität der Trauben nehmen. Darüber hinaus entscheide natürlich die allgemeine Güte des Bodens und die sei hier zum Beispiel ganz hervorragend.
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Vor uns liegen nun weit über eintausend Kilometer Staub, bevor wir es in das zweite, wesentlich größere Weinanbaugebiet des Landes schaffen werden. Wir hoffen die Strecke in drei strammen Tagen zu bewältigen. Derweil ist die Landschaft inzwischen nur noch weit und flach. Die Straße ist lang und gerade und bisweilen über 40 Kilometer komplett kurvenfrei. Unerwartet schön gestaltet sich unser erster Stopp in einem Hostel, sofern ab des Weges, dass wir kaum mit anderen Menschenseelen rechnen. Kaum angekommen treffen wir Fabian, ein junger Freiburger, der mit dem Fahrrad den Kontinent bereist. Schon einmal sei er vom Norden in den Süden gereist und als er für sich beschlossen hatte, einfach noch nicht zurückzuwollen, einfach umgekehrt. Die Einsamkeit genieße er genauso, wie seine Freiheit. Nur an wenigen Orten könne man sie so spüren wie hier oder weiter südlich. Das beste Stück Argentinien läge ja noch vor uns, beschwört er uns. Patagonien sei einfach unglaublich, aber das könnten wir ja bald selbst besser selbst erleben. Wie es sei, so allein zu sein, hier soweit abseits von allem, fragen wir ihn. Immerhin gäbe es ja über drei-, vierhundert Kilometer weder Orte, noch Tankstellen. Gut, selbstverständlich, beschwichtigt er uns gedankenverloren. Ab und an müsse er ein paar Trucker anhalten, wenn das Wasser knapp würde, aber die hielten zum Glück immer. Und sonst genieße er die Ruhe, bis er bald doch wieder zurück müsse. Deutschland wird ihm laut erscheinen.
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Wir sind in Mendoza. Nach all der Fahrerei freuen wir uns auf zwei, drei ruhige Tage im größten Weinanbaugebiet Südamerikas. Ein bisschen müssen wir suchen, bis wir einen geeigneten Stellplatz finden, denn die meisten Anlagen haben noch immer geschlossen. So verständigen wir uns für den nächsten Tag auf die Erkundung der Stadt und tags darauf auf einen Besuch der zahllosen Bodegas der Region. Eigentlich wird der Stadtbesuch von nur einem Thema bestimmt, dem Derby. Denn genau heute spielen die beiden großen Clubs der Hauptstadt, Boca Juniors und River Plate, gegeneinander. Mit einem sportlichen Vergleich hat das Spiel dabei schon lange nichts mehr gemein, viel eher geht es um pure Konkurrenz, um Klassenkampf. Boca ist dabei eher der Vertreter der Arbeiterklasse, River der Verein der Bessergestellten. Ehrgeiz gegen Stolz, das kampfbetonte gegen das schöne Spiel, Wollen gegen Können. Nur in einem sind sie sich gleich: in der Anzahl der Idioten und den korrupten Strukturen innerhalb der Vereine. Zu welchem Ausmaß sich diese Feindschaft unter ihren Anhängern steigern kann, erleben wir selbst nur zwei Monate später.
In Mendoza selbst haben wir dagegen wenig zu befürchten und wollen unbedingt dem Großereignis, das ab um sechs weite Teile des Landes zum Stillstand bringt, in einer der vielen Bars beiwohnen. Wie friedlich es soweit abseits der Hauptstadt noch ist, belegt die Anwesenheit beider Fanlager in ein und der selben Bar - in Buenos Aires schlicht undenkbar. Das Spiel beginnt, Gelb-Blau gegen Rot-Weiß. Erstere haben heute keinen guten Tag, da nützt auch all das Rennen nichts. Letztere gewinnen mit zwei spektakulären Toren in einem mehr als zähen Spiel. Doch das war zu abzusehen. Wer Fußballklasse erwartet, schaut lieber in Europa. Wie im Nachbarland Brasilien erstaunt der mangelnde Schauwert allzu oft die anwesenden Besucher aus Übersee. Denn all die Zauberfüße sind schon bald darauf, teuer eingekauft von europäischen Spitzenclubs, zu wesentlich Besserem im Stande.
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Am nächsten Morgen fahren wir in die Bodega Antigua Giol. Heute ist sie nur noch ein Museum, doch vor 20 Jahren noch, wurden hier bis zu 6 Millionen Flaschen abgefüllt. Bis zu 4000 Mitarbeiter waren dazu nötig. Einst von zwei mittelständischen Einwanderern gegründet, die das Potenzial der Region als Weinanbaugebiet erkannten, war sie bereits zur Jahrhundertwende die wohl größte Weinerei der Welt und produzierte mit etwa 30 Millionen Litern beinahe die Hälfte des gesamten Landesbedarfs. 1915 verkaufte Giol sein gesamtes Anwesen an die Landesbank die angesichts des steigenden Konsums Wein als sichere Anlage betrachteten. Ein Fehlurteil, das nach und nach den Betrieb in die Hände des Staates legen sollte. Missernten, Fehlwirtschaft und diverse Wirtschaftskrisen zermürbten schließlich die Anlage, bis sie ihren Betrieb irgendwann gänzlich einstellen musste. Stilles Zeugnis bleiben dunkle Hallen und beinahe 600 haushohe Fässer aus französischem Eichenholz. Auch wenn die Bodega Giol längst vergangen ist, so lebt der Weinanbau in Mendoza mehr denn je.
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Die Tage vergehen schnell, schon bald sind wir wieder unterwegs. Freilich könnten wir es nun langsam angehen lassen, denn Santiago ist nur eine lange Tagesfahrt entfernt und noch haben wir 8 Tage bis zum finalen Abgabetermin. Und doch ist die Eile der vergangenen Tage auch dem Wunsch von Thomas und Manon geschuldet, es noch bis Pucon zu schaffen. Auch wenn dies allein vier zusätzliche Reisetage erfordert, so lagen sie mit ihrem Gefühl bisher immer richtig. Nicht so dieses mal, denn nicht der Ort, sondern allein das Wetter macht uns einen gewaltigen Strich durch die Rechnung. Wir erreichen die Stadt, die von einem Hauch Neuseeland an der südamerikanischen Westküste umweht wird, im kalten Regen. Im selben Wetter verlassen wir sie. Vom so ikonischen Vulkan Villarrica sehen wir gerade einmal kurz den Gipfel und ahnen, was wir an klaren Tagen verpassen. Auch ist es nicht nur der Vulkan allein, der uns melancholisch stimmt. Vielmehr glauben wir, die gesamte Region auch in all ihrem tristen Grau, als eine der schönsten des gesamten Kontinents zu erkennen. Um doch ein wenig das beste aus all der Enttäuschung zu machen, fahren wir über holprige Wege zu einer der heißen Quellen des Umlandes. Wenigstens wirken diese an nasskalten Tagen umso mehr.
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So hätte es aussehen können, sah es aber nicht...

Da es schon Nacht ist, als wir sie verlassen, und der Boden zu feucht, als dass man noch zelten könnte, suchen wir abermals eine Bleibe. Recht spät erreichen wir ein abgeschiedenes Haus im Wald, nachdem uns ein junger Verkäufer das seiner Eltern empfohlen hatte. Einzig sein Vater ist noch wach, doch scheint er bereits auf uns zu warten. Erst am Morgen lernen wir das Pärchen richtig kennen. Gemeinsam wirtschaften sie auf einer kleinen Farm, bieten Gästezimmer und zudem Backwaren an, die ihr Sohn vertreibt. Die Mutter berichtet uns von ihren deutschen Wurzeln, die sie mit vielen ihrer Nachbarn teilt. Zu sprechen traut sie sich nicht, und doch versteht sie viel. Noch ihre Eltern hätten sich zu großen Teilen deutsch im Hause unterhalten und ihre Großeltern sprachen ausschließlich deutsch. Doch dass sei eben schon zu lange her, als dass davon noch viel übrig sei. Ihr Mann habe zum Beispiel gar keine deutschen Ursprünge. Er lacht, als er es hört.
Nachdem das gesamte Feuerholz in der wetterfesten Hütte auf dem Campingplatz verraucht ist, verlassen wir Pucon. Zum Abschluss finden wir ein wahres Kleinod am Strand auf halbem Weg zur Hauptstadt. Gern würden wir verlängern, auch angesichts des geradezu lächerlich guten Wetters, doch drängt ausgerechnet jetzt die Zeit. Hoch türmen sich die Wellen, weitläufig brandet das Wasser auf dem schwarzen Strand. Die gesamte Küste gilt als ausgesprochen gute Wahl, für all jene, die es mit den Wellen aufnehmen wollen. Die Saison beginnt in wenigen Wochen.
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Ohne Fahrzeug, das wir schadlos nach über 4000 Kilometern in Santiago abgegeben haben, erreichen wir Valparaiso. Der Name klingt verheißungsvoll, die Stadt ist es überraschenderweise nicht. Keine zwei Stunden liegt sie vor Santiago an der Küste und ist den Einheimischen gleichermaßen Rückzugsort, wie den vielen Touristen das Versprechen einer der schönsten Städte des Kontinents. Rau und unverbogen, mitunter bunt und lebhaft, wie die chilenische Seele selbst soll sie sein. Zwar fehlt es weder an Kultur und Stil und erst recht nicht an erinnerungs-würdigen Grafittis, wohl aber an dem Grundgefühl, das ihrem Versprechen gerecht wird. Steil winden sich die Straßen die Hänge hinauf, die von den Passanten mit vielen kleinen Standseilbahnen überwunden werden müssen. Wer wartet, trinkt derweil Kaffee. Würde man nicht so eindringlich gewarnt, könnte man meinen, sich an einem der beschaulichsten Fleckchen dieser Erde zu befinden. Und doch ist die Kriminalität hoch, abermals in Südamerika und umso überraschender für das Land. In einem kleinen Restaurant unterhalten wir uns mit zwei Kubanern, einem jungen Paar. Er ist Ingenieur, sie studierte Juristin und doch schaffen sie hier in einer gut besuchten Kneipe. In der Heimat hielt sie nicht viel, der Lohn sei eben auch für Akademiker geradezu unterirdisch. Ob es leicht war ein Arbeitsvisum für Chile zu bekommen, fragen wir. Immerhin sei es ja ein Sehnsuchtsort für so viele Menschen dieses Kontinents. Ja schon, sofern man vorhabe sich in gering bezahlten Branchen zu verdingen. Und doch hoffen beide auf eine Anstellung, die ihrer Ausbildung entspricht. Da man dort beinahe ausschließlich mit Chilenen konkurriere, seien die Aussichten aber wesentlich trüber und die Hürden ungleich höher. Noch hätten sie Zeit zu warten, erklären sie betrübt und auf einer bessere Perspektive hoffend. Denn natürlich könne man sich hier mit einem geringen Gastronomielohn nicht allzu viel leisten. So wohne man da, wo es heikel sei. Daran müssten sie sich als Kubaner auch ersteinmal gewöhnen, denn ihre Heimat sei zwar arm, aber eben auch absolut sicher. Kriminalität, wie man sie hier und woanders fände, gäbe es da schlicht nicht.
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Weil uns der Hafen nicht sonderlich rundfahrtstauglich erschien, fahren auch wir nun mit einer der Ascendores genannten Bahnen die Hügel hinauf. Wollten wir zurück, müssten wir mit selbiger auch wieder hinunterfahren. Das erscheint uns zu langweilig, weswegen wir uns für einen kleinen Spaziergang vor den alten und bunten Fassaden der Stadt entscheiden. Gar nicht soweit weg wohnte auch einst der berühmte Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger Pablo Neruda und ließ sich beim Blick auf die Stadt zu seinen gedankenversunkenen Versen inspirieren. Ob ihm heute noch viel einfallen würde, können wir kaum ermessen und doch waren es ja zumeist die Widersprüche zwischen Ruf und Wirklichkeit, die einem Literaten das nötige Subjekt schufen. Gerade als wir überlegen, statt der ersten richtigen Straße, die wieder hinab in die tieferliegende Ebene der Stadt führt, doch noch ein wenig weiter zu laufen, läuft uns ein Mann hinterher. Das Auto hat er gerade warnblinkend abgestellt, um uns zu warnen. Auf keinen Fall sollten wir genau diese Straße weiterlaufen, denn gerade weil es kaum Wege hinab gäbe, sei sie eine Falle. Man würde uns mit Sicherheit überfallen, auch um diese Zeit. Die Warnung hilft. Auf direktem Wege laufen wir zurück und wissen nun nicht mehr, was wir uns überhaupt noch anschauen wollen. Valparaiso ist uns, trotz all der Geschichte und des guten Rufs, eine wahre Enttäuschung.
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Am nächsten Morgen fliegen wir nach Punta Arenas, soweit südlich, wie man es sich geradeso vorstellen kann. Feuerland liegt in Sichtweite, es wäre das letzte bisschen Erde, vor dem grauen Südpolarmeer und dem menschenverschonten Land im Eis. Wir haben uns bei Gabriella eingemietet, einer Lehrerin, die selbst schon weit gereist ist und uns etwas Ruhe verspricht. Manon und Thomas reisen derweil weiter, nach Puerto Natales, sicher schöner, teurer und Ausgangspunkt der Torres del Paine Wanderung, denn ihre Zeit drängt mehr als unsere. Wir wollen ihnen erst in einer Woche folgen. Die Stadt selbst hat nicht viel zu bieten, außer eine gigantische zollfreie Shoppingmall und gutbezahlte Jobs. Ein einsam vor sich hinrostender Kahn deutscher Bauart ist die größte Attraktion.
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Die Heizung ist nun unser bester Freund und läuft beinahe durchgehend. Das Land sei reich an Erdgas, erklärt uns Gabriella, und die Art der Teilhabe bestünde hier in einem de facto nicht existenten Preis für den Bezug. Außerdem seien die Mieten hier günstig und das Land weit. Somit hielten sich die Lebenshaltungskosten in Grenzen, einzig die etwas teuren Lebensmittel seien ein Kostenfaktor. So habe das Leben hier unten eben seine Vorzüge. Einzig ein wenig einsam sei man hier, selbst für chilenische Verhältnisse. Jeher sagt man den Chilenen eine gewisse Eigenbrödlermentalität nach. Tags darauf besuchen wir das örtliche Schiffsmuseum. Dort liegen Nachbauten der Schiffe von Magellan, Darwin und Shakleton trocken im moosigen Sand und vor viel zu kaltem Wasser. Der Wind pfeift so heftig, dass uns auch das Schiffsdeck und deren kleine Türen und Leitern keinen zufriedenstellenden Schutz bieten wollen. In diesen Dingern sind die wirklich um die Welt gesegelt. Beinahe 500 Jahre ist es nun her, dass Ferdinand Magellan im ältesten der drei Kähne und unter Bedingungen, die erst das Museum selbst vorstellbar macht, durch die von ihm entdeckte Meerenge segelte. Ungläubig staunen wir uns durch die engen Räume, können kaum glauben uns über Monate allein in ihrem Inneren aufzuhalten. Einmal zu See gelassen, gliche der Ort einem Raumschiff. Allein getragen von den Elementen und der Zuversicht des Steuermanns, wäre der menschengemachte Boden das letzte bisschen Halt in einer so gänzlich lebensfeindlichen Umgebung. Auf dass die Wände halten und sich die Stürme ein anderes Opfer suchen mögen.
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Klein und beinahe unscheinbar wirkt auch ein Nachbau jenes Bootes, mit dem Ernest Shakleton vollbrachte, was bis heute beinahe unglaublich scheint. Seine Tat, gepriesen als die wohl größte Segelleistung aller Zeiten, wirkt umso beeindruckender, angesichts des gerade einmal 6 Meter langen Bootes, das da vor uns liegt. Die ganze Geschichte wiederzugeben, würde abermals den Umfang eines Berichtes sprengen, und doch sollte sie jeder einmal lesen. Einst als Kapitän einer Polarmission gestartet, wurde er im Wahnsinn des ersten Weltkrieges am anderen Ende der Welt schlicht vergessen. Das eigentliche Schiff, die Endurance, wurde erst im Eis eingeschlossen und sank wenig später. Nach insgesamt anderthalb Jahren, die Shakleton bei Minusgraden wartend im Packeis ausgeharrt hatte, entschloss er sich zu einer beinahe 2000 Kilometer langen Überfahrt bei schwerer See durch den arktischen Winter. Sein Ziel war die winzige Insel Südgeorgien, wo es eine Walfangstation gab. Sie zu verfehlen war angesichts der See, des Bootes, der ausgezehrten Mannschaft und schwer eingeschränkter Navigation nur logisch, und doch gelang Shakleton das beinahe Unmögliche. Weitere vier Monate und einige Versuche später, konnte die gesamte Mannschaft lebend gerettet werden. Die Fotos aus dieser Epoche sind die wohl letzten Zeugnisse einer Zeit, in der noch nicht jeder Winkel dieser Welt vermessen und erlebt wurde.
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Als wir Punta Arenas verlassen, wollen wir abermals ein eigenes, wesentlich kleineres Abenteuer wagen. Die Wanderung durch den Torres del Paine Nationalpark. Sie ist eine der populärsten mehrtägigen Wanderrouten der Welt und inzwischen auch für normale Wanderer einfach zugänglich. Das Ausgangsörtchen Puerto Natales bietet alles an Unterkünften und Infrastruktur, um das passende Wetter abzuwarten und die dafür nötige Ausrüstung zu organisieren. Wir selbst leihen Zelt, Kocher und dickere Schlafsäcke. Nach weiteren vier Tagen, die wir in der Hoffnung auf körperschonenderes Wetter ausharren, beginnen wir unsere Tour. Alle Campingplätze haben wir vorab buchen müssen, die aberwitzig teure Fähre zum eigentlichen Ausgangspunkt verkneifen wir uns. Mit ihrer Hilfe hätten wir einen ganzen, vergleichsweise öden Wandertag sparen können, doch darauf verzichten wir gern. Eher essen wir das Geld, einigen wir uns und sparen 60 Euro für eine halbstündige Überfahrt!
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Ein wenig schwach fühlen wir uns ja schon, misst man unser Leiden mit dem jener Entdecker und Eroberer, die vor uns diesen Kontinent bereisten. Und doch drückt das Gewicht auf den Schultern, zerrt der Wind an den Kleidern und hängt der Regen stets bedrohlich in der Luft. Ganze siebzehn Kilometer trennen uns vom ersten Campingplatz und gerade bläst uns ein halber Sturm steil entgegen. Den Kauf von Regencapes hätten wir uns besser verkniffen, denn kaum, dass wir sie umzulegen versuchen, reißen sie auch schon. Ich habe mich richtig satt – spätestens als mir im Hocken auch noch die Hose reißt. Wind und Regen sind die maßgeblichsten Elemente Patagoniens und bestimmen über Glück und Unglück auf den vielen Wanderrouten im Gebiet. Und gerade fühlen wir uns recht unglücklich. Und auch wenn der Regen, der uns staubig und beinahe horizontal entgegenweht sein Übriges zu unserem Gemüt beiträgt, weitet er sich doch nie zu einem echten Schauer aus. Auf dem flachen Land der bergabgewandten Seite wären wir ihm schutzlos ausgeliefert.
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Nur langsam kommen wir voran, denn das Gefühl des flüssigen Laufens will sich angesichts des Gegenwindes einfach nicht einstellen. Im Schlamm sehen wir die Fußabdrücke des größten Raubtieres, dem wir hier begegnen könnten: dem Puma. Allzu viel Angst brauche man nicht zu haben, denn Pumas jagen keine Menschen. Zum Glück scheinen die nicht zu wissen, dass sie es mit ihrer Größe und ihrem Gewicht von etwa 50 bis 90 Kilogramm problemlos könnten. Nicht die Spur einer Chance hätte man. So rufen wir uns die Warnhinweise aus den Karten ins Gedächtnis – Hände hoch und böse rufen – und hoffen auf eine Begegnung. Etwa 5 Stunden später erreichen wir unser erstes Etappenziel.
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Unser Zelt schlagen wir für zwei Nächte auf, denn morgen wollen wir lediglich in ein Gletschertal wandern. Das Gepäck bleibt dankbarerweise zurück. Während wir uns Dosenfisch mit Couscous kredenzen, kommen wir ins Gespräch mit zwei anderen weltreisenden Deutschen. Unsere eigene Reise neigt sich dem Ende entgegen, ihre beginnt. Über eine Plattform haben sie das Auto einer anderen ehemals Gereisten gefunden, das sie nun für wenig Geld am Ende der Welt erstanden haben. Komplett ausgebaut wartet es darauf, nun wieder jene Richtung einzuschlagen, aus der es kam. Ein bisschen neidisch sind wir ja schon.
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Über Stock und Stein zieht sich der Weg zum Gletscher, den wir schon aus vielen Kilometern sehen können. Im Vergleich zu seinen Brüdern auf argentinischer Seite wirkt er mickrig, in den Alpen wäre er berühmt. Wie viele andere nimmt er seinen Ursprung an den gar nicht mal so hohen, aber eben niederschlagsreichen Hängen der umliegenden Berge und kalbt nun reichlich Eis in den See zu seinen Füßen. Und ständig schwindet er. Gerade an seinem Beispiel lassen sich die Folgen der Erderwärmung gut erklären. In wenigen Jahrzehnten wird er verschwunden sein und Teil einer Erinnerung, an das ehemals so mächtige Inlandeis des südlichsten Südamerikas.
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Der dritte Tag beginnt mit bestem Wetter. Wir haben es wohl ausgestanden, denn die nie so genau vorhersehbare Sonne lässt sich blicken und taucht die Seen in das malerischste Blau aller malerischen Seen unserer Reise. Die Wege sind schmal und noch immer weithin gekennzeichnet vom Unglück der letzten Jahre. Ein Volltrottel, den man auch als genau das bezeichnen sollte, was er eben ist, brannte den halben Park nieder, weil er unbedingt sein Toilettenpapier vernichten wollte. Ein wenig Buddelei hätte es wohl auch getan. Weil ein Zugang für die Rettungskräfte in den zerklüfteten Park beinahe unmöglich ist, musste man mehr oder weniger zusehen, wie der Wind das Feuer immer weiter in den Park hineintrieb. Nun ist so ziemlich alles verboten, was unter vorausgesetzter Vernunft durchaus erlaubt sein könnte. Hinter einem rauschenden Bachlauf rasten wir. Die Stelle ist gleichermaßen der Abzweig in ein höher gelegenes Tal, als auch einer der wenigen kostenlosen Campingplätze. Eigentlich sollte er ja genau deshalb voll sein, glauben wir. Ist er aber nicht. Denn einerseits muss ein vorab gebuchter Schlafplatz schon bei Betreten des Parkes nachgewiesen werden. Andererseits kann man dies nur bei einem der beiden großen Anbieter im Park, die beinahe das gesamte Gebiet unter sich aufgeteilt haben. Und natürlich sind die wenigen staatlichen Campingplätze schon auf Nachfrage ausgebucht. Die Bürokratie in Chile genießt einen einschlägigen Ruf - sie ist im Allgemeinen ein organistionsverhinderndes Instrument, als ein -schaffendes. So diktieren nun zwei Privatunternehmen die Preise, die viele der Besucher gerne zu zahlen bereit sind.
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Spät erreichen wir unsere Unterkunft, die malerisch über die Ufer des Nordenskjold Sees blickt. Heute Nacht wird es kalt werden, doch schon der nächste Morgen wird für die erlittenen Qualen entschädigen. Noch ist es gerade eine gute Tageswanderung bis ins letzte Quartier, die Türme von Paine bereits im Blick. Um ihnen naher zu kommen, brechen wir am Morgen auf. Eingeplant sind gute drei Stunden Aufstieg. Je näher wir ihnen kommen, desto mehr staut sich der Verkehr. Die schmalen Pfade werden immer abenteuerlicher und lassen kein spontanes Überholen zu. Wir hängen hinter riesigen Gruppen von Tagestouristen fest, die stramm hinter ihren Führern eingereiht langsam in die Höhe kriechen. Wir müssen es aushalten und erreichen den höchsten Punkt knapp hinter unserer Zielvorgabe. Gerade eine gute Stunde bleibt uns, doch die lässt sich auskosten. Majestätisch ragen die drei Spitzen über uns gute 1700 Meter in den Himmel. Steil haben Gletscher, von denen wir keinen mehr sehen können, das Gestein ausgeschürft und vor sich hergetragen. Heiß ist es in der Sonne, eisig im Schatten. Als wir umkehren, schauen wir zurück, ein letztes Mal, bevor wir all unsere Energie und Konzentration auf den Abstieg richten müssen. Viel Aufwand war es für einen kurzen, wenn auch eindrücklichen Moment.
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Die Sonne senkt sich bereits in der Ferne, als wir in den Bus zurück nach Puerto Natales steigen. Es ist ein weites Land, eines, das noch immer eher die Menschen beherrscht, als dass es von ihnen beherrscht wird. Wer hier ist, der weiß warum, denn kein Zufall könnte ihn tragen. Die Landschaft freilich vergeht nicht so schnell, denn sie zieht sich auf argentinischer Seite noch Tausende Kilometer in den wärmeren, gemäßigteren Norden. Wir blicken den letzten Wochen einer gewaltigen Reise entgegen, wollen und werden das Nachbarland Argentinien zu unserer letzten Station auf dem Kontinent machen. Wenn das Land der Gauchos für uns das Ende und den Abschied bedeuten, dann war Chile mindestens ein guter Anfang. Hasta luego, Chile. Hola Argentina.
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