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Auf dem Weg um die Welt


​...und zu allem was dazwischen liegt

Auf nach Peru - von Lima in die Berge...

11/11/2018

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Wir schlendern durch die Häuserschluchten der peruanischen Hauptstadt, deren trister Himmel graue Schwaden durch alle Straßen schickt. So dicht am Meer mag das normal sein, genau wie das Wetter. Kühl zieht es in die Glieder, feucht bleibt es an der Kleidung hängen. Untergekommen in einem der bourgeoisen Viertel der westlich anmutenden Innenstadt, kommen wir noch immer an. Gelandet sind wir schon gestern nach überraschend langem Flug. Dreieinhalb Stunden zwischen Bogota und Lima, die doch einzig das eher winzige Ecuador überbrücken und so ein bisschen peruanischen Norden. Südamerika bleibt ein Ort ausgearteter Distanzen, deren Passagen erschwert werden von Bergen und wilder Natur. Die Entscheidungen abermals zu fliegen fiel deshalb umso leichter, denn der Landweg hätte uns wohl stattdessen dreieinhalb Wochen gekostet. Und ein paar zusätzliche Nerven, denn Ecuador hat wohl ein empfindliches Sicherheitsproblem, gerade in Bezug auf den Tourismus. Nichts Ungewöhnliches soweit und doch eine dankbare Entscheidungshilfe.
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Was den Nachbarländern noch immer an Tourismus fehlt, ist schon im Zentrum unübersehbar. Nicht wenige sind es, die ihre Machu Picchu Traumreise mit einem zeitweiligen Aufenthalt in der Hauptstadt verbinden. Ihrem Bedarf folgt das Angebot an doch recht schönen Unterkünften und Lokalen. Zudem hat sich, völlig überraschend für die noch immer von Mangel geprägten Lebensumstände der meisten Peruaner, ein recht westliches Leben in und um die Stadtteile Miraflores, San Isidro und Barrancas etabliert. Die für südamerikanische Verhältnisse geradezu berühmte Küche, entstanden aus der Verschmelzung alter Inka Gerichte und deren Zutaten, als auch die Einflüsse europäischer und ostasiatischer Emigranten, tut dem ihr Übriges. So sind auch wir auf der Suche nach einem sinnbildlichen Vorgeschmack. Beginnen wollen wir mit Ceviche, jenem rohen Fischgericht, dem der Ruf der unerwarteten positiven Überraschung vorauseilt. Paula hatte es uns in Kolumbien uneingeschränkt empfohlen - wir sollten uns nur nicht verunsichern lassen, ob seiner kritisch anmutenden Zubereitung aus eben rohem Fisch. Dieser wird zumeist gerade auf Matjeshäppchengröße zerteilt und mit 'Leche de Tigre' titulierter Zitronen-Koriandermarinade angegossen. Serviert wird das Ganze dann auf reichlich roten Zwiebeln, einer gedämpften Süßkartoffel und gern auch in Kombination mit gebackenen Meeresfrüchten. Nach soviel Einleitung ist das Ergebnis wenig überraschend schlicht überragend. Und, es mag an unserer argwöhnischen Auswahl der Lokale oder an der desinfizierenden Wirkung der Tigermilch liegen, auch kaum bedenklich. Nicht ein einziges Mal hatten wir Probleme mit explizit diesem Gericht.
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In den wenigen unbesorgt begehbaren Straßen der Innenstadt feilschen die Wirte um Kundschaft. Dicht an dicht reiht sich ein Lokal an das andere, einzig unterscheiden sie sich in ihrer Ausstattung. Plüschsessel für die Bequemen, überdimensionierte Flachbildfernseher für die Begeisterten, kleine Tische in den Promenaden für die Neugierigen. Wir wählen einen Platz dazwischen, denn wir sind wohl von allem ein wenig. Die Preise sind höher, als sie sein müssten, was sie mit Kombinationen zu kaschieren versuchen. Unsere beinhaltet einen weiteren Schlager Perus, den Pisco Sauer genannten Cocktail aus Rohrzucker, Limette, Rum und schaumig geschlagenem Eiweiß. Ohne letztere, wären sie einzig Limonade, kaum weniger lecker, wenn auch weniger nachwirkend. Und doch klingt keine der Zutaten für sich teuer genug, als dass sie die allzu oft aufgerufenen Preise rechtfertigen könnte. Einem passionierten Cocktailschlürfer mögen sie wohl noch immer günstig erscheinen.
Der Spaziergang an der steilen Küste kann uns wenig begeistern. Die Blicke schweifen hinaus aufs Meer, das dieser Tage grau und trist erscheint. In dieses Wasser bekäme uns keiner, denken wir. Optisch kalt zieht es in langen Wellen gleichmäßig dahin und verschwindet grau im Horizont. Die Farbe mag noch nicht einmal mit potenzieller Verschmutzung zu erklären sein, eher mit fehlender Sonne und chronischer Tristesse. Doch das ist hier wohl einfach so. Die blaubehimmelten Postkartenpanoramen, die wir hier und da auf Karten oder Werbewänden entdecken, wurden wohl an den wenigen Sonnentagen aufgenommen, die sich trotz allem ab und an in die Millionenstadt verirren. Die Surfer mag es kaum stören, wenn wir auch heute keine erspähen. Die längsten Wellen der Welt könne man hier und in unmittelbarer Umgebung reiten. Von bis zu sechs Minuten lesen wir, zwei wären schon recht lang, erfahren wir später aus erster Hand. So laufen wir weiter durch die gestreckten Parks, die sich oberhalb der Klippen an der Küste dehnen. Zwischen Bäumen haben ein paar Slagliner ihren Gurt gespannt und faszinieren ein beachtliches Publikum. Seiltänzer würde man sie heute nennen, wenn auch die wesentlichen Unterschiede den Einstieg erleichtern. Kein Seil, keine Stangen, wenig Höhe. Der Unterhaltungswert scheint der gleiche, ihr Können, ihre Körperbeherrschung mindestens beachtlich.
Im Museum der neuen Künste lassen wir Peru hinter uns, wenn auch nur für zwei Stunden. Der Ort wirkt so westlich, so abgeschieden von der Realität des noch immer armen, von alten oder fremden Kulturen bestimmten Landes, wie er geradeso sein könnte. Das Thema sind optische Illusionen, eingebettet in graue, verlassene Warenhäuser, alte Hallen, kalte Räume. Kleine optische Denkaufgaben sind sie für die staunenden Betrachter. Wenn auch Lima unser erster Berührungspunkt mit dem Land selbst ist, so wirken im Rückblick die modernen Viertel der Stadt wie optische Täuschungen innerhalb dieses von Traditionen besessenen Landes. Noch immer sind die Bräuche der Inka allgegenwärtig, ihre Straßen sichtbar, ihre Sprache verbreitet, ihre Medizin geschätzt und deren praktizierende Medizinmänner umso mehr. Kleine Götzen wie die Ekekos konnten sich gegen die alles vereinnahmende Kirche wehren und finden sich nun Seit an Seit mit deren sämtlichen Heiligen. Noch immer ist sie stark im Land wie auch auf dem ganzen Kontinent. Ein Paradoxon, hierzulande umso mehr, bei all dem Leid, das sie brachte. Bilder des letzten Papstbesuches hängen allerorts, plakatiertes Zeugnis unzweifelhaften Glaubens in oder an was auch immer. Zwei Millionen waren da, was für ein Ereignis. Sein oberster Vertreter nur einer der Besseren unter den viel zu vielen ganz und gar Verirrten. Warum, mag man fragen, hier wie auch woanders. Tradition, die einzig glaubhafte Antwort, einfach weil es schon immer so war.
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Beim Frühstück treffen wir einen Chilenen, Claudio vermutlich sein Name, und zwei Italienerinnen. Erster hält uns immer wieder mit seinen Ausflüchten ins Uninteressante auf, während wir uns mit den anderen beiden zu unterhalten versuchen. Eine Unart, an die sich jeder selbst einmal erinnern sollte und der man am besten mit der Beobachtung der zu Unterhaltenden begegnet. Mich selbst hat diese Beobachtung ruhiger gemacht, vielleicht auch langweiliger, aber sicher besser erträglich. Jedenfalls sind die beiden Italienerinnen nur eine Italienerin und eine Spanierin, die die wirtschaftliche Lage ihres Heimatlandes in die Altenpflege der italienischen Provinz verschlagen hat. Beide sind sie Kolleginnen und inzwischen wohl auch gute Freundinnen. Für die großen geteilten Beobachtungen sind wir alle noch zu kurz im Land, so grübeln wir über die Tagesplanung. Claudio meint, wir sollten doch in diese oder jene Cevichebar, am besten um diese oder jene Zeit und schließt mit der Bemerkung, dass sie wohl doch sehr teuer sei, aber er sich das ab und an gönne. Bevor er versucht ist, uns eine günstigere zu empfehlen, beschließen wir gemeinsam den Tag zu verbringen und ins historische Zentrum zu fahren - ohne Claudio.
Der Plaza de Armas wirkt angesichts seines Pomps weniger geschäftig, als vorab zu erwarten war. Einzig Schüler- und Touristengruppen drängen sich auf den engen Gehwegen, dicht an dicht, um jeden und alles zusammen zu halten. Ein paar Gelangweilte sitzen auf den Bänken, unter ihnen mit statistischer Sicherheit auch der ein oder andere Beutegreifer. Im trainierten Reflex wandert Francescas Rucksack nach vorn, Limas Ruf ist dann doch einschlägig. Schon jetzt verdingt sich die Polizei, von der wir wenig sehen, eher im Schutz seiner Besucher, als im offenbar ganz und gar nutzlosen Schutz der Bewohner. Die für unsereins unbegehbaren Viertel liegen nur wenige Kilometer entfernt. Eine Masche ist daher, wie wir lesen, Unwissende als Begleitung irgendwie aus der sicheren Zone zu locken. Ängstliche Damen, die sich des Nachts nicht allein nach Hause trauen, bitten dann einfältige Touristen um Hilfe. Uns wundert es, dass dieser Trick funktioniert, denn zu durchschaubar erschiene uns der Wunsch, egal wie angebracht er wäre. Man lernt eben nie aus – wie nirgends in Lateinamerika.
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So begegnen wir schon bald einer weiteren Widrigkeit des Landes, denn so ziemlich alles mit touristischem Wert, egal ob Kirche oder Berg, ist mit einem saftigen Eintrittspreis versehen. Allzu schwer wiegt unser Urteil schließlich nicht, denn das Land ist arm und der Tourismus wohl die einträglichste Geldquelle. Was wäre Peru nur ohne Macchu Pichu, ohne Cuzco und all die anderen teuer bezahlten Sehnsüchte. Mit Sicherheit sparen die vielen Flug- und Traumreisenden nicht an den für sich genommen überambitionierten Eintrittsgeldern. Wir schon, weil wir müssen und inzwischen auch wollen. Und doch macht es das Land schon bald zu unserer bisher teuersten Station.
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Eigentlich wollen wir in die Große Kathedrale, die hauptsächlich für die sterblichen Reste von Francisco Pizarro berühmt ist. Doch angesichts des Preises erscheint er uns allen gerade weniger wichtig. Er ist nicht weniger als der Hernan Cortez Perus. Ein Conquistador, wenn auch mehr Eroberer als Schlächter und mit seinem Vorbild sogar vage verwandt und bekannt. Wie eben jenem Cortez gelang es auch Pizarro mit gerade einmal zweihundert Mann den damaligen Herrscher Atahualpa, kurz: Inka, zu ermorden und folglich ein Reich von 6 Millionen Untertanen zu erobern. Da wie auch überall sonst in Lateinamerika nur wenige Indigene die Spanier und ihre Kirche überlebten, erscheint es umso infamer, ihm hier im Herzen der Stadt ein Denkmal zu widmen. Und doch belegt uns das Symbol die kulturelle Ferne der Küstenstädte zum Rest des Landes.
So übergehen wir die Kirche, die mit Sicherheit auch im Inneren kunstvoll den Reichtum und das Handwerk ihrer Erbauer zur schau stellt. Stattdessen landen wir in einem Lokal, auch weil heute irgendein Feiertag ist und uns der Hunger quält. Um die Verpflegungskosten gering zu halten, bestellen wir das Tagesmenü, wie im Reiseführer beschrieben stets eine gute Wahl. Zum ersten Mal kommen wir so in Kontakt mit dem eigentlichen Nationalgericht 'Aji de Gallina' - gesprochen Ahi de Gajina. Ähnlich einem Frikassee ist es uns, egal wo wir es essen, eine Offenbarung. Folglich beeinflusst die Frage, ob jenes Gericht Bestandteil des heutigen Tagesmenüs ist, grundsätzlich unsere Restaurantwahl. Gesättigt laufen wir durch die Stadt, die unmittelbar abseits des historischen Zentrums, außerhalb der Paläste und Kirchen schon weit weniger einladend aussieht. Noch sind zu viele Menschen unterwegs, als dass wir uns fürchten müssten. Ein Wasserpark, ausgebreitete Naherholung mitten in der Stadt mit Fontänen, Brunnen und einer achtspurigen Hauptverkehrsader nebenan, nimmt uns dieses Gefühl. Wer sich mal eben vor der Staatsmacht verstecken wollte, täte es genau hier. Hohe Zäune, die vermutlich die Unbeliebten draußen halten sollen, bewirken das Gegenteil, geben uns ein Gefühl des Eingesperrtseins und nehmen uns stattdessen das Gottvertrauen in die eigene Sicherheit. Unverzichtbar ist es für jeden Auswärtigen, für die neutrale Betrachtung eines solchen Ortes in einer Stadt wie dieser. Irritiert fragen wir uns nach draußen. Da schließlich auch noch das Museum der Künste ausgerechnet heute wegen Bauarbeiten geschlossen hat, fahren wir wieder zurück.
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Über das Internet haben wir die Tickets für die Weiterfahrt bereits gebucht, eine unbegründete Vorsicht. In aller Frühe fahren wir mit dem Taxi ans andere Ende der Stadt. Denn nicht jeder Bus fährt auch von jedem Terminal. Viel eher hat jeder Busanbieter ein eigenes kleines Terminal, irgendwo in diesem verstopften Gewirr aus Straßen und Pfaden. Ein Pragmatismus, so unglaublich wie wahr. Knapp eine Stunde sind wir unterwegs, in der wir uns abermals von der schockierenden Hässlichkeit Limas abseits des historischen oder modernen Zentrums überzeugen können. Offenbar fehlt es an allem, an Planung, an Regeln, gerade auch an Licht und Luft. Ein Hauch von Indien weht durch die Straßen, vielleicht auch ein Sturm. Ich hätte nicht gedacht, dieses Gefühl nochmals zu erleben, sage ich zu Xenia. Sie nickt. Die Städte hier sind doch alle gleich, gerade die großen, sagt sie. Wie Geschwüre wachsen sie in die Landschaft. Die Menschen kommen noch vor den Häusern, die Häuser kommen noch vor dem Strom, vor dem Wasser und zwischen allem liegen Jahre. Ja, sage ich. Am Ende sind sie alle gleich, manche aber gleicher. Die Einwohnerzahl hat sich derweil in den letzten 60 Jahren verzehnfacht, welch Überraschung. Zahlreiche Landeskrisen drängten die Bevölkerung in die Stadt, bis zu 200.000 im Jahr. Schon in den achtziger Jahren, als die Stadt kaum drei Millionen Bewohner zählte, hatte die Stadtverwaltung beschlossen, dass Lima nicht weiter wachsen dürfe. Ganz offensichtlich erfolglos. Noch immer ist der riesige Unterschied zwischen armer und reicher Bevölkerung der größte Konfliktherd, gerade was illegale Landbesetzung betrifft. Die Luftverschmutzung ist schlicht enorm und gefühlt das Heftigste, was wir je geatmet haben. Noch vor Indien. Eine Feinstaubdebatte nach deutschem Vorbild, wäre purer Sarkasmus. Während wir in gemäßigter Flachatmung über deutschen Obergrenzenwahn philosophieren, schiebt ein armer Bursche seinen mobilen Cevichestand durch das schmutzig bunte Gewirr und den gelben Staub. Ein Sinnbild.
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Wir haben genug vom Moloch und wollen in die Berge. Deren höchste und schönste liegen im Norden in der Cordillera Blanca, dem weißen Gürtel. Wenn wir also weiter nach Süden, unserem Fernziel entgegen reisen wollen, müssen wir die Hauptstadt noch einmal kreuzen. So schlängelt sich der Bus schon bald genug der Natur entgegen. Huaraz ist das größere Zwischenziel, Caraz vorerst das Ende. Zwischen beiden Orten liegen gerade einmal zwei Stunden. Und doch nächtigen wir vorerst in Huaraz. Abermals biegt der Bus in irgendeinen Hinterhof ein, der als Terminal der gewählten Busflotte dient. Der gesamte Ortskern scheint dem Höhentourismus gewidmet, anderweitige Gewerbe erscheinen in diesem mittelgroßen Nest geradezu absurd. In den Straßen sitzen die Wollverkäufer vor ihrer Auslage. Dunkel ihre Gesichter, groß die Hand, rau die Haut. Die Frauen haben ihr Haar in lange dunkle Zöpfe geflochten, die sich an der Spitze vereinen. Einem Symbol gleich tragen sie ihren Hut, der in ganz Peru verbreitet ist und darüber hinaus regional unterscheidbar ist. Sie sind die Cholitas. Einst war der Begriff allein angepassten Frauen indigener Herkunft vorbehalten, nun ist er das Sinnbild einer jeden Traditionalistin Perus und Boliviens. Statt ihrer Trachten tragen sie einen speziell gewickelten Rock, der bis zu 10 Unterröcke überdeckt und der jeder Frau ein prinzipiell rundliches Erscheinungsbild verleiht. Zudem einen obligatorischen Schal und eben jene Hüte. Diese haben stets eine Krempe und oft als Melonen- oder Zylinderhüte gefertigt. Beinahe ein Scherz ist der Ursprung dieser wunderbaren Tradition. Einst versandte eine italienische Hutfabrik versehentlich einen ganzen Container Melonenhüte nach Bolivien. Da der Rücktransport zu teuer und sich die Ware außerhalb des hiesigen Männergeschmacks bewegte, wurde er den Damen als exklusive Hutmode aus dem Erzeugerland verkauft. Weil die Ware reißenden Absatz fand, fingen die Bolivianer selbst an, diese Hüte herzustellen. Sie verbreitete sich unter der gesamten indigenen Bevölkerung und wird heute beinahe ausschließlich von ihr getragen.
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Wir bezweifeln, dass die Entstehungsgeschichte dieser Tradition sonderlich verbreitet im Land ist. Für die Indigenas spielt sie wohl auch keine größere Rolle, ihr Gewerbe wohl schon. Was wir in den kommenden Wochen an Wollwaren finden, übersteigt in seiner Kreativität und, den entsprechenden Preis vorausgesetzt, auch in ihrer Qualität jede westliche Erwartungshaltung. Von den teuren Waren der Boutiquen und der Kooperativen sind die Auslagen, die sich beinahe ausschließlich an Rucksackreisende zu richten scheinen, noch weit entfernt und doch ringen sie um Aufmerksamkeit. Hier ein paar Socken, da eine Weste, alles flauschig, dick und warm. Und natürlich Lama oder das noch teurere Alpaka, wann immer wir auch fragen, egal zu welchem Preis. Obendrauf die andentypischen Inkabommelmütze. Es scheint kein Wunder, dass nach ein paar Wochen schon jeder Reisende das gleiche Erscheinungsbild generiert. Noch halten wir uns zurück, doch bald schon brechen alle Dämme.
Es ist bereits Nacht geworden, als wir unsere karge Unterkunft beziehen. Die bekloppten Köter erwachen und beginnen ihre allabendliche Schicht. Bellend  jagen sie den Vorbeifahrenden hinterher. Eine wahrhaft zufriedenstellende Tat, ist sie doch auch immer von Erfolg gekrönt. Nie einer der aussteigt, der sich erhebt. Weg ist er, endlich! Diese Hunde müssen die glücklichsten der ganzen Welt sein, das denke ich mir immer wieder. Da kommt schon der nächste! Vor dem Hostel tanzen die Frauen zur leiernden Musik aus einem aufgestellten Lautsprecher. Uns wäre es ja zu kalt zum Tanzen, aber die Bewegung muss wohl sein. Schaden tut sie nie. In ihren Gewändern rufen sie in uns Erinnerungen hervor, aus Tibet, dem so anderen Land. Auch die Tibeterinnen tanzen, wenn auch aus eher kollektivem Antrieb in der Kälte. Ein bisschen staatlich animierte Bewegung, mehr nicht. Vor unserem geistigen Auge verschmelzen ihre zaghaften Bewegungen, gleicht sich ihr Schmuck und ihre Erscheinung. Ein Deja-Vue.
Caraz erreichen wir am nächsten Morgen. Ein wesentlich kleinerer Ort, Stadt wäre übertrieben. Wo gestern noch ein wenig Tibet durch die Straßen wehte, ist es heute Indien, an das wir unweigerlich erinnert werden. Denn Caraz ist zu klein für Busse oder Taxen, weshalb es in fester Hand der Tuktukfahrer scheint. Sogar den Fahrstil haben sie übernommen. Wenn auch die vielen Hügel den Tatendrang ein wenig bremsen, so wird spätestens die Bergabfahrt zum Abenteuer. Einzig der Verkehr ist lichter und - warum auch immer - es gibt eine einzige Ampel, deren Signal niemanden interessiert. Vielleicht hätte man das Geld lieber woanders investiert, die Möglichkeiten erscheinen mannigfaltig. In einem Café, das mittags noch recht voll erschien, lotst uns die freundliche Wirtin hinter den Tresen. Hinter der Kasse, zwischen Küche und Privatgemächern beginnt ihre Pension mit vier oder fünf Zimmern im zweiten Stock. Wir durchlaufen den Ort auf der Suche nach einem Supermarkt, den wir erst finden, als wir uns in ein Tuktuk setzen. Erst trauen wir ihnen nicht, die alte Hassliebe aus Indien verhindert eine allzu neutrale Betrachtung, doch der Preis scheint festgesetzt für jede Distanz innerorts. Das abschließende Gefeilsche des Subkontinents hat man dann dankbarerweise doch nicht übernommen.
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Am Collectivostand, der die umliegenden Orte bedient, lernen wir Manon und Thomas kennen, die wie wir zur Laguna Paron wandern wollen. Lagunen haben hierzulande eher gar nichts mit Meer zu tun, sondern bedeuten allgemein Seen, ganz besonders häufig Bergseen. Die Laguna Paron ist darüber hinaus mehr als berühmt, beinahe ein jeder hat sie schon einmal gesehen, sofern er Kinofilme schaut. Und zwar bildet sie das bekannte Intro der Paramount Pictures, deren Sterne erst bildgewaltig über den blauen See gleiten und sich danach über dem Berg Artesonraju platzieren. Die beiden Franzosen befinden sich noch am Anfang einer dreimonatigen Südamerikareise, wie sie uns erzählen. Die Wanderung zur Lagune begründet ihren ersten größeren Ausflug in die Berge Südamerikas. Wir seien zwar auch keine ausgewiesenen Wanderer, aber dennoch schon etwas erfahrener, erklären wir. So beschließen wir, gemeinsam die Lagune zu erklimmen. Der Weg ist steil und staubig, nur gelegentlich bilden abzweigende Wege eine Alternative zu den fahrbaren Serpentinen am Hang. Die Wanderroute verlangt uns einiges an Willen und Geduld und erst nach drei ermüdenden Stunden erreichen wir die Lagune. Derweil überholen uns immer mehr Tagestouristen in ihren bequemen Transportern. Neidisch schauen wir ihnen nach, wie sie wenig materialschonend über die Piste poltern. Endlich angekommen, rasten wir in der strammen Hitze der Bergsonne und schielen auf's blaue Wasser. Der Berg selbst ist wolkenverhangen, was bleibt ist die kühle Luft und die Zufriedenheit selbst erklommener Höhen. Lang bleiben wir nicht, denn der Kopfschmerz zwingt uns zurück. Als wir schließlich auf das selbe Taxi warten, welches uns schon am Morgen zum Ausgangspunkt gebracht hatte, ist er für mich bereits unerträglich. In der abendlichen Sonne fahren wir zwischen roten Feldern hinab ins Tal. Die Menschen schauen uns hinterher, auf dem Acker stehend, mit der Hacke in der Hand. Für sie ist es das harte Leben, für uns eine Sehnsucht, gebucht, befriedigt.
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Weil wir keinen Stress verspüren, rasten wir am nächsten Tag. Unsere neuen Freunde halten es ähnlich. Eigentlich hatten sie erwogen, zur Puyas de Winchus zu fahren, einer Hochebene mit Blick auf die gesamte Cordillera. Die Busfahrt soll abenteuerlich sein, sagt man, selbst für hiesige Verhältnisse. Abenteuerlich ist dabei nur die nettere, die beschwichtigendere Umschreibung, für all jene Dinge, die hierzulande offen gefährlich sind. Doch bleibt uns ihr Erfahrungsbericht verwehrt, weil uns allen der letzte Tag noch in den Gliedern steckt. So grübeln die beiden, was sie noch sehen, noch erwandern könnten, am letzten Tag vor der Weiterreise. Es gäbe da ja noch die andere, eigentlich berühmtere Lagune, hoch oben im Nationalpark. Wesentlich weniger schön soll sie sein, als die letzte, die Wanderung mit Blick auf den Huascaran, den höchsten Berg Perus, dafür umso schöner. Wir lehnen dankend ab. Einmal reicht. Stattdessen machen wir uns auf zur Hochebene, ein Bus hoch, ein anderer zurück. Nur einer. So poltern auch wir am nächsten Morgen die steinigen Wege entlang, beeindruckt von der sich immer weiter steigernden Aussicht, schockiert von der Höhe angesichts unbefestigter Straßen. Nach knapp zwei Stunden verlassen wir den Bus im Nirgendwo.
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Es ist um elf. Dreimal vergewissern wir uns beim Fahrer, dass er auch wirklich wiederkommt. Genau hier, in drei Stunden, seine Reaktion. Nochmals erklären wir, dass wir auch ganz sicher mitfahren würden. Genau hier, in drei Stunden. Si claro, reagiert der Kollege freundlich genervt. Was uns selbst als übertrieben pedantisch erscheint, ist ohne Zweifel notwendig, angesichts der üblichen Sitzverteilung und Beladung. Und auf dem Dach wollen wir keinesfalls landen! Wir sind hinter einem Hügel verschwunden, die Berge ganz und gar außer Sicht. Der Wind weht straff, die Sonne ist verhangen. Drei Stunden, tolle Wurst. Puyas de Winchus heißt die über 4000 Meter hohe Hochebene, doch so eben ist sie gar nicht. Benannt ist sie nach den Puyas, einer bis zu 12 Meter hohen Bromelienpflanze und den Winchus, der größten Kolibriart. Erstere ist eine wirklich erstaunliche Pflanze. Etwa 70 bis 100 Jahre wächst sie Schicht für Schicht, um danach genau einmal zu blühen. Ihr Blütenstand, selbst etwa 8 Meter hoch, enthält bis zu 10.000 einzelne kleinere Blüten, die dann von eben jener Kolibriart bestäubt werden. Dieser, geradezu mystische Anblick bleibt uns heute verwehrt. Und doch sehen wir mehr als genug der majestätischen Pflanzen, denn dankbarerweise sterben sie auch langsam. Gerade als wir den kleinen Hügel überschreiten, der uns die Sicht verbarg, klart der Himmel auf. Beinahe sind wir ergriffen, vom Anblick der Berge und dem größten unter ihnen. Weiß strahlt er uns entgegen, in einem kurzen wolkenlosen Moment. Der Wind trägt freilich immer neue Wolken heran und bald schon werden sie verschwunden sein, die Sonne und der Berg. Hinter einer Mauer rasten wir, wundern uns über die spärliche Bebauung soweit abseits jeglichen Dorflebens.
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Als sie gänzlich verschwindet, ist es noch eine gute Stunde, die wir eng beieinander sitzend im Windschatten der größten Pflanze aushalten. Wir zählen die Minuten, verwahren uns vor'm Frieren. Bald schon laufen wir zurück zur Straße, die selbst wesentlich ruhiger ist, als es noch die Aussicht war. Mit gerade einmal 20 Minuten Verspätung poltert der Kollege uns entgegen, also quasi pünktlich. Zwei Plätze sind noch frei, man hatte unsere Bitte verstanden. Auf dem Dach fährt einer gratis, zumindest hoffen wir es für ihn. Unfassbar, angesichts des Windes, der Straße und des Geschaukels. Am Kollegen liegt es freilich nicht. Unsere Dankbarkeit kennt keinen gebührenden Ausdruck bezüglich seines gemäßigten, geradezu vorsichtigen Fahrstils. Ein anderer hätte uns wohlmöglich wirklich leiden lassen, uns an unserer mühsam antrainierten Vorsicht und Vernunft verzweifeln lassen, mit jedem Blick in kommende Kurven oder hinab in die Schlucht - gerade weil sie ja trotzdem immer ankommen, irgendwie.
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Wir treffen uns in unserem Hauptquartier - einer Pizzeria, die eigentlich ein Reisebüro ist, aber allabendlich eben alles andere. Es ist uns das einzige taugliche Lokal in dem kleinen Ort und empfiehlt sich darüber hinaus mit dem günstigsten Pisco Sauer weit und breit. Neben uns steht der Ekeko, wie in jedem Geschäft oder Haus Perus ist er der kleine Hausgeist, der am besten mit Geld, Zigaretten und Schnaps besänftigt wird. Dafür liefert er Schutz, Glück, gutes Geschäft, Gesundheit und sogar gute Noten - so der Glaube. Einer Legende nach wurde einst ein Dorf feindlich belagert und schon bald litten die Bewohner Hunger. Nur die Frau des Bürgermeisters nicht, auch nach der Belagerung war sie genauso dick, wie zuvor. Als man sie fragte, wie ihr dies gelingen konnte, verwies sie auf ihren Götzen, den Ekeko. Der habe sie gefüttert, weil sie ihm zuvor treu gehuldigt hatte. Keinesfalls kann es der Bürgermeiseter selbst gewesen sein, oder gar der feindliche Kommandant, wie eine alternative Erzählung nahelegt. Der Brauch jedenfalls hat sich erhalten, kein Zweifel hegt das krisengeschüttelte Land an seiner Wirkung. Manon und Thomas haben derweil die andere, noch anstrengendere Lagune erklommen, müde sehen sie aus. Schon am nächsten Tag wollen sie weiter, genau wie wir.
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Der Bus fährt abends und erreicht die Hauptstadt umso früher. Die Wahl fiel dennoch leicht, denn es war der einzige. Ganze sechs Stunden müssen wir auf die Weiterfahrt warten, vier davon gemeinsam. Wir wollen nach Huancayo, die beiden nach Ayacucho. So warten wir vier Stunden gemeinsam, die letzten zwei allein. Ein Neugieriger gesellt sich neben uns, stellt Fragen, die er selbst beantwortet. Dass wir ihn kaum verstehen und sein Selbstgespräch gerade noch mit Nicken und Grunzen beantworten, scheint ihn dabei kaum zu stören. Wann immer wir können, rauchen wir oder trinken Kaffee. Hauptsache außerhalb seiner Reichweite. Der Ärmste von uns, dazu verdonnert unser aller Gepäck zu bewachen, nickt und grunzt weiter.
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Huancayo ist eine größere Industriestadt und Ausgangsort für eine der berühmtesten Schmalspurbahnen der Anden. Durchgängige Zugverbindungen sind den Andenstaaten nämlich fremd und wurden einst prinzipiell nur nach wirtschaftlichem Nutzen errichtet. In zähen 11 Stunden  die eigentlich nur 8 hätten sein sollen, schleicht der Bus unserem Zwischenziel entgegen. Ein steter Stau drängt in die Berge, Überholen scheint unmöglich. So dankbar wir über sichere Fahrten sind, umso mehr verärgert uns eine Karawane aus Schwerstbeladenen. Wir alle fahren so schnell wie sie. Die Stadt selbst ist recht hässlich, den Bewohnern bietet sie bescheidenen Luxus. Sogar die Einkaufsvergnügungsmalls haben es bereits in die Berge geschafft.
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Der Bahnhof ist nicht mehr als eine Halle ohne Bänke, dicht gedrängt in langen Schlangen stehen die Passagiere im Kampf um die günstigsten Plätze ohne Nummerierung in der Holzklasse. Wir sind umso glücklicher, nicht mit ihnen konkurrieren zu müssen. Als sich der Zug schließlich schmalspurschaukelnd in Bewegung setzt, haben wir unsere Nummer, unseren Platz. Sogar Verpflegung gibt es. Woher auch immer finden die auf echten Tellern angerichteten Speisen schadlos zu ihrem Gast - eine beachtliche Leistung von Koch und Kellner, wie wir finden. So schaukeln wir die Schluchten hindurch bis nach Huancavelica, einem winzigen Ort, irgendwo zwischen hohen Bergen. Einst wohnten nur Bergleute in diesen Gefilden auf über 4000 Metern. In den immerkalten Minen des Umlandes förderten sie unter unvorstellbaren Entbehrungen einen bescheidenen Wohlstand, der heute sicher als das Gegenteil wahrgenommen würde. Viel gibt es nicht zu sehen, wenn auch das Städtchen unzweifelhaften Charme besitzt. Eigentlich ist es ein Wunder, dass es heutzutage dennoch seine Besucher findet und deren nicht wenige. Die allermeisten sind Landsleute, die sich wie in den Nachbarländern allmählich den Luxus einer Entdeckungsreise abseits der Geburts- oder Hauptstadt leisten können.
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So sitzen wir auf dem Plaza und beobachten die Einheimischen. Ein spannendes Unterfangen, denn gefühlt verläuft jeder Tag nach seinem eigenen Rhythmus, ungeachtet des touristischen Andrangs. Wir fühlen uns nicht weniger beobachtet, als wir es noch im chinesischen Nichts gewesen wären, nicht minder interessant, als es die verschrobenen Bewohner für uns gerade sind. Die Kirche hat heute geschlossen, wer beten will, der erleichtere seine Seele bitte im abgesperrten Vorraum. Ein paar Figuren, Kränze, Blumen müssen reichen für die notwendige Auslage. Wir können es gar nicht so recht glauben und kommen am nächsten Morgen wieder. Umsonst: beten ja, betreten nein. In einem Marktstand kaufen wir Cocablätter, nichts ungewöhnliches im Peru dieser Tage. Mit der Droge hat es nicht viel gemein, außer seine Wirkung. Fairerweise muss man erwähnen, dass wir uns keine Menge vorstellen können, die man als Tee trinken muss, um ein ähnliches Resultat zu erzielen, wie es das Derivat wohl erzielt. Der nach Frischgemähtem schmeckende Tee jedoch trinkt sich recht angenehm und Trinken, ob Tee, ob Wasser, ist noch immer höchstes Gebot in noch höheren Gefilden. Schon die Inkas wussten um seine Wirkung, nur die Mühe mit dem heißen Wasser machten sie sich nicht. Es hält wach und fit, erleichtert die Anpassung an die Höhe und senkt Schmerzen - ein Superkraut! Kurz darauf entdeckte es die Kirche: die Indios könnten damit viel länger in den Minen schuften, wären produktiver, klagten seltener - Halleluja! Xenia hat sich derweil eine verschraubbare Kanne gekauft, um sich selbst an das stets Trinken zu erinnern, nur den Tee brauchen wir noch. Der Marktfrau versuchen wir eine geringe Menge aus dem riesigen Sack abzukaufen, der vor ihr lagert - geringer zumindest als unser Vorkäufer. Ob denn zwei Soles, etwa 50 Cent reichen, fragen wir. Misstrauisch mustert sie uns. Wer weiß was wir vorhaben mit ihren Blättern. Schließlich öffnet sie einen Sack und schmeißt ein gefühltes Kilo hinein. Wir nehmen die Hälfte und gehen, den unverständigen Blick im Rücken fühlend.
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Frühs um vier fahren wir mit dem einzigen Bus nach Ayacucho, war ja klar. Es ist dunkel und kalt. Ein paar Säufer torkeln vor uns auf der Straße, doch wir bleiben unbehelligt, Gottseidank. Der Bus parkt außerhalb, die Scheiben sind gesprungen, doch Hauptsache das Biest fährt noch. Es ist eh zu dunkel um Angst zu haben, denn wenn hier Abgründe lauern, sehen wir sie wenigstens nicht. Als wir nach Stunden die Hauptverkehrsstraße kreuzen, steigen wir um. Ayacucho selbst ist eine recht große Stadt und bekannt für die vielen Kirchen, die im Stadtkern errichtet wurden. Offiziell sind es dreiunddreißig, vermutlich aber mehr. Dem Herr sei gedankt, für den mühsam geförderten Reichtum, Stein für Stein, Altar um Altar. Eigentlich heißt die Stadt ja Huamanga, aber das weiß hier wohl keiner mehr so genau. Simon Bolivar benannte sie einst um, zu Ehren der von ihm gewonnenen Schlacht. Nun trohnt sein Reiter auf dem Plaza und erfreut sich der vielen Besucher, die die Stadt ihm zu Ehren lockt. Sie ist uns die schönste Stadt Perus bislang, aber die schönsten kommen ja erst noch. Auf dem Landweg nach Cuzco besucht sie einer jeder, der sie nicht vorsätzlich überspringt.
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Unser Zimmer beherbergt einen Jacouzi, den wir aber nicht benutzen dürfen. Mitten im Raum steht er gegenüber unseres Doppelbettes. Falls doch jemand die Suite bucht, ist er zumindest schonmal da. Wir machen uns auf die Stadt zu erkunden und wenigstens ein paar der Klöster und Kirchen zu sehen, wenn auch nicht zu viele. Alle bewegen sie sich doch zwischen Kultur und Kitsch. Eine der schönsten und ältesten scheint geschlossen, wieder einmal. Gerade, als wir enttäuscht abrücken wollen, läuft uns der Aufseher in Fußballshirt hinterher. Die Kirche sei schon offen, der Schein habe wohl getrügt. Gemeinsam steigen wir auf's Dach, ganz ohne Sicherung. Uns offenbart sich der Blick in die Ferne und auf eine Stadt, deren Dächer einer anderen Zeit entstammen. Diese Kirche sei etwas besonderes, denn immerhin die älteste der Stadt, was sie gleichermaßen zu einer der ältesten des ganzen Kontinents mache. Ob wir auch Christen seien, fragt er. Eine einfache Frage, denn im Zweifel sind wir es immer. Konfessionslosigkeit ist noch immer nicht weit verbreitet auf einem Kontinent, wo Glauben eher eine Frage der Herkunft ist, als die einer Weltsicht. Doch Gott kann warten, denn hier oben redet es sich wohl am besten über: Fußball. Da ist er bei mir genau richtig! Er testet mein Wissen und benennt jeden Spieler seiner Heimat, der einst in der Bundesliga gespielt hatte. Pizarro, Farfan, Guerreiro, alle sind sie Helden. Auch der eine, wie heißt der doch gleich. Na der, der immer alle foult und dann irgendeine Karte bekommt, die er eigentlich nicht verdient. Ach ja: Carlos Zambrano. Spielt bei Frankfurt und ist eigentlich ein netter Kerl. Wie alle hier; immer diese Karten. Gemeinsam stehen wir und warten, schauen bis wir uns sicher sind, was der Diener des Herren erwartet. Gerne doch, das Trinkgeld hat er sich verdient. Wann sonst kommt man schon einmal auf das Dach einer der ältesten Kirchen Lateinamerikas. Wir bedanken uns und laufen zurück zum Plaza.
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Die Hauptkirche ist nun geöffnet, für jeden und ganz ohne Eintritt. Es ist wohl Kommunion, denn die in Kostümen gekleidete Jugend rattert ihren gelernten Text herunter, bevor sie unter schallendem Beifall das Haupttor durchschreitet. Niemals will ich zweifeln, immer will ich dienen, oder dergleichen. Wenn es zu einer besseren, grundanständigen Jugend führt, ist dagegen sicher nichts einzuwenden. Doch alle glauben sie, alle wollen sie dem rechten Pfade folgen, doch die real existente Kriminalität erklärt sich freilich damit schlecht. Es bleibt bei vielen beim Versuch und einer gutgemeinten Symbolik. Wir wollten ja, ganz ehrlich...
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Zudem stößt derlei Gehabe ein wenig auf, gerade hier, wie wir viel später erfahren sollten. Dabei war die Kirche noch nicht einmal der Urheber dieses Schandflecks, zumindest dieses mal. Ehrlich! Ayacucho war nicht weniger als das Zentrum des Sendero Luminoso, des lokalen Bösen. 70.000 Opfer fand er, hauptsächlich unter der wehrlosen Landbevölkerung. Sein Kopf war der überzeugte Maoist Abigal Guzman, der sich seine Kämpfer hauptsächlich unter der ungebildeten und benachteiligten Landbevölkerung rekrutierte. Nach sorgfältiger Planung und geduldigem Warten, löste er Anfang der 80ger Jahre eine Terrorwelle aus, die jeden Bauern der Region prinzipiell in den Augen der Regierung unter Generalverdacht stellte. Da es dem Sendero an Waffen fehlte, wurden die Schandtaten mit allem begangen, was sonst noch zur Verfügung stand: Sprengstoff, Messer, Hammer. Mit der Zeit wurden die Übergriffe des Sendero und des völlig überforderten Militärs immer willkürlicher. Anonym konnte jeder jeden bei wem auch immer denunzieren. Zwölf Jahre irren Gewaltexzesses und zahllose massakrierte Bauern später, wurde Guzman in Lima mit einer Hautcrémebestellung ausfindig gemacht und das Terrornetzwerk allmählich zerschlagen - ein paar Splittergruppen gibt es wohl bis heute.
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In der Touristeninformation entdecken wir Bilder eines Ortes, mit witzigen Skulpturen auf den Dächern, das wollen auch wir sehen. Dazu müssen wir nach Quinua einige Kilometer außerhalb. Die Weiterfahrt ist bereits gebucht, mal wieder abends, so kommt uns der Ausflug gerade recht. Denn in der Umgebung hat sich ein schöner Brauch verbreitet. Den Ekekos traut man wohl nicht so recht, weshalb zum Schutze des Hauses zusätzlich Tonfiguren - Tiere, Häuser, Kirchen, Menschen - auf den Giebeln aufgestellt werden. Zahlreiche Manufakturen haben sich daher um den kleinen Marktplatz angesiedelt. In einer Hinterstube treffen wir einen der prominentesten Meister. Alt ist er geworden, genau wie seine Frau. Und beide fertigen seit Jahrzehnten die kleinen ikonischen Figürchen, wie alte Zeitungsausschnitte an den Wänden beweisen. Sogar ein paar deutsche sind darunter, aus einer Zeit, die statt der Informationsüberflutung des Internets noch kleine, niedliche, in Wochenjournale gedruckte Berichte kannte. Kurz lande ich selbst in dieser Zeit, kenne die Zeitschriften, wie ich sie allzu oft selbst auf dem Küchentisch meiner Großmutter entdeckte. Hätte ich den Bericht damals schon gelesen, wäre ich wohl selbst in meine eigene Zukunft gereist, zu dem alten Mann und seiner Frau. Mit Gesten können wir uns verständigen, unser Erstaunen zum Ausdruck bringen, über sein Handwerk, seine Kunst. Xenia überredet beide zu einem Foto, ungestellt, wenn sie es zuließen. Nie werden sie es verstehen, warum wir eines wollten ohne uns selbst daneben. Gerade, weil sie keine Trophäen sind. Sie gewähren sie uns trotzdem, unsere obskure Bitte. Abermals danken wir höflich und gehen.
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Der Abend dämmert bereits, als wir zurückkommen in die Stadt. Der Verkehr lahmt, mal wieder. Heute allerdings ist es kein Bummellaster, sondern ein Traktor, bunt behangen. Die Menschen, die ihm pfeifend und trillernd folgen, haben die gleiche Aufmachung. Im Zentrum ist Demo, vermutlich der Agrarpartei, aber so genau wissen wir das nicht. Schilder von Traktoren und Bauern, von Getreide und Getier könnten ein Hinweis sein. Dazwischen wehen die bunten Flaggen der indigenen Bevölkerung, die jenen der Schwulen- und Lesbenbewegung viel zu ähnlich sind. Es scheint zur Verpflichtung geworden zu sein, dass ein jeder seine Meinung kundtut, sofern er sie denn mit der Allgemeinheit teilt. Alternativ sind auch die Frauenrechtlerinnen da, sicher nicht unangebracht im Macholand. Ausnahmezustand, Volksfest oder irgendetwas dazwischen. In Trachten gekleidete Frauen verkaufen selbstgemachtes Eis, das sie selbst an den blechernen Rändern ihrer Schlüsseln von flüssig auf fest kühlen, indem sie immer wieder die eine Schüssel in der anderen, viel kälteren kühlen. Ein simples Prinzip, überraschend wirkungsvoll. Am Markt liegen die toten Meerschweinchen, es ist das erste mal, dass wir sie sehen. Ein bedauerlicher Anblick sind sie mir, zu wenig Fleisch und viel zu viele Knochen. Gekocht sehen sie aus wie Zombies, ein mageres Huhn wäre wohl die bessere Wahl. Esst Mehr Schwein, denke ich mir. Dummer Witz, schmunzeln muss ich trotzdem.
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Schon morgen beginnt für uns ein neues Peru, ein anderes, ein älteres. Das der Inkas, das der Reiseführer. Das letzte hat uns schon gefallen, war sympathisch, unverfälscht, unmittelbar. Das nächste wird noch besser, noch einzigartiger, versprochen!
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